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Gute Nachbarn. Aber Deutschland hat den Polen während der Besatzung viel Leid angetan.

© Jens Büttner/ dpa

Entscheidung im Bundestag am 30. Oktober: Berlin braucht einen Ort, um der Opfer der deutschen Besatzung Polens zu gedenken

Das Parlament muss den Weg dafür freimachen. Ein Gastbeitrag.

Der Autor ist Osteuropa-Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und Mitinitiator des Denkmals

Als sich Günter Grass´ Romanfigur Jan Bronski, begleitet vom berühmten Oskar Matzerath, am Vorabend des 1. September 1939 auf den Weg machte, um die polnische Post in Danzig zu verteidigen, ahnte er wohl nicht, dass am nächsten Tag ein Weltkrieg losbrechen würde. Noch konnte er vorhersehen, welch unermessliches Grauen Deutschland über Polen bringen würde.

Und er ahnte wohl kaum, dass am Ende der Kämpfe für die Verteidiger der Post eine illegale strandrechtliche Erschießung durch örtliche Danziger Nazi-Truppen stehen würde, deren Legalität erst 59 Jahre später durch deutsche Gerichte revidiert wurde.

An Jan Bronski, der vielschichtigen Romanfigur, wie auch an der Vita des Autors Grass erkennen wir wichtige Besonderheiten des Krieges der Deutschen gegen Polen. Diese treten vor dem Hintergrund der Millionen Toten und der totalen Verwüstung des Landes oft in den Hintergrund.

Aber 1939 begann nicht einfach einer von vielen „Ostkriegen“ der Nazis. Eine Besonderheit war das enge nachbarschaftliche Zusammenleben von Polen und Deutschen noch vor dem Zweiten Weltkrieg, illustriert durch Bronskis pragmatische Entscheidung für die polnische Staatsbürgerschaft. Aber andererseits war da auch der seit dem Ende des ersten Weltkriegs von Berlin geschürte revanchistische Hass, der die deutschen Bürgerinnen und Bürger in der zweiten Polnischen Republik aufstachelte. Und vor allem war da der von weiten Teilen der deutschen Gesellschaft getragene Revisionismus gegenüber Polen, der mit einer tiefen Verachtung gegenüber der polnischen Nation einherging.

Todesschwadrone ermordeten zehntausende Polen und Polinnen

In der Realität begann der Krieg nicht nur mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen. Gleichzeitig mit dem Einmarsch begannen deutsche Todesschwadrone ihre Arbeit und ermordeten Zehntausende, vor allem Juden und Polinnen und Polen anhand von Todeslisten, die bereits in Friedenszeiten im Untergrund durch die deutschen Sicherheitsapparate vorbereitet worden waren. Oft waren diese Menschen damit auch die Opfer ihrer deutschen Nachbarinnen und Nachbarn, die sie an das Reichssicherheitshauptamt verraten hatten.

Das deutsche Besatzungsregime teilte sich in Polen in zwei Einheiten auf. Neben den bald ins Reich annektierten Teilen, zu denen unter anderem die Freie Stadt Danzig, aber auch der zuvor polnische Ort Oswiecim (deutsch: Auschwitz) gehörten, wurde mit dem so genannten Generalgouvernement Warschau eine Besatzungszone geschaffen, in der ein besonders drakonisches und mörderisches Regime galt.

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Hier übten die Besatzer eine Herrschaft aus, die die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung zum Ziel hatte, aber ebenso die Polen als minderwertige Rasse versklaven und im Anschluss daran dezimieren und vernichten wollte. Prägend für die polnischen Erfahrungen des Krieges sind somit nicht nur die zum Programm erklärte komplette Vernichtung Warschaus nach dem Warschauer Aufstand 1944, sondern eben auch das alltägliche Besatzungsregime: Dieses sah nach und nach für fast alle Vergehen eine sofortige Erschießung vor. Wer beispielsweise einem jüdischen Mitbürger half, der konnte für sich und seine Familie keine Gnade erwarten.

Diese Geschichte endete nicht mit Kriegsende. Während sich nach der gewaltsamen Ausschaltung der demokratischen Mehrheitsparteien in Polen nach 1945 das neue stalinistische und anschließend nationalkommunistische Regime immer mehr auf die legitimierende Wirkung der deutschen Gefahr für die nun sowjetische Fremdherrschaft berief, blühte in der Bundesrepublik Deutschland in den 50er und frühen 60er-Jahren erneut ein aggressiver Revisionismus auf.

Darin erschien die deutsch-polnische Geschichte als ein jahrhundertelanger darwinistischer Kampf gegeneinander um das Überleben des eigenen Volkes - ganz in der zum Teil seit dem deutschen Kaiserreich tradierten und vor allem den Nationalitätenkampf der Zwischenkriegszeit prägenden Erzählung.

Es ist fast ein Wunder, dass die Beziehungen heute so eng sind

Es kommt einem wie ein Wunder vor, dass Deutschland und Polen es in den folgenden Jahrzehnten schafften, heute engste Freunde und Verbündete zu werden. Sie sind wirtschaftlich, gesellschaftlich und in privaten Beziehungen so miteinander verbunden, wie kaum zwei andere Länder in Europa. Deutschland brachte diese polnisch-deutsche Versöhnung die Wiedervereinigung, Polen half sie dabei, einen starken Platz in NATO und EU einzunehmen.

Diese Geschichte hat einen Platz im Zentrum Berlins verdient, der den Opfern auf dem Gebiet des damals noch multiethnischen und multireligiösen polnischen Vorkriegsstaates gewidmet ist. Er soll den Blick richten auf die für das Verständnis des Krieges und der Verbrechen in Polen notwendigen Kontexte der deutsch-polnischen Geschichte.

Wir sollten einen Ort schaffen, an dem wir die seit Jahrzehnten üblichen Einladungen zum Gedenken in Polen, wie im letzten Jahr auf die Westerplatte, nach Wielun und nach Warschau, erwidern und zum Gedenken nach Deutschland einladen können. Damit können wir eine Antwort auf die Sorge geben, dass Deutschland einen Schlussstrich unter die deutschen Verbrechen in Polen ziehen wolle. Wir geben damit aber auch ein Signal an uns selber, das befreiend wirken kann. Und ein Signal an Polen Der Bundestag sollte am 30.Oktober den Weg dafür freimachen.

Manuel Sarrazin

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