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Entscheidend für die Öffnung von Kitas und Schulen: Sind Kinder keine oder eine unterschätzte Gefahr?

Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit behauptet, Kinder könnten sich nicht infizieren. Kehren Kitas und Grundschulen bald in den Normalbetrieb zurück?

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) fordert mehr Studien zur Rolle von Kindern bei der Übertragung des Coronavirus. Inwiefern Kinder sich und andere gefährden, sei entscheidend für die Frage, in welchen Schritten Kitas und Schulen wieder geöffnet werden könnten, sagte Giffey am Dienstag. Zuvor hatte sie sich bereits gegen eine zu lange Schließung von Kitas und Grundschulen ausgesprochen.

In der Schweiz geht man nach einer Studie davon aus, dass Kinder unter zehn Jahren weder an Covid-19 erkranken noch das Virus weitergeben. Einer raschen Öffnung von Kitas und Grundschulen stehe daher nichts im Wege,teilte das eidgenössische Bundesamt für Gesundheit mit.

Wie kommt das Schweizer Bundesamt für Gesundheit zu seinen Aussagen?
In der Schweiz sollen voraussichtlich am 11. Mai die Schulen wieder öffnen. Dieser Entscheidung des Berner Bundesrates liegt vor allem die Einschätzung von Daniel Koch, dem Corona-Krisenmanager am eidgenössischen Bundesamt für Gesundheit zugrunde. Dieser sagte vor Medienvertretern: „Kinder werden praktisch nicht infiziert und geben das Virus nicht weiter.“ Dies habe eine „ziemlich komplizierte Studie, die geschaut hat, ob es bei Kindern Rezeptoren für das Virus gibt“ ergeben. Zudem berief er sich auf „Empfehlungen nach Rücksprache mit Infektiologen und Kinderärzten der großen Unispitäler Zürich, Bern und Genf“.

Er gab auch zu Protokoll, dass Kinder durchaus etwa ihre Großeltern umarmen dürften. Von intensiver Betreuung durch diese riet jedoch auch Koch ab.

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Was weiß man über Coronarisiken für Kinder und die von ihnen ausgehenden Infektionsgefahren für andere?
Tatsächlich legen die Erfahrungen insgesamt nahe, dass Kinder bisher zumindest vergleichsweise selten ernsthaft erkranken und selten Überträger waren. Diese Einschätzung beruht aber nicht auf rigorosen wissenschaftlichen Untersuchungen, sondern eher auf zusammengetragenen Beobachtungen.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Ob Kinder sich oder andere wirklich deutlich weniger anstecken als Erwachsene, ist unklar. Für das bisher Beobachtete könnten ganz andere Aspekte eine Rolle spielen: Insgesamt gehörten Kinder nur selten zu der Personengruppe, die in der Schweiz oder auch in Deutschland zuerst dem Virus ausgesetzt war.

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Bislang vergleichsweise geringe Erkrankungszahlen bei Kindern könnten also zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass für sie die Verhaltensänderungen und Vorsichtsmaßnahmen der Eltern sowie dann auch Kita-, Schulschließungen und „Social-Distancing“-Maßnahmen noch rechtzeitig kamen.

Das könnte auch erklären, warum es wenige Hinweise darauf gibt, dass sie andere angesteckt haben. Es hieße andersherum aber auch, dass, wenn die Kinder nun wieder zur Schule gehen und auch Kontakt mit Großeltern haben dürften, sich bald ein anderes Bild zeigen könnte.

Was für wissenschaftliche Studien gibt es zu dieser Thematik?
Dass Kinder keine oder nur minimale Symptome zeigen, aber doch Überträger von Sars-Cov-2 sein können – also messbar Virenmaterial ausscheiden – haben schon Studien im März nahegelegt. Eine rückblickende Studie mit Betroffenen in Wuhan kommt zu dem Ergebnis, dass Kinder sich genau so häufig ansteckten wie Erwachsene. Zudem gibt es immer mehr Nachweise zu Verläufen, in denen Kinder deutliche Symptome zeigen. Auch Todesfälle sind dokumentiert.

So gibt es auch innerhalb der Schweiz Kritik an der Einschätzung des Bundesamtes. Marcel Salathé, Epidemiologe an der ETH Lausanne, sagte in einer Sondersendung des Schweizer Fernsehens, „die Rolle, welche die Kinder spielen bei der Übertragung“ sei „noch nicht wirklich bekannt“. Als falsch wollte Salathé die Entscheidung des Bundesrates aber nicht bezeichnen, betonte aber, es sei derzeit am wichtigsten „dass wir nicht in eine zweite Welle geraten“.

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Auf welche „ziemlich komplizierte Studie“ sich Daniel Koch vom Schweizer Bundesamt für Gesundheit bezieht, sagte er nicht. Nach Recherchen des Tagesspiegel gibt es keine veröffentlichte Untersuchung, auf die diese Beschreibung zutreffen würde, zumindest nicht, wenn das Resultat ein Nichtvorhandensein des Rezeptormoleküls bei Kindern sein soll.

Eine Studie an Mäusen zeigt zwar, dass dieses Molekül in der frühen Entwicklungsphase seltener ist als bei erwachsenen Tieren. Doch Wissenschaftler, die verschiedene Altersgruppen menschlicher Covid-19-Patienten bezüglich ihrer Symptome und molekular messbarer Krankheitszeichen verglichen, fanden, dass jener Rezeptor, der notwendig ist, um das Virus in Zellen einzuschleusen und somit eine Infektion überhaupt auszulösen, in allen untersuchten Altersgruppen vorkommt.

Unterschiede fand die Forschergruppe um Laura Schouten von der Universitätsklinik Amsterdam laut ihrer in den „Annals of Intensive Care“ veröffentlichten Studie hinsichtlich jener Faktoren im Immunsystem, die die Schwere eines Krankheitsverlaufes maßgeblich bestimmen, bestimmter Entzündungs-Botenstoffe etwa. Das würde zu der Beobachtung passen, dass Kinder seltener schwer erkranken.

Wann dürfen wir endlich wieder in die Schule?
Wann dürfen wir endlich wieder in die Schule?

© Mr. Nico / Photocase

Wird Deutschland dem Schweizer Vorbild jetzt schnell folgen?
Da bisher die politischen Entscheidungen sich an den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts orientierten, ist derzeit nicht mit einer Rückkehr in den regulären Schul- und Kitabetrieb zu rechnen. Das RKI und auch Charité-Virologe Christian Drosten raten davon ab, Schulen und Kitas schnell wieder für alle zu öffnen.

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Fakt ist aber, dass etwa die Angebote sogenannter Notbetreuung in Kitas bereits ausgeweitet werden, und in manchen Bundesländern Schüler bestimmter Klassen wieder zur Schule gehen dürfen, wobei Hygiene und Abstandsgebote eingehalten werden sollen. Auch wenn dies weit entfernt vom Normalbetrieb ist, erhöht sich dadurch die Wahrscheinlichkeit der Virusausbreitung.

Ein Faktor hierbei könnte auch sein, dass zu den Kindern, die Notbetreuung beanspruchen dürfen, natürlich die jener Eltern gehören, die im medizinischen Bereich tätig sind. Damit ist per se eine erhöhte Wahrscheinlichkeit verbunden, dass diese Kontakt mit dem Virus haben und sich vielleicht auch trotz Vorsichtsmaßnahmen infizieren und den Erreger in ihre Familien tragen.

Werden Eltern dadurch gefährdet, dass sie die Kinder in die Kita bringen?
In einer frühen Phase einer Epidemie mit nur wenigen immunen Personen, bedeutet jede Erweiterung von Kontaktmöglichkeiten insgesamt eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Keimübertragung. Dies gilt zumindest dann, wenn dem nicht durch strengere Infektionsschutzmaßnahmen entgegengewirkt wird.

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Die Berliner Senatsverwaltung weist auf dieses Risiko in ihren am 27. April veröffentlichten „Informationen zur stufenweisen Erweiterung des Betreuungsbetriebs im Land Berlin“ zumindest indirekt hin.

Dort werden Eltern gebeten, Betreuungseinrichtungen möglichst nur im Eingangsbereich zu betreten und sich dort nur kurz aufzuhalten. Zudem heißt es: „Die Kinder sollten wenn möglich nur von einer einzelnen Bezugsperson gebracht oder abgeholt werden.“

Dass nicht infizierte Kinder etwa durch kontaminierte Kleidung das Virus indirekt übertragen könnten, gilt als nicht ausgeschlossen, aber als sehr unwahrscheinlich.

Wie handhaben es Deutschlands europäische Nachbarn?

In der Schweiz selbst sind alle Schulen seit Mitte März dicht. Jetzt warten die Schüler und Lehrer gespannt auf den 29. April. Dann nämlich will die Regierung entscheiden, ob sie „die obligatorischen Schulen“ zum 11. Mai wieder öffnet.

Die obligatorische Schulzeit umfasst Primarstufe und Sekundarstufe I. Die ersten Jahre der Primarstufe sind in Form eines zweijährigen Kindergartens organisiert.

Allerdings soll die vorsichtige Normalisierung des Schweizer Schullebens von strikten Schutzmaßnahmen begleitet werden. In der Diskussion ist auch eine Maskenpflicht. Falls die Regierung in Bern grünes Licht zur Schulöffnung in anderthalb Wochen gibt, erarbeiten die Kantone die konkrete Ausgestaltung der Schutzmaßnahmen.

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In Frankreich sollen Schulen und Kindergärten etappenweise öffnen - vieles ist aber noch unklar. Mit dem Ende der strengen Ausgangsbeschränkungen in der Woche ab dem 11. Mai sollen etwa die älteren Kinder wieder in den Kindergarten dürfen. Es sind dann aber nur kleine Gruppen erlaubt. Die Jüngeren - also zwischen drei und vier Jahren - sollen dann spätestens im Juni wieder in die Kita gehen. Hier soll es dann Gruppen mit weniger als zehn Kindern geben.

Die Kitas öffnen auch in den Niederlanden am 11. Mai wieder. Das Reichsinstitut für die Volksgesundheit begründet die Lockerung damit, dass die Gesundheitsrisiken für Kinder sehr beschränkt sind und diese untereinander daher den 1,5-Meter-Abstand nicht einhalten müssen.

In Dänemark sind die Kinderkrippen, Kindergärten und Schulen bis zur fünften Klasse bereits seit Mitte April wieder geöffnet. Sie waren fast einen Monat lang geschlossen gewesen. In einem ersten Schritt der Lockerung der Corona-Maßnahmen hat sich die dänische Regierung bewusst diese Schul- und Tageseinrichtungen ausgesucht, weil somit in erster Linie Eltern jüngerer Kinder entlastet werden können, die neben der Arbeit in den vergangenen Wochen auch noch die Kinderbetreuung übernehmen mussten.

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