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Distomo 1944. Das Foto eines deutschen Teilnehmers zeigt seine Kameraden vor den brennenden Häusern nach dem Massaker an 218 Menschen.

© picture alliance/dpa

Entschädigung für NS-Verbrechen: Schuld ohne Sühne

Deutschland will griechische Massakerüberlebende nicht entschädigen. Womöglich haben sie aber neue Mittel, dies zu erzwingen. Der Bundestag ist auch aktiv.

Wird Deutschland doch noch für NS-Verbrechen an der Zivilbevölkerung in Griechenland zahlen müssen? Während eines Workshops der Bundestagsfraktion der Linken äußerte sich der Bürgermeister der griechischen Gemeinde Distomo Giannis Stathas, jetzt optimistisch: „Wir haben jetzt einen neuen Titel. Wir hoffen, dass Deutschland nun unsere Forderungen erfüllen wird.“ In Distomo in Mittelgriechenland ermordeten im Juni 1944 SS-Angehörige 218 Menschen, darunter Säuglinge, und brannten das Dorf anschließend nieder. Das Massaker ist, auch wegen des Sadismus der Täter, berüchtigt als eines der schlimmsten während der deutschen Besatzung ab 1941. Abgesehen vom NS-Vernichtungskrieg im Osten gilt Griechenland als das Land, das durch den Krieg, die Okkupation und deren Folgen am stärksten ausblutete, am meisten Menschen verlor und verarmte. Ein Zehntel der griechischen Bevölkerung verhungerte oder wurde ermordet.

Auch italienische Opfer klagen  

Die Auseinandersetzung zwischen den Überlebenden dieser Zeit, ihren Familien und dem deutschen Staat ist verwickelt, sie dauert nun schon seit mehr als zwei Jahrzehnten an und beschäftigt seit geraumer Zeit auch die italienische Justiz – zivilrechtliche Ansprüche aus einem europäischen Land können nämlich auch in einem anderen geltend gemacht werden. Und auch italienische Klagen gibt es. Durch Italien zogen Wehrmacht und SS während der Besatzung ebenfalls eine breite Blutspur. Sie massakrierten 10- bis 15.000 Zivilpersonen. 

Der neue Titel, von dem Stathas sprach, wurde den Überlebenden Anfang September von Italiens Kassationsgerichtshof, dem höchsten Zivilgericht Italiens, zugesprochen – mit der Folge, wie ihr Anwalt Joachim Lau sagte, dass sich, falls ihnen Entschädigung zugesprochen sei, „kein italienisches Gericht mehr weigern kann“, sie auch für sie durchzusetzen, etwa indem es die Beschlagnahme deutschen Eigentums in Italien verfügt. Deutschland berief sich stets auf das Prinzip der Staatenimmunität, wonach Staaten nicht von Einzelpersonen verklagt werden können. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag gab der Bundesregierung 2012 recht, Italien erließ ein entsprechendes Gesetz, das das Verfassungsgericht in Rom allerdings als verfassungswidrig kassierte: Die Immunität von Staaten könne nicht für Fälle schwerster Menschheitsverbrechen gelten. Das hatte zuvor bereits Griechenlands höchstes Gericht, der Areopag, festgestellt.

Zahlungen als Vorbeugung gegen kommende Kriege

Es sind nicht allein die Klagen individuell Betroffener, die Deutschland abweist. Der griechische Staat verlangt auch Reparationen und die Rückzahlung jener Zwangsanleihe, die die deutschen Besatzer ab 1942 forderten, um ihren Krieg im östlichen Mittelmeerraum zu finanzieren. Die Schuld wurde quittiert und sollte erklärtermaßen zurückgezahlt werden: „Die Nazis haben eine Rate gezahlt, die Bundesrepublik nicht mehr“, sagte dazu die Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, die sich im Hamburger „Arbeitskreis Distomo“ engagiert und Opfer vor Gericht vertritt. Heinecke wie die griechischen Teilnehmer des Workshops wiesen auch auf andere Verpflichtungen Deutschlands hin: Im Londoner Schuldenabkommen von 1953 habe neben anderen betroffenen Ländern auch Griechenland dem besiegten Deutschland die Schulden gestundet und sie sogar an eine Wachstumsklausel gebunden – nur wenn es dem Land gut gehe, solle es zahlen, sagte Aristomenis Syngelakis, der Ko-Generalsekretär des griechischen Nationalrats für Entschädigungs- und Reparationsforderungen an Deutschland: „Deutschland erhielt eine große Chance und Spielraum zur Wiederauferstehung. Es hat sie genutzt, aber die Unterschrift von damals vergessen. Und es nutzt nun Tricks aller Art, um seinen Verpflichtungen zu entgehen.“  Es gebe aber „keine bessere Vorbeugung gegen weitere Kriege“, so Syngelakis, „als die Schlächter wissen zu lassen, dass sie dafür zu zahlen haben, egal wie viel Zeit vergangen ist“.

Auch die Grünen wollen das Thema auf die Tagesordnung setzen

Deutschlands heutiger Reichtum, so Heinecke, verdanke sich auch der Tatsache, dass es Schäden kaum ausgleichen und unrechtmäßig Angeeignetes nicht ersetzen musste – die Zwangsanleihe bei Griechenlands Nationalbank wie die Ausbeutung von Zwangsarbeitern. Die innenpolitische Sprecherin der Linken Ulla Jelpke wies darauf hin, dass Griechenland auf seine Ansprüche nie verzichtet habe – was die Bundesregierung inzwischen zugebe. Griechenland habe sie aber nicht durchsetzen können, weil es praktisch immer unter Druck von Deutschland gestanden habe, so ihr früherer Fraktionskollege Norman Paech, der Professor für Völkerrecht ist: Erst im Bürgerkrieg ab 1944, dann während der Konflikte mit der Türkei, später beim Eintritt in die Eurozone und zuletzt in der Schuldenkrise. Dass die griechischen Forderungen verjährt seien, wie die Bundesregierung meint, ist aus Sicht des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestags völkerrechtlich keineswegs klar. Dies könne nur in einem Gerichts- oder schiedsgerichtlichen Verfahren geklärt werden, urteilten die Parlamentsfachleute kürzlich in einem Gutachten.

Die Opposition will das Thema jenseits der juristischen Auseinandersetzung politisch im Bundestag auf der Tagesordnung behalten. Auch die Grünen seien dafür offen, sagte Fraktionsvize Heike Hänsel.  Das bestätigte die Grüne Abgeordnete Lisa Badum, die Mitglied der Deutsch-Griechischen Parlamentariergruppe ist, dem Tagesspiegel: "Die deutsch-griechische Versöhnung muss auf die Agenda gesetzt werden. Insbesondere beim Thema Zwangskredit gibt es erhebliche Fragezeichen." Badums Fraktion wird das Thema im Januar mit einem eigenen Fachgespräch aufnehmen.

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