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„Der letzte Bulle“: Ein Graffiti auf einer Wand in Tübingen zeigt Boris Palmer als resoluten Politiker.

© imago images / ULMER Pressebildagentur

Update

Enteignungen in Tübingen?: Boris Palmer will Eigentümer zum Bauen zwingen

Tübingens Oberbürgermeister setzt per Brief eine Frist, leere Grundstücke zu bebauen. Seine Partei fordert eine Mietobergrenze für Gebiete mit Wohnungsnot.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hat Medienberichten zufolge erste Briefe an Grundstückseigentümer verschickt, die er zum Verkauf ihrer Flächen zwingen will, wenn sie diese nicht bebauen. In dem Schreiben, das der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vorliegt, fordert der Grünen-Politiker die Eigentümer zu einer „verbindlichen Erklärung“ auf, „in spätestens zwei Jahren ein Baugesuch einzureichen“. Zudem müssten sie innerhalb von vier Jahren „die Schaffung von Wohnraum“ ermöglichen. Alternativ könnten sie das Grundstück zum Verkehrswert an die Stadt veräußern. Zuvor hatten schon mehrere regionale Medien über die Briefe berichtet.

Falls die Eigentümer auf sein Schreiben nicht antworten, werde die Stadtverwaltung ein formelles Anhörungsverfahren durchführen, heißt es dem Bericht zufolge in dem Brief weiter.

Palmer hatte den Schritt bereits vor einiger Zeit für nach Ostern angekündigt. Er stützt sich auf Paragraf 176 des Baugesetzbuches, der ein Baugebot formuliert. Komme ein Eigentümer dem nicht nach, könne ein Enteignungsverfahren eingeleitet werden. Palmer hatte gesagt, es gehe um rund 550 baureife Grundstücke mit Platz für etwa 1000 größere Wohnungen in Tübingen. Den Wert aller Grundstücke schätzte er auf rund 100 Millionen Euro.

Der Grüne, der immer wieder aneckt, liegt in diesem Fall mit seiner Partei auf einer Linie. Am Samstag berichtete der „Spiegel“, dass auch die Grünen-Bundestagsfraktion der Bodenspekulation einen Riegel vorschieben will, indem sie sich für eine vermehrte Anwendung des Baugebots ausspricht. Demnach könne „in letzter Konsequenz eine Enteignung gegen Entschädigung entstehen“, wenn brachliegende Flächen in Gebieten mit Wohnungsmangel trotz Baugebot nicht bebaut würden.

Das Baugebot ist ein Instrument für Kommunen. Wo ein Bebauungsplan existiert, können sie Eigentümern Fristen zur Bebauung leerer Grundstücke setzen. Wenn der Eigentümer sich damit wirtschaftlich überfordert fühlt, kann er eine Übernahme des Grundstücks durch die Gemeinde verlangen. Wenn er sich dem Baugebot verweigert, ist eine Enteignung möglich.

Eigentümern von Bauland, das nicht bebaut wird, sondern offenkundig nur Spekulationszwecken dient, eine saftige Strafe aufzubrummen und mit der Enteignung zu drohen, ist sicherlich ein guter Schritt.

schreibt NutzerIn lionfood

In der Bundesregierung gibt es zu diesem Instrument unterschiedliche Auffassungen: Während Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sich für eine Verschärfung der Vorschrift ausgesprochen hat, lehnt Bauminister Horst Seehofer (CSU) dies ab. Angesichts der Debatte um Enteignungen in Berlin, wo derzeit ein Volksbegehren zur Vergesellschaftlichung großer privater Wohnungsgesellschaften läuft, hatte sich kürzlich schon Grünen-Chef Robert Habeck für Enteignungen „notfalls“ erforderlich ausgesprochen – und viel Kritik geerntet. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hatte daraufhin angeregt, den Artikel 15, auf den sich das Volksbegehren stützt, aus dem Grundgesetz zu streichen. Dafür fand er außerhalb seiner Partei jedoch nur wenige Verbündete.

Mietobergrenze: Maximal drei Prozent Erhöhung jährlich

Zur Linderung von Wohnungsnot sprechen sich die Grünen außerdem für eine Mietobergrenze in angespannten Gebieten aus. „Ein weiteres Explodieren der Mietkosten müssen wir verhindern“, sagte Fraktionschef Katrin Göring-Eckardt dem „Spiegel“. Wie die Grünen-Bundestagsfraktion am Samstag mitteilte, soll es für Gebiete mit Wohnungsnot künftig „rechtssichere regionale Mietobergrenzen geben“. Dem „Spiegel“ zufolge sollen Mieten dort jährlich um höchstens drei Prozent steigen, ohne aber die ortsübliche Miete zu übersteigen.

Katrin Göring-Eckardt bei einem Grünen-Parteitag 2017 in Berlin.
Katrin Göring-Eckardt bei einem Grünen-Parteitag 2017 in Berlin.

© Soeren Stache/dpa

Außerdem solle auf der Frühjahrsklausur in Potsdam in der kommenden Woche beschlossen werden, dass Missbrauch und überhöhte Mietforderungen mit bis zu 50.000 Euro sanktioniert werden könnten, erklärte die Fraktion via Twitter. Wohnen sei ein „Grundrecht“, betonte Göring-Eckardt. Der Staat müsse seinen Bürgern eine „Garantie für bezahlbares Wohnen“ geben.

Wie der „Spiegel“ unter Berufung auf einen Entwurf für einen Fraktionsbeschluss berichtete, soll bei einer Neuvermietung der Mietpreis höchstens fünf Prozent über der ortsüblichen Miete liegen. Außerdem wollen die Grünen demnach die Mietpreisbremse effektiver gestalten und einige Ausnahmen abschaffen. (Tsp, AFP, dpa)

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