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2013: Ursula Sladek bekommt den "Deutschen Umweltpreis" verliehen. Er ist die höchst dotierte Umwelt-Auszeichnung Europas - aber keineswegs ihr erster Preis. 2011 wurde sie in den USA mit dem Goldman-Preis ausgezeichnet, und schmuggelte daraufhin die Schönauer "100 Gründe gegen die Atomkraft" auf Englisch ins Weiße Haus, wo sie mit den anderen Preisträgern mit dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama zusammentraf.

© picture alliance / dpa

Energiewende: Die Herumstromerin

Es muss sich dringend etwas ändern!, dachte Ursula Sladek, als der Reaktor in Tschernobyl explodierte, und packte selbst an. Mit ihrer Firma EWS wurde sie preisgekrönte Ökoenergieanbieterin – und ist doch noch längst nicht am Ziel.

Ende April 1986 liegt Ursula Sladek mit gebrochenem Bein, eine Skiverletzung, auf dem Sofa und hört im Radio die ersten Nachrichten aus Tschernobyl. „Unfall“ im ukrainischen Reaktor. Zunächst keine genauen Informationen aus der Sowjetunion, aber aus Westländern Meldungen über erhöhte Strahlungsmessungen. Die fünffache Mutter macht sich Sorgen, vor allem um die Kinder. Versucht, die im Haus zu behalten, was ihr bei schönstem Sonnenschein so wenig gelingt wie den meisten Eltern. Ihr Mann Michael, der ein paar Jahre zuvor hier im südbadischen Schönau in eine Landarztpraxis eingestiegen ist, ist nicht minder beunruhigt. Und Rolf Wetzel, damals Polizist, muss später, als die radioaktive Wolke über ihre Region gezogen ist, verstrahlten Salat beschlagnahmen.

27 Jahre später öffnet Ursula Sladek, 67, zierlich und streitbar, die Tür zum Hinterhof und guckt kritisch in den Himmel. Wetter-Check. Wetter ist für sie inzwischen eine Art Geschäftsgrundlage. Sie geht über den Hof auf eine Villa zu, darin ein paar Stufen hinauf und durch eine gediegene Holztür. Gleich links liegt ein Büro, das sie mit ihrem Mann teilt. Direkt gegenüber hat Rolf Wetzel seinen Arbeitsplatz. Er ist eben dazugekommen für ein kleines informelles Treffen. Die drei von damals bilden heute den Vorstand der Elektrizitätswerke Schönau, kurz EWS. Es ist ihre eigene Firma. Sie hat 1997 mit 1700 Stromzählern in Schönau angefangen und ist inzwischen mit 148000 Stromkunden der drittgrößte Ökostromhändler Deutschlands.

Die drei Vorständler treffen sich wenige Tage, bevor Ursula Sladek am letzten Oktoberwochenende 2013 vom Bundespräsidenten Joachim Gauck in Osnabrück einen Preis verliehen bekommt. Den „Deutschen Umweltpreis“, mit 500 000 Euro der höchstdotierte Europas und der höchstdotierte, den die Sladeks je bekamen, aber keinesfalls der erste. Im Foyer des Unternehmens hängt ein Foto von Ursula Sladek mit dem US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama; entstanden 2011, als sie den Goldman-Preis für Öko-Aktivisten bekam. Außerdem hängt dort eine Urkunde aus dem Jahr 1996, als Michael Sladek vom Wirtschaftsmagazin „Capital“ und der Umweltstiftung WWF zum „Öko-Manager des Jahres“ gekürt wurde. Und dann gab es 1998 noch den „Markgräfler Gutedelpreis“. Michael Sladek mit seinem ergrauten wilden Haarschopf und Vollbart kichert in sich hinein, als er von dem Preis, „der mir am besten gefallen hat“, erzählt. Den „Markgräfler Gutedelpreis“ loben der Winzer Hermann Dörflinger und der Kabarettist Matthias Deutschmann gemeinsam aus. Er besteht in einem 225-Liter-Fass gefüllt mit Gutedel, einem trockenen Weißwein. „Das war doch was“, sagt Michael Sladek träumerisch. Ursula Sladek rückt ihre Lesebrille zurecht und grinst dazu.

Da war doch was – so ließe sich auch zusammenfassen, was geschah seit dem ersten Super-Gau und den beschlagnahmten Salatköpfen von 1986.

Zunächst dachten die Sladeks damals, dass die Bonner Politik umgehend den Atomausstieg in Angriff nehmen würde. Das passierte bekanntlich nicht. Aber die Sladeks und mit ihnen eine ganze Gruppe Schönauer fanden, dass sich dringend etwas ändern müsse. Zunächst gründeten sie die Initiative „Eltern für eine atomfreie Zukunft“ und veranstalteten Stromsparwettbewerbe. Dann versuchten sie, ihren Energieanbieter, der damals Kraftübertragungswerke Rheinfelden (KWR) hieß, davon zu überzeugen, einen Stromspartarif anzubieten. Doch die KWR zeigten keinerlei Neigung. Also gründeten die Schönauer eine Kabarett-Truppe, die „Wattkiller“. Die tingelte durch die Gegend, um fürs Energiesparen zu werben.

So wäre es vielleicht noch lange weitergegangen, hätten die KWR nicht 1990 beschlossen, ihren Ende 1994 auslaufenden Konzessionsvertrag für das Stromnetz in Schönau vorzeitig und verbunden mit einer jährlichen Prämie von 25 000 D-Mark – also 100 000 D-Mark für vier Jahre – um weitere 20 Jahre verlängern zu wollen. Das wollten die Stromaktivisten auf keinen Fall durchgehen lassen.

Aus den Wattkillern werden Netzkäufer

Etwa 30 Schönauer taten sich zusammen und gründeten eine Netzkaufgesellschaft. Sie boten ihrer Stadtverwaltung an, diesen Bonus selbst aufzubringen, wenn dafür der Konzessionsvertrag nicht verlängert würde. Insgesamt 280 Bürger konnten sie zusammentrommeln, die bereit waren, gemeinsam vier Jahre lang jeweils 25 000 D-Mark an die Gemeindeverwaltung zu überweisen. Doch der Gemeinderat entschied dagegen. Die Netzkauf-Aktivisten strengten einen Bürgerentscheid an, den sie gewannen. 75 Prozent der Schönauer kamen zur Abstimmung, gut 56 Prozent von ihnen stimmten gegen die vorzeitige Konzessionsverlängerung für KWR. Bis zur ordentlichen Neuausschreibung 1994 war aus der Netzkaufgesellschaft dann schon ein ökologischer Energieversorger in Bürgerhand geworden: die EWS, die sich selbst um die Konzession bewarben. Erfolgreich. Doch diesmal strengten die EWS-Gegner einen Bürgerentscheid an.

Michael Sladek erzählt heute noch davon, wie mulmig ihm zumute war, als er damals ins Schönauer Rathaus ging, um die Auszählung live zu beobachten. Bis spät in der Nacht dauerte das, dann war klar: Die EWS hatte den Bürgerentscheid knapp gewonnen.

Doch damit waren die Stromrebellen, wie sie seit damals genannt werden, noch nicht am Ziel. Jetzt brauchten sie Geld, um das Stromnetz zu kaufen. Die KWR verlangten 8,7 Millionen D-Mark dafür, viel zu viel, wie sich später herausstellte. Trotzdem beschlossen die Stromrebellen, das Spiel mitzuspielen. Mit der Kampagne „Ich bin ein Störfall“, die eine Werbeagentur kostenlos entwarf, „haben wir innerhalb von sechs Wochen eine Million D-Mark zusammenbekommen“, erinnert sich Ursula Sladek. Derweil mussten die KWR eingestehen, dass sie den Wert des Stromnetzes falsch berechnet hatten und gingen auf 6,5 Millionen Mark herunter. 5,8 Millionen haben die EWS schließlich bezahlt. 2005 bewertete ein Schiedsgutachten auch den Preis als überhöht. Das KWR-Nachfolgeunternehmen Energiedienst, eine Tochter des Energiekonzerns EnBW, musste den Schönauern 1,07 Millionen Euro zurücküberweisen.

„Das war im Ort eine gute Bestätigung, dass wir immer die Wahrheit gesagt hatten“, sagt Ursula Sladek. Sie hatten den Wert des Stromnetzes auf vier Millionen D-Mark geschätzt. 1997 übernahmen die EWS das Schönauer Stromnetz – und aus Ursula Sladek, der besorgten Mutter und Hausfrau, wurde eine Unternehmerin. In einer Branche, die boomte.

Die EWS sind rasant gewachsen

1986 hat Ursula Sladek eigentlich damit gerechnet, dass die Bundespolitik den Atomausstieg sofort in Angriff nehmen würde. Daraus wurde nichts. Also hat sie sich eben selbst engagiert.
1986 hat Ursula Sladek eigentlich damit gerechnet, dass die Bundespolitik den Atomausstieg sofort in Angriff nehmen würde. Daraus wurde nichts. Also hat sie sich eben selbst engagiert.

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Schnell wuchs ihr Unternehmen. Mit gut 100 Beschäftigten ist der Energievertrieb und demnächst auch Ökostromproduzent einer der größten Arbeitgeber im 2300-Einwohner-Ort Schönau. Das Bürogebäude wurde längst um einen Neubau ergänzt. Auf dessen Dach reiht sich Solarmodul an Solarmodul. Von hier aus wird das Geschäft der EWS gesteuert. 2008 wurden die EWS in eine Genossenschaft umgewandelt, da zog sich Ursula Sladek aus der Geschäftsführung zurück und wechselte in den Vorstand. Aus den 30 Gründern wurden 3000 Genossen. Und auch die Genossenschaft EWS ist gewachsen. Bei rund vier Millionen Euro Gewinn, die die EWS 2012 erzielt haben, soll etwa eine Million Euro als Dividende ausgeschüttet werden, sagt Michael Sladek. Der Rest soll investiert werden. Nicht nur ins eigene Geschäft: Die EWS haben unzählige Netzkauf-Initiativen auch finanziell unterstützt. Auch die Bürgerenergie Berlin, die das Stromnetz in der Hauptstadt übernehmen möchte, hat dafür Unterstützung aus Schönau bekommen.

Dazugekommen ist auch die Gaskonzession. Rund 8000 Gaskunden beliefern die EWS in Baden-Württemberg. Das Unternehmen baut noch immer Blockheizkraftwerke, in denen gleichzeitig Strom und Wärme erzeugt wird. Außerdem gehören fünf Megawatt Solarstromleistung „ausschließlich auf Dächern, keine Freiflächen“, wie Sladek betont, zum Kraftwerkspark der EWS. Und neuerdings errichten sie auch Windräder. Bisher gibt es im Landkreis nur ein einziges.

Doch um die originellste Besonderheit ihres Ex-Eltern-Ini-Unternehmens in den Blick zu bekommen, müssen die Sladeks nur aus ihrem Bürofenster schauen: die Kabarettbühne im Hof, quasi Wattkiller-Erbe, aber inzwischen auch prominent bespielt. Dieter Hildebrandt war da, Georg Schramm ist hier aufgetreten. Matthias Deutschmann und Jess Jochimsen aus Freiburg sowieso. Das entspricht dem weit verbreiteten Eindruck, vieles, was mit Ökostrom und Energiewende zu tun hat, sei höchstens im Kabarettsinn bühnenreif.

Besonders ärgern sich die drei EWS-Vorständler über die Missachtung des Bürgervotums. Als Ursula Sladek in diesem Frühjahr gemeinsam mit Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) eine Ausstellung eröffnete, hielt sie ihm öffentlich seine „Strompreisbremse“ vor und schimpfte, damit diskreditiere er die erneuerbaren Energien und setze das Einverständnis der Bürger aufs Spiel. Auch Michael Sladek und Rolf Wetzel können sich richtig darüber aufregen, wie durch die „ungerechte Kostenverteilung“ für die Energiewende „gegen die Akzeptanz in der Bevölkerung gearbeitet wird“.

Die Schönauer haben die Konzession bekommen - diesmal einstimmig

Dass es diese Akzeptanz sehr wohl gibt, konnten die Schönauer Ökostromer im vorigen Jahr deutlich erleben. Da hat die Gemeinde Schönau ihnen zum zweiten Mal die Konzession erteilt, diesmal über die vollen 20 Jahre. „Die Entscheidung ist im Gemeinderat einstimmig gefallen“, sagt Ursula Sladek.

Und dann ist der Preisverleihungstag, es ist der vergangene Sonntag. Ursula Sladek fällt in der Osnabrückhalle – wie immer – auf, sie ist die Frau in Bunt unter all den vielen Herren in Grau. Die große Bühne nutzt sie sogleich wieder für mahnende Worte. Sie sehe in dem Preis eine „Aufforderung, die Energiewende in Bürgerhand weiter voranzutreiben“. Sie sei nicht begeistert von den Signalen aus den Koalitionsverhandlungen und könne überhaupt nicht verstehen, wie jemand auf die Idee kommt, klimaschädliche Braunkohlekraftwerke „auch nur eine Sekunde länger laufen zu lassen als nötig“, sagt sie. „Die Bürger sind wesentlich weiter als die Politik“, ist ihre Überzeugung. Die stünden hinter der Energiewende und seien auch bereit, dafür zu bezahlen.

Und dann erzählt sie von ihrer Firma und ihrer Familie. Zwei ihrer Söhne arbeiten mit in den EWS. Der eine verantwortet das Gasgeschäft, der andere den Aufbau von erneuerbaren Energieanlagen. Und der jüngste, für den sie wirklich wenig Zeit gehabt habe in all den Jahres des Kampfes um eine atomstromfreie Zukunft, der habe ihr vor kurzem gesagt: „Du musst nicht denken, dass mir das geschadet hätte.“ So erzählte Ursula Sladek es auf der Osnabrücker Bühne. Und von der Arbeitsteilung, die sich in vielen Jahren kaum verändert hat. Sie referiert, wie einer ihrer Söhne die „Methode Michael Sladek“, der bis heute der kreative Kopf des Unternehmens ist, beschrieben hat: „Er schleppt immer neue Elefanten in den Hof. Und wir müssen sie dann verarbeiten. Wir sind noch nicht damit fertig, da schleppt er schon den nächsten an.“ Ein solcher „Elefant“ sei die Idee gewesen, den Atomstromkonzern Eon, der indirekt am Freiburger Regionalversorger Badenova beteiligt gewesen sei, herauszukaufen. Aus dem Projekt ist dann nichts geworden. Ursula Sladek ist sogar ganz froh darüber. Doch „mit den meisten Projekten meines Mannes bin ich ja einverstanden“, sagt sie. Und insgesamt hätten sie schon Arbeit genug, sie denkt dabei mit Grausen und einigem Mitgefühl für die Mitarbeiter an das vergangene Jahr zurück.

"Wir dürfen uns nicht überheben"

Die Atomkatastrophe in Fukushima hat den EWS viele Kunden beschert. 2012 stellten sie aber noch dazu ihre Datenverarbeitung auf eine neue Software um und übernahmen in diesem Zug auch die Abrechnung ihrer Stromkunden selbst. Zuvor hatten die Stadtwerke Schwäbisch-Gmünd diese Aufgabe für die EWS übernommen. Das sei ein ziemlicher Kraftakt gewesen, berichtet Sladek. Überhaupt sieht sie das rasante Wachstum des Unternehmens als Herausforderung an. „Denn wir wollen, dass unsere Mitarbeiter von dem Unternehmen überzeugt sind.“ Die EWS sollen nicht nur ein Arbeitsplatz sein, sondern ein Lebensgefühl. Das ist den Sladeks und Rolf Wetzel wichtig. „Wir wollen mehr, auch von den Mitarbeitern“, sagt Ursula Sladek.

Ein Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen. Die EWS haben sich in den vergangenen Jahren an immer mehr Stadtwerken beteiligt. In Titisee-Neustadt, einer Kleinstadt nicht weit von Freiburg, sollen die EWS demnächst die Stromversorgung übernehmen. An der Stuttgarter Strom- und Gasvertriebsgesellschaft sind die EWS ebenfalls beteiligt. Aber: „Es gibt auch Dinge, die wir ablehnen“, sagt Ursula Sladek. „Wir müssen gucken, dass wir uns nicht überheben.“ Sie weiß genau, dass das Image der EWS ihr Kapital ist. „Wir müssen behalten, was uns einzigartig gemacht hat. Sonst werden wir austauschbar.“ Den Bundespräsidenten hat sie überzeugt. Am Sonntag in der Osnabrückhalle sagte Joachim Gauck über sie und über ihre Mit-Preisträgerin Carmen Hock-Heyl: „Ich bin total beschenkt.“

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