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Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium.

© Christian Charisius/dpa

Energiepolitik: „Wir dürfen keine grünen Zäune hochziehen“

Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth (SPD) über Windkraft und Artenschutz, CO2-Preise an den EU-Außengrenzen und den nationalen Emissionshandel.

Von Jakob Schlandt

Spätestens mit der Wahl von Armin Laschet zum CDU-Vorsitzenden hat der Vorwahlkampf für die Bundestagswahl 2021 begonnen. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat jüngst eine deutliche Anhebung der Ausbauziele im Ereneurbare-Energien-Gesetz gefordert und konkrete Zahlen genannt. Bekommt Schwarz-Rot das noch hin?

Wir waren in den Gesprächen zur Weihnachtsnovelle schon fast soweit. Dass wir höhere Ausbauziele benötigen, sagt sogar CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Ich bin daher zuversichtlich, dass er auch Wort hält und wir noch in diesem Frühjahr eine weitere EEG-Novelle schaffen werden. Unsere Einschätzung ist, dass wir bis 2030 statt der bisher angestrebten 100 Gigawatt rund 150 Gigawatt installierte Photovoltaik-Leistung brauchen. Bei Onshore Wind müssen es 95 statt 71 Gigawatt sein. Da die Anlagen sich nicht von heute auf morgen planen, genehmigen und errichten lassen, ist es zwingend, dass wir im Frühjahr darüber entscheiden. Sonst ist es wegen Wahl und Koalitionsbildung flugs 2022 und wir verlieren ein Jahr. Das wäre nicht verantwortbar.

Wie sind die Signale aus der Union bisher?

Die Regierungsfraktionen wollten die Verhandlungen zur letzten Novelle noch vor Weihnachten durchs Parlament bringen. Dabei wurden die Ministerien beratend dazu gezogen. Energiestaatssekretär Andreas Feicht und ich waren bei vielen dieser Gespräche dabei und ich kann sagen, dass eine produktive Atmosphäre herrschte, wie ich das vorher bei diesem Thema kaum kannte. Ich bin aus gutem Grund sehr zuversichtlich.

Für Aufregung hat im Nachhinein die sogenannte endogene Mengensteuerung gesorgt, also die Reduzierung der Ausschreibungsmengen für Windkraft, wenn die Ausschreibung unterzeichnet ist.

Die große Aufregung hätte man vermutlich durch bessere Kommunikation vermeiden können. Letztlich geht die Regelung zurück auf Verhandlungen, die das BMWi mit der EU-Kommission geführt hat. Die sorgt sich nämlich, dass kein Wettbewerb stattfindet, wenn die Ausschreibungen regelmäßig unterzeichnet sind, womit wir in beihilferechtliche Probleme laufen würden. Die Lösung ist allerdings bei weitem nicht so schlimm, wie es teilweise dargestellt wurde. Erstens findet die Reduzierung nur statt, wenn es tatsächlich zu Unterzeichnungen kommt und dann auch zeitlich versetzt, was eine Abwärtsspirale deutlich unwahrscheinlicher macht. Zweitens: Die gegebenenfalls reduzierten Mengen werden ab 2024 nachgeholt. 

Sehr wichtig für den Ausbau der Windkraft sind die versprochenen bundeseinheitlichen Artenschutzstandards. Bleibt es bei der Länderöffnungsklausel? Kann die Regierung nicht auf den Tisch hauen?

Mit auf den Tisch hauen kommt man nicht weit, wenn man sich die verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten anschaut. Die Länder sind nun mal für den Artenschutz zuständig. Wir haben bereits viel mehr erreicht als aus durchschaubaren Gründen immer wieder behauptet wird. Die Umweltministerkonferenz hat den Ausbau der erneuerbaren Energien als Grund für Ausnahmegenehmigungen festgeschrieben, sodass auch bei artenschutzrechtlichen Bedenken eine Genehmigung erteilt werden kann. Die Ausnahmen müssen natürlich kompensiert werden. Das ist schon mal ein großer Schritt. Dann haben wir definiert, was ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko ist, das einer Genehmigung im Wege stehen kann. Und ja, darin bleibt eine Öffnungsklausel für die Länder für die Liste der von der Windkraft gefährdeten Arten.

Das halte ich auch für vernünftig. Entweder wird diese Liste sehr lang, damit sie die unterschiedlichen regionalen Verhältnisse abbildet. Oder man hält sie klein und erlaubt den Ländern, einzelne Arten wissenschaftlich begründet zusätzlich aufzunehmen. Und schließlich haben wir den Instanzenweg für Klagen verkürzt und die aufschiebende Wirkung von Klagen abgeschafft, was ebenfalls zur Beschleunigung führt. Es wird Zeit, dass sich einige mal aus ihrer gemütlichen Ecke des populistischen Gemeckers gegen den Artenschutz herausbegeben. Meist soll damit ja nur von eigenen Versäumnissen abgelenkt werden.

Erneuerbare Energien stellten 2020 die Hälfte des verbrauchten Stroms zur Verfügung.
Erneuerbare Energien stellten 2020 die Hälfte des verbrauchten Stroms zur Verfügung.

© Zentralbild/Patrick Pleul

Das Umweltministerium und die SPD kämpfen derzeit mit viel Einsatz dafür, dass die Belastung durch den CO2-Preis zwischen Mietern und Vermietern aufgeteilt wird. Können Sie sich da durchsetzen?

Die Ressorts verhandeln noch, aber wir werden auch da bald zu einer Einigung kommen. Dass die Mieter allein die Kosten tragen, wäre ungerecht und würde der Intention des CO2-Preises nicht entsprechen, nämlich Anreize für den Umstieg auf klimafreundliche Technologien zu setzen.

Dann bleibt noch die Carbon-Leakage-Verordnung auf der To-Do-Liste, oder? Es ist doch ein enormes Versäumnis, den nationalen CO2-Preis zu starten, ohne geregelt zu haben, welche Unternehmen genau von den Kosten entlastet werden.

Wir haben uns im BMU gewünscht, dass die Unternehmen noch vor dem Jahreswechsel Gewissheit gehabt hätten, aber leider sind die Ressortverhandlungen zu langsam gelaufen. Das ist allerdings nicht dramatisch, weil die Erstattung für die Unternehmen aus der Carbon-Leakage-Verordnung ohnehin rückwirkend stattfindet. Was wir vermeiden wollen, ist eine Art Flatrate-Entlastung für alle Unternehmen. Das wäre wegen des EU-Beihilferechts auch nur sehr eingeschränkt möglich, vermutlich hätte man höchstens 25 Prozent Entlastung anbieten können. Für viele energieintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb wäre das deutlich zu wenig. Das ist entscheidend für mittelständische Unternehmen, die eine tragende Säule für unsere Wirtschaft sind.

Gleichzeitig wollen wir Mitnahmeeffekte vermeiden. Das muss man deshalb alles sehr genau regeln. Der nächste Schritt ist, nun die Anhörung der Verbände und der Länder einzuleiten, um Rückmeldungen der Betroffenen zu dem vorgeschlagenen Regelungskonzept zu erhalten und mögliche Alternativvorschläge innerhalb der Bundesregierung bewerten zu können. Anschließend werden wir die Verordnung zügig ins Kabinett bringen.

Kommen wir auf die EU zu sprechen. Im Dezember haben sich die Mitgliedsstaaten nach hartem Ringen auf ein neues Klimaziel von mindestens 55 Prozent geeinigt. Das EU-Parlament fordert sogar noch mehr. Wie wird die starke Steigerung in Deutschland umgesetzt?

Meine Prognose ist seit langem, dass die EU-Kommission eher nicht die Effort Sharing-Verordnung anpassen wird, also den Mitgliedstaaten keine neuen national verbindlichen Klimaziele für die Bereiche Verkehr, Gebäudeenergie und Landwirtschaft auferlegen wird. Daraus ist leider bei manchen das Missverständnis entstanden, dass wir im Umweltministerium meinen würden, es würde in Deutschland nicht zu einem deutlichen Plus beim Klimaschutz kommen. Das ist natürlich Quatsch. Im Gegenteil: Wir sind davon überzeugt, dass der deutsche Klimaschutzbeitrag im Jahr 2030 nicht mehr bei 55 Prozent, sondern in der Größenordnung von 65 Prozent Minderung gegenüber 1990 liegen wird. Die 60 Prozent, die die CSU so heroisch vorgeschlagen hat, werden jedenfalls sicher nicht reichen. Daran sieht man übrigens, dass Schaufenster-Bekenntnisse zu Zielen nicht reichen. Wichtiger ist es, jetzt die Umsetzungs-Instrumente so zu beschließen, dass das neue EU-Ziel zuverlässig erreicht wird.

Verliert die deutsche Klimapolitik an Bedeutung?

Die deutsche Klimapolitik wird in Zukunft sehr viel europäischer geprägt sein und das ist auch richtig so. Das neue EU-Klimaziel lässt sich zu großen Teilen mit europaweiten Instrumenten umsetzen. Wenn zum Beispiel die CO2-Flottengrenzwerte für PKW in der EU erhöht werden oder die Zertifikate im europäischen Emissionshandel ETS verknappt werden, wird das unseren Fahrzeugbestand und unseren Energiemix zwangsläufig verändern. Diese Instrumente erfordern keine Anpassung der nationalen Gesetzgebung. Aber sie erfordern eine Bundesregierung, die in Brüssel aufgeweckt und engagiert für robuste Klimaschutzregulierungen eintritt. Das wird uns in diesem Jahr intensiv beschäftigen. Eine weitere große Frage ist dabei: Wird es einen zweiten europäischen CO2-Preis geben?

Sie meinen damit einen gesonderten EU-Zertifikatehandel für die Sektoren Gebäude und Transport. Wären Sie dafür?

Ja, ich glaube, dass es wichtig ist, das Emissionshandelssystem für die Industrie und den Energiesektor von Mobilität und Gebäuden getrennt zu halten, jedenfalls auf absehbare Zeit. Die Grenzvermeidungskosten sind einfach so unterschiedlich, dass ein gemeinsamer Preis zu Verwerfungen führen würde.

Damit sagen Sie, dass sich gegen die Interessen der Industrie keine erfolgreiche Klimapolitik machen lässt.

Im Kern ja, denn die Interessen der Industrie sind ja – jedenfalls an diesem Punkt – berechtigt. Das Ergebnis eines sofortigen gemeinsamen Emissionshandelssystems über alle Sektoren hinweg wären Strukturbrüche in der Industrie auf der einen Seite und Stillstand bei Verkehr und Gebäuden auf der anderen.

Der Verbrauch von Benzin und Diesel wird seit Januar durch eine CO2-Steuer verteuert.
Der Verbrauch von Benzin und Diesel wird seit Januar durch eine CO2-Steuer verteuert.

© Julian Stratenschulte/dpa

Staatssekretär Flasbarth als Advokat der Industrie: Nicht, dass Sie deren Interessen generell missachten, aber diese Fürsorge überrascht uns dann doch.

Wenn verstärkter Klimaschutz fast ausschließlich zulasten der Sektoren Industrie und Energie geht, verlangsamen wir den Transformationsprozess in den Bereichen Verkehr und Gebäude. Einen solchen Zeitverlust können wir uns nicht erlauben. Das andere Argument ist, und das halte ich für mindestens so wichtig: Wenn es einen großen ETS gäbe, dessen Last voll auf der Industrie liegt, dann würden wir diese Industrie im internationalen Wettbewerb auch noch stärker schützen müssen. Dafür würde das bisherige System der kostenlosen Zuteilungen nicht mehr ausreichen. Dann bräuchte es ziemlich starke Grenzausgleichsmechanismen. Und die halte ich für ein Land wie Deutschland industriepolitisch für toxisch. Wir dürfen keine grünen Zäune hochziehen. Deshalb gehöre ich zu den Skeptikern jedenfalls von zu schnellen und zu weitreichenden Grenzausgleichsmechanismen. Sie haben ein unglaubliches Potenzial, die internationale Kooperation zu stören.

Nur, wenn der Rest der Welt beim Klimaschutz nicht mitzieht. In den USA unter Joe Biden und sogar in China, das bis 2060 CO2-neutral werden will, zeichnet sich doch längst eine Kehrtwende ab.

Wir haben bereits intensive Gespräche mit amerikanischen Denkfabriken gehabt und sehen ein deutliches Interesse von Joe Biden und seinem Team, beim Thema CO2-Zölle zusammenzuarbeiten. Das ist natürlich eine große Veränderung im Vergleich zur bisherigen US-Regierung. Der andere große Partner ist China, aber die sehen das Thema bei weitem nicht so positiv. Auch, wenn die jüngsten Ankündigungen sehr positiv sind: Wir dürfen uns nicht der Illusion hergeben, starker Klimaschutz wäre dort sofort möglich und von allen gewünscht. Und man darf nicht Länder wie Indien vergessen, die noch lange nicht so weit sind und Probleme für ihr Wachstum fürchten. Dort fürchtet man, dass wir deren wirtschaftliche Entwicklung stören könnten.

Insbesondere die CSU möchte Klimaschutzmaßnahmen in Drittstaaten den EU-Zielen anrechnen können, weil sie dort kostengünstiger und wirksamer sind. Was halten Sie davon?

Das ist leider in mehreren Dimensionen nicht zu Ende gedacht. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts soll die ganze Weltwirtschaft klimaneutral sein. So sieht es das Pariser Abkommen vor. Insofern lässt sich Klimaschutz auf Dauer nicht externalisieren. Außerdem ignoriert diese Forderung, dass wir in der EU ein heimisches Ziel haben, sprich, die Emissionsreduktionen müssen in Europa erbracht werden. Es ist natürlich trotzdem nicht falsch, dass wir uns zum Beispiel für den Schutz von Wäldern in Südamerika, in Indonesien oder in Afrika engagieren. Ich erwarte, dass diese Frage aber ohnehin jenseits der nationalen Politik geklärt wird. Sie ist ein zentrales Thema auf der COP26, dem Klimagipfel im Herbst in Glasgow. Das wird uns dann aber nicht von unseren Pflichten zum Erreichen des neuen EU-Klimaziels entbinden. Nicht in der EU, nicht in Deutschland und auch nicht in Bayern.

Meinen Sie, dass man sich dort wird einigen können? Die Diskussion zieht sich ja bereits durch mehrere Klimakonferenzen.

Ja, das glaube ich schon. Mit den USA haben wir jetzt wieder einen starken Mitverhandler, der für den lateinamerikanischen Kontinent eine große Bedeutung hat. Brasilien ist innerhalb der BRICS-Staaten inzwischen ziemlich isoliert, weil sowohl Russland als auch China ebenfalls robuste Regeln für die sogenannten Marktmechanismen nach Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens haben wollen. Wir werden uns als Umweltministerium und als Bundesregierung insgesamt jedenfalls sehr dafür engagieren, dass wir die Verhandlungen dort erfolgreich abschließen.

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