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Ein Fischhändler wiegt auf dem Fischmarkt im britischen Lowestoft Kabeljau

© DPA/DPAWEB

Update

Endspiel bei Handelsgesprächen: Warum der Kabeljau im Brexit-Ringen so eine wichtige Rolle spielt

Eigentlich hat die Fischerei wirtschaftlich nur wenig Gewicht. Aber auf den letzten Metern der Post-Brexit-Gespräche hängt ein Erfolg auch an den Fangquoten.

Am Ende schlägt noch einmal die Stunde der Zweckpessimisten. Während die Verhandlungen über ein Handelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien auch am Montag in Brüssel weitergehen, berichtet die britische Boulevardzeitung „The Sun“, dass sich der britische Regierungschef Boris Johnson möglicherweise innerhalb der nächsten 48 Stunden auf einen No-Deal-Brexit einstellen werde.

Derartige Verlautbarungen aus dem Umfeld Johnsons, auf die sich die Zeitung berief, haben vor allem ein Ziel: die EU auf den letzten Metern der Verhandlungen zum Einlenken zu bringen.

Verhandlungen werden zum Blinzelspiel

Aus den Handelsgesprächen ist endgültig ein Blinzelspiel geworden, bei dem beide Seiten darauf setzen, dass das Gegenüber irgendwann die Nerven verliert. Am späten Nachmittag wollen Johnson und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen erneut eine Bilanz zum Stand der Gespräche ziehen. Am Vormittag brachte EU-Chefverhandler Michel Barnier schon einmal die Botschafter der 27 EU-Staaten und Vertreter des Europaparlaments auf den letzten Stand. Er könne nicht garantieren, dass ein Deal zu Stande komme, sagte der Franzose nach den Angaben von Teilnehmern. Nachdem bei den Gesprächen zuletzt immer wieder neue Zeitpläne aufgestellt worden waren, muss nach den Worten von Barnier nun endgültig bis spätestens Mittwoch Klarheit über das Zustandekommen eines Vertrages herrschen. Anschließend dürfte es nämlich zeitlich schlicht unmöglich werden, eine Ratifizierung des Vertrages durch das Europaparlament vor Jahresende hinzubekommen.

Bei der Fischerei sitzen die Briten am längeren Hebel

Zu den ungelösten Punkten gehört weiterhin die Frage, wie viel Fisch aus britischen Gewässern die EU ab Anfang des kommenden Jahres wieder an Fischer von der Insel abgeben soll. Vor allem Irland, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Dänemark wollen einen aus ihrer Sicht nachteiligen Deal verhindern, der die Fangrechte für EU-Trawler in britischen Gewässern künftig entscheidend verringern würde. Dies möchte der britische Chefunterhändler David Frost gern als Trumpfkarte nutzen. Denn falls kein Deal zu Stande käme, wären Fischer aus der EU künftig komplett aus ihren bisherigen Fanggründen ausgesperrt.

Die meisten französischen Fischer fischen in britischen Gewässern

Vor allem Frankreich macht sich nach außen für die Interessen der Fischer stark. Zwei Drittel der französischen Fischer holen dank des gemeinsamen europäischen Marktes ihre Fänge aus dem Sechs-bis-Zwölf-Meilen-Bereich vor der britischen Küste. 80 Prozent des im Ärmelkanal gefangenen Kabeljaus wandert in französische Netze. Folglich stimmten besonders viele von deren britische Kollegen 2016 beim Referendum für einen Austritt aus der EU.

Während also Johnson den Fischern von der Insel unbedingt einen Deal präsentieren will, in dem ein Rückgewinn an nationalstaatlicher Souveränität sichtbar wird, fürchtet Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron umgekehrt Demonstrationen der Fischer auf dem Kontinent. Allerdings ist die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Fischerei auf beiden Seiten überschaubar. In Großbritannien trägt die Branche noch nicht einmal 0,1 Prozent zur Wirtschaftsleistung bei.

Kompromiss scheint möglich

Vor diesem Hintergrund scheint ein Kompromiss machbar, auch wenn die Positionen auch am Montag immer noch weit auseinanderlagen: Die EU will bislang nur 18 Prozent des Werts ihrer bisherigen Fänge abgeben und fordert eine zehnjährige Übergangsperiode. Das Vereinigte Königreich beansprucht hingegen 80 Prozent vom EU-Fang und verlangt eine nur dreijährige Übergangsperiode. Anschließend sollen die Fangquoten nach dem Willen Londons in jährlichem Rhythmus neu ausgehandelt werden.

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Weil Großbritannien bei der Fischerei am längeren Hebel sitzt, hat sich die EU wohlweislich nicht darauf eingelassen, beim „Endspiel“ in den Verhandlungen einzig und allein über die künftigen Fangquoten zu reden und die anderen Streitpunkte schon vorher abzuräumen. Mit anderen Worten: Wenn Johnson im Sinne britischer Fischer am Ende einen Prestigesieg einfahren will, muss London nach dem Willen der EU gleichzeitig auch Zugeständnisse bei einem anderen harten Knackpunkt machen. Dabei geht es vor allem um die Frage, welche Wettbewerbsbedingungen für britische Unternehmen ab Anfang des kommenden Jahres auf dem EU-Binnenmarkt greifen sollen.

Immer neue Streitpunkte bei den Verhandlungen zu Wettbewerbsbedingungen

Die EU will unter anderem verhindern, dass London künftig britischen Firmen mit allzu großzügigen Staatsbeihilfen unter die Arme greift und ihnen damit einen Wettbewerbsvorteil auf dem EU-Binnenmarkt verschafft. Nur wenn ein „level playing field“ - also faire Wettbewerbsbedingungen - besteht, kann aus EU-Sicht ein Handelsabkommen ohne Zölle und Quotenbeschränkungen zu Stande kommen.

Allerdings liegt der Teufel im Detail: Nach britischer Darstellung wolle die EU die geplanten Hilfen aus dem Corona-Hilfsfonds in Höhe von 750 Milliarden Euro nicht als staatliche Beihilfen werten, wohl aber vergleichbare Hilfen in Großbritannien.

Hoffnungszeichen aus London

Trotz der Hakeleien über die Details der künftigen Wettbewerbsregeln gab es am Montag auch positive Signale aus London. Die britische Regierung stellte in Aussicht, das umstrittene Binnenmarktgesetz noch einmal zu überarbeiten. Teile dieses Gesetzes, das sich derzeit in der Abstimmung zwischen Unter- und Oberhaus befindet, würden den bestehenden EU-Austrittsvertrag aushebeln und damit eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland wieder wahrscheinlich machen. Den Sinneswandel der britischen Regierung hatte zuvor am Montag ein Gespräch zwischen dem britischen Staatssekretär Michael Gove und dem Vizepräsidenten der EU-Kommission, Maros Sefcovic, möglich gemacht.

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