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Macht und Militär. Die Führung in Teheran demonstriert gerne die Schlagkraft der Armee.

© AFP

Ende des UN-Waffenembargos: Wird der Iran jetzt aufrüsten?

Teherans neue Freiheit: Das UN-Waffenembargo gegen die Islamische Republik endet – beginnt jetzt ein neues Wettrüsten im Nahen Osten?

Bei mehr als 30.000 Corona-Toten und einer schweren Wirtschaftskrise hat der iranische Präsident Hassan Ruhani derzeit nicht viel zu feiern. 

Umso mehr freute er sich, dass er seinen Landsleuten jetzt einen wichtigen diplomatischen Erfolg im Dauerstreit mit den Erzfeind USA präsentieren konnte: In der Nacht zum Sonntag ist das seit 2007 bestehende UN-Waffenembargo gegen die Islamische Republik abgelaufen. 

Washington war zuvor mit dem Versuch gescheitert, den Boykott zu verlängern. Nun könne sein Land überall Waffen kaufen, wo es wolle, sagte Ruhani kurz vor dem Ende des Embargos.

Donald Trump und seine Administration hätten außer „rüden Tönen“ nichts zustande gebracht. Trotz Teherans Frohlocken: Ein neues Wettrüsten im Nahen Osten wird es aber wohl erst einmal nicht geben.

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Das Embargo

Wegen des Verdachts, dass der Iran heimlich den Bau einer Atombombe anstrebe, verboten die Vereinten Nationen im Jahr 2007 mit einer einstimmigen Entscheidung im Sicherheitsrat allen Mitgliedsländern den Kauf iranischer Waffen. Im Juni 2010 trat darüber hinaus ein ausdrückliches Lieferverbot von schwerem militärischem Gerät in Kraft. Dazu zählten zum Beispiel Kampfflugzeuge oder Panzer.

Das internationale Atomabkommen von 2015 stellte dem Iran dann ein Ende des Rüstungsboykotts in Aussicht. Der Vertrag sah im Gegenzug für die Zurückhaltung Irans bei seinem Nuklearprogramm einen Abbau internationaler Sanktionen vor. Dazu gehörte das Ende des Waffenembargos fünf Jahre nach Inkrafttreten des Atomvertrags am 18. Oktober 2015.

US-Präsident Trump hat vor zwei Jahren das Atomabkommen mit Teheran aufgekündigt und setzte sich für eine Verlängerung des Waffenembargos ein.
US-Präsident Trump hat vor zwei Jahren das Atomabkommen mit Teheran aufgekündigt und setzte sich für eine Verlängerung des Waffenembargos ein.

© Ting Shen/XinHua Xinhua/dpa

Die Trump-Regierung kritisierte den Atomdeal als unzureichend und stieg vor zwei Jahren aus dem Abkommen aus. Seitdem versucht der US-Präsident, den Iran mit Wirtschaftssanktionen zu weitergehenden Zugeständnissen zu zwingen – bisher allerdings vergeblich.

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Die verbliebenen internationalen Vertragspartner des Atomabkommens – China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Russland – lehnten im Sommer die Forderung der USA ab, das Waffenembargo auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Dessen Ende sei daher ein „denkwürdiger Tag“, schrieb der iranische Außenminister Dschawad Sarif auf Twitter.

Teherans Bedarf

Bis zur islamischen Revolution von 1979 war der Iran ein guter Kunde der internationalen Rüstungsindustrie. Seitdem muss sich der schiitische Gottesstaat aber auf die Langlebigkeit der damals gekauften Waffen und die Eigenproduktion verlassen, weil viele Länder dem Mullah-Regime schon vor dem UN-Embargo keine Rüstungsgüter liefern wollten. Noch immer fliegen im Iran deshalb amerikanische „Tomcat“-Kampfjets aus den 70er Jahren.

Die Revolutionsgarden gehören zu den entscheidenden Machtfaktoren im Iran.
Die Revolutionsgarden gehören zu den entscheidenden Machtfaktoren im Iran.

© Raheb Homavandi/Reuters

Insbesondere beim Raketenprogramm hat die heimische Rüstungsindustrie mit Unterstützung einiger Staaten wie Nordkorea jedoch erhebliche Fortschritte gemacht. Gegner des Landes im Nahen Osten wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Israel sowie US-Stützpunkte liegen in Reichweite iranischer Raketen.

Nach dem Ende des UN-Embargos ist die Islamische Republik mehreren Berichten zufolge vor allem an modernen russischen Kampfjets und am Luftabwehrsystem S-400 interessiert, um sich besser gegen amerikanische oder israelische Angriffe schützen zu können.

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Moskau bekundete erst vor wenigen Tagen sein Interesse an einem Ausbau der rüstungspolitischen Zusammenarbeit mit Teheran. Auch China steht grundsätzlich als Lieferant für die iranischen Streitkräfte bereit. Aus Europa wird der Iran dagegen vorerst keine Waffen bekommen können: Das EU-Waffenembargo bleibt noch bis zum Jahr 2023 in Kraft.

Das nötige Geld für eine Einkaufstour im Ausland könnte sich der Iran durch den Export von Waffen verdienen, der ab sofort wieder erlaubt ist. So erwägt der venezolanische Präsident Nicolas Maduro den Kauf iranischer Raketen.

Irans Probleme

Doch einfach wird es für Teheran nicht. Die USA drohen allen Ländern, die mit dem Iran jetzt Rüstungsgeschäfte abschließen, Sanktionen an. Noch wichtiger als die Drohung ist die US-Präsidentenwahl in zwei Wochen.

China zum Beispiel setzt auf eine Verbesserung seines Verhältnisses zu Amerika nach einem möglichen Sieg von Trumps Herausforderer Joe Biden und wird einen Neuanfang in den Beziehungen nicht mit der Lieferung einiger Panzer an den Iran aufs Spiel setzen. Auch für Russland sind die Beziehungen zur Supermacht USA wichtiger als Waffengeschäfte mit Teheran.

Irans Nachbarn werden es also nicht mit einem über Nacht erstarkten Gegner zu tun bekommen. Mittelfristig könnte das Ende des Embargos in Verbindung mit dem Machtgewinn der Revolutionsgarde und anderer Hardliner im Gottesstaat aber größere Spannungen auslösen.

Besonders nach der iranischen Präsidentenwahl 2021 könnte der Einfluss der Garde und der erzkonservativen Scharfmacher weiter wachsen. Moderne ausländische Waffen in der Hand eines kompromissloseren Regimes wären für die USA, Israel und die Golfstaaten ein Alarmzeichen.

Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman gehört zu den erklärten Gegner der Mullahs.
Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman gehört zu den erklärten Gegner der Mullahs.

© Valery Sharifulin/imago/Itar Tass

Die Gegner der Mullahs

Einige Staaten empfinden Irans Machtstreben in der Region schon lange Zeit als aggressive Provokation, ja, als existenzielle Gefahr. Das gilt zuvorderst für den jüdischen Staat. Kein Wunder, dass die Regierung um Premier Benjamin Netanjahu sich an Trumps Seite stellte, als es um die Verlängerung des UN-Waffenembargos ging.

In Israel werden Teherans Drohungen über alle parteipolitischen Grenzen hinweg sehr ernstgenommen: Immer wieder kündigt Irans Regime die Vernichtung des „zionistischen Tumors“ an.

Jerusalem verweist aus diesem Grund nachdrücklich auf das Raketenprogramm der Mullahs, aber auch darauf, dass der Iran sowohl militante Palästinensergruppen wie die Hamas mit Waffen versorgt als auch die libanesische Hisbollah. Beides versucht Israel immer wieder, mit Militärschlägen und Geheimdienstoperationen zu unterbinden.

Für die Herrscher am Golf ist der Iran ebenfalls ein rotes Tuch. Gerade das sunnitische Saudi-Arabien sieht sich als regionale Großmacht herausgefordert. Die Rivalität mit Teheran treibt vor allem Kronprinz Mohammed bin Salman um – nicht zuletzt, weil das Machtstreben der Mullahs seinen Anspruch massiv infrage stellt, die eigene Nation vor Angriffen zu schützen.

[Die Zahl der Corona-Infektionen in der Hauptstadt steigen rasant: Verfolgen Sie hier die Entwicklungen im Corona-Blog für Berlin.]

Deutlich wird dies im Jemen-Konflikt. Für den Thronfolger steht fest, dass Teheran die aufständischen Huthis mit Waffen versorgt. Denen gelang es bereits mehrfach, Saudi-Arabien mit Raketen und Drohnen zu attackieren. Iran könnte seine neue Freiheit nutzen, die Huthis als verlängerten Arm weiter aufzurüsten – um der Wüstenmonarchie und dem Ansehen des Königshauses zu schaden.

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