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Die Zeitumstellung soll nach dem Willen der EU-Kommission ab 2019 passé sein.

© Sebastian Kahnert/ dpa

Die EU und die Sommerzeit: Das Ende der Zeitumstellung ist noch fern

Die EU-Kommission will, dass die Uhren in Europa künftig anders ticken. Bis zur Entscheidung über die Sommerzeit wird es aber lange dauern.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat schon einmal seine Meinung als Privatmann mitgeteilt. Gleiches gilt auch für den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Auch die Haltung der finnischen Verkehrsministerin Anne Berner ist bekannt. Es geht um ein Thema, zu dem alle eine Meinung haben: die regelmäßige Umstellung von der Sommer- auf die Winterzeit.

Altmaier erklärte jüngst in Brüssel, er würde es persönlich bevorzugen, wenn eine dauerhafte Sommerzeit eingeführt würde. Steinmeier sagte wiederum in der vergangenen Woche am Rande eines Staatsbesuchs in Finnland, er habe mit der halbjährlichen Zeitumstellung keine Probleme. Und die finnische Verkehrsministerin Berner würde es persönlich bevorzugen, wenn ihr Land die ewige Winterzeit einführen könnte, weil es in der dunklen Jahreszeit dann am Morgen früher hell wird. Drei Menschen, drei verschiedene Meinungen – mit den Politikern verhält es sich in der Debatte über die Sommer- und Winterzeit nicht anders als mit denen, die sie gewählt haben.

Die Diskussion ist spätestens zum Politikum geworden, seit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker vor zwei Wochen in Straßburg in einer Rede erklärte, dass die Zeitumstellung abgeschafft werden müsse. Gleichzeitig legte die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag vor, dem zufolge die Uhren im kommenden März zum letzten Mal in allen EU-Staaten verpflichtend vorgestellt werden müssen. Geht es nach der Brüsseler Behörde, sollen anschließend die einzelnen Mitgliedstaaten darüber entscheiden können, ob sie im Herbst 2019 ein weiteres Mal die Winterzeit wählen oder in der Sommerzeit bleiben.

Der Hintergrund von Junckers Vorstoß: Pünktlich zur Europawahl im kommenden Mai würde die angeblich so bürgerferne EU gerne den ultimativen Beweis erbringen, dass sie sehr wohl auf die Wünsche der Normalbürger eingehen kann. Bei einer Online-Befragung, bei der sich EU-Bürger über die regelmäßige Zeitumstellung äußern konnten, hatte es 4,6 Millionen Rückmeldungen gegeben – ein Rekordwert. 84 Prozent der Teilnehmer in den 28 EU-Mitgliedstaaten hatten sich dafür ausgesprochen, die halbjährliche Umstellung abzuschaffen.

Kommissarin Bulc erwartet bis Jahresende Stellungnahmen der EU-Staaten

EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc hat bereits einen ehrgeizigen Zeitplan skizziert, den die EU-Mitgliedstaaten und das Europaparlament demnächst bei einer möglichen Abschaffung der Sommerzeit einhalten sollen. Denn die EU-Mitgliedstaaten und das Straßburger Parlament müssten einer Neuregelung zustimmen. Die Slowenin Bulc erwartet, dass die Mitgliedsländer und das Parlament bis Ende des Jahres ihre Stellungnahmen abgeben. Sollte dann zu Beginn des kommenden Jahres auf EU-Ebene eine Entscheidung gegen die Zeitumstellung fallen, dann müssten der Vorstellung der Kommission zufolge die einzelnen Staaten bis April 2019 festlegen, ob sie auf Dauer lieber in der Sommer- oder in der Winterzeit bleiben wollen.

Beobachter halten Zeitplan der Kommission für sehr ehrgeizig

Mindestens 16 von 28 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung stellen, müssten einem Ende der bisherigen Praxis zustimmen. Auch wenn kein einstimmiger Beschluss gefordert wird, ist unklar, ob der ehrgeizige Zeitplan der Kommission zu halten ist. Eine Abschaffung der Umstellung hätte nämlich Folgen in zahlreichen Bereichen – angefangen von der Gesundheit über die Energiebranche bis zum Luftverkehr und dem Speditionsgewerbe.

Normalerweise vergehen mehrere Jahre, bis ein von der EU-Kommission vorgelegter Gesetzgebungsvorschlag nach der Beratung mit allen beteiligen Interessenvertretern endgültig beschlossen ist. Beobachter halten es deshalb für eher unwahrscheinlich, dass die EU-Mitgliedstaaten bereits im kommenden März ein Ende der Zeitumstellung durchwinken werden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es sich bei der EU-Richtlinie, welche die verbindliche Einführung der Sommerzeit zwischen Ende März und Ende Oktober regelt, um einen vergleichsweise knappen Text handelt, der sich leicht ändern ließe.

Immerhin gibt es in Brüssel und in den EU-Hauptstädten inzwischen erste Überlegungen, wie sich einzelne Länder in der Zeitdebatte positionieren könnten. Schon jetzt gibt es innerhalb der EU drei Zeitzonen: Die größte Ländergruppe bilden dabei Deutschland und 16 weitere zentraleuropäische Länder, die eine einheitliche Zeitzone bilden. Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Bulgarien, Griechenland und Zypern sind eine Stunde voraus, während Irland, Portugal und das im kommenden März voraussichtlich aus der EU ausscheidende Großbritannien eine Stunde zurück sind. Während diese Dreiteilung der EU noch halbwegs übersichtlich ist, soll bei einer Neuregelung vermieden werden, dass ein ungeordneter Flickenteppich entsteht. Theoretisch wäre es durchaus denkbar, dass etwa die Niederlande und Belgien eine unterschiedliche Zeitregelung einführen.

In EU-Diplomatenkreisen heißt es, dass beispielsweise Luxemburg zur Abschaffung der Zeitumstellung tendieren würde, falls es zu einem Beschluss im Kreis der europäischen Mitgliedstaaten kommen sollte. Österreich, das gegenwärtig den EU-Vorsitz innehat, würde gegebenenfalls eine ewige Sommerzeit befürworten. Deutschland und Frankreich haben sich noch nicht positioniert. Aber spätestens bis zum informellen Treffen der zuständigen EU-Verkehrsminister am 29. und 30. Oktober in Graz, wenn das Thema erstmals offiziell auf der Agenda der Mitgliedstaaten steht, müssen die Regierungen in Berlin und Paris zumindest einen ersten Anhaltspunkt für die Debatte liefern.

Wirtschaftsminister Altmaier begrüßte in der vergangenen Woche jedenfalls schon einmal Junckers Vorschlag. Der Plan des EU-Kommissionschefs sei „exzellent“, sagte Altmaier nach einem Treffen mit dem EU-Kommissionsvizepräsidenten Maros Sefcovic. Es müsse allerdings eine Abstimmung unter den EU-Partnern geben, merkte der Minister an.

Federführung liegt in Berlin beim Wirtschaftsministerium

Es ist kein Zufall, dass sich vor allem Altmaier in der Debatte zu Wort meldet. Das Wirtschaftsministerium koordiniert in Berlin unter den einzelnen Ministerien die Meinungsfindung in Sachen Zeitumstellung. Demnächst soll eine Anhörung unterschiedlicher Ressorts stattfinden. Hinzu kommt, dass in keinem Land so viele Bürger Interesse für die Befragung der Kommission zeigten wie in Deutschland. Nach Angaben der Brüsseler Behörde beteiligten sich in Deutschland 3,8 Prozent der Bevölkerung an der Online-Konsultation. Dabei sprach sich etwas mehr als die Hälfte für die ewige Sommerzeit aus. Ähnlich aktiv waren bei der Befragung nur die Österreicher, die auf einen Anteil von 2,9 Prozent kamen, sowie die Luxemburger mit 1,8 Prozent.

Allerdings ist die Befragung nicht bindend für die EU-Gesetzgeber. Kritiker geben auch zu bedenken, dass ein Votum, an dem EU-weit gerade einmal 4,6 Millionen Menschen teilnahmen, kaum repräsentativ für die gesamte Europäische Union mit ihren insgesamt 500 Millionen Einwohnern sein könne. „Was wollen die Niederländer? Die Befragung gibt keinen Aufschluss darüber“, moniert ein EU-Diplomat. In den Niederlanden hatte sich bei der Konsultation eine Mehrheit für die ewige Winterzeit ausgesprochen. Allerdings fand die Befragung im Nachbarland nur bei einem verschwindend geringen Anteil der Bevölkerung – 0,16 Prozent – Interesse.

Wirtschaft hätte keine Probleme mit Ende der Zeitumstellung

Klar scheint indes, dass die Wirtschaft keine großen Probleme damit haben dürfte, wenn die halbjährliche Zeitumstellung künftig der Vergangenheit angehören sollte. „In manchen Unternehmen führt die Zeitumstellung zu Mehraufwand, zum Beispiel in Betrieben mit Schichtdienst oder im Bahnverkehr“, sagt Martin Wansleben, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Insgesamt gleichen sich nach seinen Angaben die positiven und negativen Effekte der Zeitumstellung für die deutsche Wirtschaft aus. Dennoch hält er es für verfehlt, bei einem Abschied vom Vor- und Zurückdrehen der Uhren allzu eilig vorzugehen. „Wichtig ist, jetzt nicht überstürzt zu handeln, sondern die Argumente noch mal sorgsam abzuwägen“, so Wansleben.

Auch Nicolette van der Jagt, Generaldirektorin des europäischen Speditionsverbandes Clecat, hält ein Ende der Zeitumstellung für sinnvoll. Dies werde zu mehr Verkehrssicherheit und zu weniger Emissionen führen, sagt sie zur Begründung.

Briten schafften die ewige Sommerzeit wieder ab

Dass die ewige Sommerzeit kommt, halten Beobachter in Brüssel trotzdem keineswegs für ausgemacht. Sie verweisen auf das Beispiel Großbritanniens, das zwischen 1968 und 1971 einen Versuch mit der durchgehenden Sommerzeit machte. Das Experiment wurde abgebrochen, weil Untersuchungen zeigten, dass die Zahl der Verkehrsunfälle am Abend zwar abnahm, aber mehr Verkehrstote in den Morgenstunden zu beklagen waren.

Dieser Text erschien am 25. September 2018 in "Agenda", einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint.

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