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Zu den Akten gelegt. Roland Jahn wickelt die Stasi-Unterlagen-Behörde ab.

© Christoph Soeder/dpa

Ende der Stasi-Akten-Behörde in Berlin: In der Schatzkammer der Erinnerung

Mit der Schließung der Stasi-Akten-Behörde verliert die Aufarbeitung eine Institution. Für die Unterlagen kann es ein Gewinn sein. Eine Analyse.

Das tritt nach meiner Kenntnis ... ist das sofort ... unverzüglich! Historische Momente erwachsen oft aus einem Zufall, auch einer Überforderung. Dieser heute ist lange geplant – vielleicht auch, um die Gesellschaft nicht länger zu überfordern mit alten Geschichten, die nicht vergehen wollen. Mehr als drei Jahrzehnte nach dem abrupten Mauerfall fällt an diesem Donnerstag in Berlin eine Institution der friedlichen Revolution: Die Stasi-Akten-Behörde wird aufgelöst.

Unterlagen und Mitarbeitende gehen ins Bundesarchiv über. Ein Symbol des historischen Umbruchs wird selbst Historie. Bei einem Festakt übergibt Behördenchef Roland Jahn eine Akte, symbolisch für 111 Kilometer konspiratives Material der DDR-Geheimpolizei, und setzt sich zur Ruhe. Den Blick auf die DDR-Geschichte wird dieser geschichtsträchtige Tag verändern.

Die Einsicht in die eigene Akte war und ist weltweit einmalig. Millionen Menschen spürten dem Verrat in der eigenen Familie nach, klärten ihr Schicksal auf. Prominente Politiker wie Ost-SPD-Hoffnung Ibrahim Böhme fielen über ihre alten Verstrickungen. Auf manche Fragen , etwa an die Linken-Ikone Gregor Gysi zu seiner Rolle in der DDR, fehlen bis heute letzte Antworten.

Neben der zuweilen allzu hysterischen Hatz nach neuen Stasi-Enthüllungen machten die Akten dem vereinigten Deutschland vor allem eines deutlich: wie eine Diktatur funktioniert, was sie in ihrem Innersten zusammenhält – die Angst. Und dass die Stasi ihren langen Arm auch in den Westen ausstreckte – von gekauften Stimmen beim Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt bis zur Ermordung des West-Berliner Studenten Benno Ohnesorg durch einen DDR-Spion.

Die Aufklärung anhand von Akten soll auch im Bundesarchiv weiter möglich sein. „Mit der Integration der Stasi-Akten ins Bundesarchiv wird eine Zukunft ermöglicht“, glaubt Jahn beim Gespräch in der ehemaligen Berliner Stasi-Zentrale. „Das Stasi-Unterlagen-Archiv ist ein Teil des Gedächtnisses der Nation.“ Es könnte allerdings sein, dass die Nation daran öfter erinnert werden muss.

Ort der Erinnerung: Die frühere Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg.
Ort der Erinnerung: Die frühere Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg.

© Christoph Soeder/dpa

Mit der Behörde, die der spätere Bundespräsident Joachim Gauck zupackend aufgebaut hatte und die von Marianne Birthler mit vielen Bildungsangeboten ausgebaut worden war, verliert die Erinnerung ein wirkmächtiges Sprachrohr. Die bisherige Verwaltungschefin Alexandra Titze wird vor allem mit der Integration ins Bundesarchiv beschäftigt sein; Jahns bisherige Pressesprecherin soll als Abteilungsleiterin das frühere Stasi-Gelände in Lichtenberg als „Campus für Demokratie“ etwas beleben.

Neu ist außerdem die erste SED-Opfer-Beauftragte Evelyn Zupke, die eine „Brücke für die Opfer in Politik und Gesellschaft“ schlagen möchte, wie sie im Gespräch mit dem Tagesspiegel sagt. Aber die Sozialarbeiterin muss sich erst einarbeiten.

Marianne Birthler kritisiert den Übergangs ins Bundesarchiv

Evelyn Zupke war erst in letzter Minute nach monatelangem Streit zwischen SPD und Union über die Personalie gewählt worden. „Dass bei all dem weder, wie früher üblich, die Opposition eingebunden wurde, noch, was wirklich skandalös ist, die Opferverbände, macht die Sache noch schlimmer“, sagte die sonst eher bedächtige Marianne Birthler dazu im Tagesspiegel-Interview.

Für sie wie für viele andere Bürgerrechtler ist die gesamte Überführung der Akten der falsche Weg. „Das Archiv der Stasi-Unterlagen ist so groß, dass man es selbstständig hätte erhalten können.“ Dass zudem unter Jahn die Bildungs- und Forschungsarbeit in der Behörde fast lahmgelegt wurde, schmerzt viele Engagierte der DDR-Aufarbeitung.

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Immerhin den Akten selbst könnte der Umzug gut tun. Unter dem Dach des Bundesarchivs sollen sie nun sachgerecht gelüftet und digital gesichert für die Zukunft gelagert werden. Dazu sollen in Berlin und in jedem ostdeutschen Bundesland neue Archivgebäude entstehen – in Lichtenberg zusammen mit den alten Akten der SED, dem Auftraggeber der Stasi. Um dabei die historischen Gebäude zu sichern, gibt es mehrere Initiativen auf Bundesebene.

Auf dem früheren Stasi-Gelände in Lichtenberg sollen neben neuen Archiven auch Debattenorte entstehen; der Anstoß kam von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Auch ein Erinnerungszentrum in Leipzig soll es geben, mithilfe einer neuen Stiftung für Orte deutscher Demokratie. Und das Schloss Schönhausen in Berlin-Pankow soll an den Runden Tisch erinnern, der hier den demokratischen Übergang in der DDR organisierte.

Doch die Bürokratie braucht ihre Zeit. Auf dem alten Herrschaftsgelände von Erich Mielke, auf dem man heute noch die Badewanne des Stasi-Chefs besichtigen kann, gingen allein für den Umbau einer Toilette dreieinhalb Jahre ins Land.

Wird die Recherche in Akten jetzt leichter?

Historikerinnen und Historiker erhoffen sich vom Umbruch einen besseren Zugang zu den Unterlagen. Ein Projekt zur Erforschung des DDR-Fußballs, finanziert vom DFB, wartet auf verwertbare Rechercheergebnisse. „Wir warten bis heute, sechs Jahre nach Antragstellung“, berichtet Projektleiter Kai Reinhart von der Uni Münster.

Auch Jutta Braun vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam wünscht sich mehr Berechenbarkeit und Transparenz im Bundesarchiv. Braun sagt: „Es wird zu Recht auf den historischen Wert der Akten verwiesen. Dann darf das Kerngeschäft der Geschichtsschreibung, das Aktenstudium, nicht derart erschwert werden.“ Auch ein weiteres Großprojekt wartet in den Aktenschränken: Nahezu 16.000 Säcke mit zerrissenen Akten müssen immer noch zusammengesetzt werden; kurz vor Erstürmung der Zentralen durch das Volk waren sie eilig von der Stasi zerstört worden. Das Puzzle der Geschichte zusammenzusetzen – es dauert länger als von allen beim Start erwartet.

Die Stasi-Akten sind so etwas wie der vergiftete Erinnerungsschatz der Ostdeutschen. In ihnen sind Geschichten des Widerstands zu finden, auch viele Details des Alltagslebens. Und sie erzählen von Menschen, die zermürbt werden sollten, deren Familien zerstört, deren Leben zersetzt wurden – nur weil sie frei reden und denken wollten.

Stasi-Gefängnisse mit beklemmend langen Vernehmungsfluren wie in Hohenschönhausen und mit martialischen Sperren wie in Bautzen bleiben zugänglich. Die Akten auf Antrag auch. In der Fläche wird es längere Wege geben, aber womöglich irgendwann einen besseren digitalen Zugang. „Die Behörde war nie für die Ewigkeit geplant“, sagt Joachim Gauck. Die Schatzkammer der Erinnerung bleibt geöffnet. Auch wenn sie in den Historienschrank gestellt wird.

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