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Freiwillig isoliert: Gesundheitsminister Lauterbach fährt einen viel kritisierten Corona-Kurs.

© IMAGO/photothek

Ende der Isolationspflicht: Die Regierung riskiert viel – und überschätzt sich

Künftig soll das Prinzip Eigenverantwortung das Virus in Schach halten. Das wird nicht helfen, denn die Politik ist als Ratgeber nicht akzeptiert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Thomas Trappe

Nur verwundert kann man auf die Corona-Politik von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schauen, die jetzt alles über den Haufen wirft, was bisher galt. Selbst jene, die sich über das Auslaufen der allermeisten Maßnahmen freuen, fragen sich nun, ob es wirklich eine gute Idee ist, Corona-Infizierten bald zu erlauben, ohne Maske zu shoppen und zu feiern.

Lauterbach schreibt sich selbst zu, eine gute Pointe zu schätzen. Seine neueste Wendung muss man aber erst einmal verdauen. Und man kann nur hoffen, dass die Politik den Paradigmenwechsel nicht nur vollzieht, sondern auch versteht, was daraus jetzt folgen muss.

Ab 1. Mai ist eine fünftägige Isolation bei Corona-Erkrankung nur noch „dringend empfohlen“. Begründung: Da die Gesundheitsämter die Einhaltung der Isolation kaum mehr kontrollieren könnten, erübrige sich die Pflicht. „Daher reicht hier Eigenverantwortung“, meint Lauterbach nun.

Die Zahl der Infektionen wird natürlich steigen

Sicher gibt es auch heute schon Corona-Infizierte, die sich nicht an die Isolation halten. Aber durch die Aufhebung der Pflicht wird deren Zahl natürlich steigen – und damit die Zahl der Infektionen, der Erkrankungen, der Toten. Nach dem Ende der meisten Corona-Maßnahmen und dem absehbaren Scheitern der Impfpflicht ist die Aufhebung der Isolation der letzte Schritt, mit dem Deutschland dem Modell Schweden folgt.

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Dort gab es seit Beginn der Pandemie wenig Einschränkungen, und seit 1. April gelten dort für Corona-Infizierte die gleichen Regeln wie nun bald auch in Deutschland. Selbst wenn man den schwedischen Weg für erfolgreich hält – so einfach ist er nicht zu kopieren.

Denn während die Skandinavier mit dem Konzept „Eigenverantwortung“ in die Pandemie starteten, verkümmerte dieser Ansatz in Deutschland zur gleichen Zeit. Nicht zuletzt wegen einer paternalistischen Haltung der Politik, die auch von Lauterbach mahnend und warnend vorangetrieben wurde.

Es gab in Schweden nie eine gesellschaftliche Spaltung

Die tiefe gesellschaftliche Spaltung, wie sie in Deutschland beim Thema Corona bis heute vorherrscht, gab es in Schweden nie. Eine relativ hohe Staatsidentifikation und das Vertrauen in die eigenen Institutionen tragen dazu bei, dass die Bürger staatliche Empfehlungen sehr zuverlässig befolgen. Auf dieses Pfund kann Deutschland nicht setzen.

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Das Theater um die Impfpflicht, der durchsichtige Machtkampf innerhalb der Ampel um den Infektionsschutz, das Vorführen Lauterbachs bei den Isolationsregeln: Parlament, Regierung und insbesondere dem Gesundheitsminister fehlen derzeit jede Autorität, als seriöser Ratgeber in Pandemiefragen zu wirken. Hinzu kommt ein gesellschaftliches Klima, in dem fast jede Haltung geeignet ist, eine hasserfüllte Gegenposition zu finden – und in der das Tragen einer Maske zum politischen Statement taugt.

Nun die große Phase der Eigenverantwortung auszurufen, kann man angesichts der rückläufigen Infektionslage grundsätzlich gut begründen. Allerdings nur, wenn die Politik parallel dazu auf ein gesellschaftliches Klima hinwirkt, in dem bei Eigenverantwortung auch immer der Fremdschutz mitgedacht wird.

Das wäre eine vornehmliche Aufgabe der gesamten Bundesregierung. Die Zeitenwende in der Corona-Politik kann eine Chance sein, die Kämpfe der vergangenen zwei Jahre hinter sich zu lassen, sich als Gesellschaft zu versöhnen. Erst einmal ist es aber nur ein Wagnis mit hohem Risiko.

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