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Tätschelt die Ministerin, freut sich das Rind - oder nicht? Die Grüne Woche ist für Agrarministerin Julia Klöckner Pflicht - anders als der Einsatz für nachhaltige Landwirtschaft.

© dpa

Ende der Grünen Woche: Bio oder konventionell? Der Wahnsinn fängt bei den Begriffen an

Man hat sich dran gewöhnt, aber Sinn macht es nicht, wenn naturnahe Landwirtschaft als alternativ gilt. Und das ist nicht die einzige Agrar-Perversion unserer Zeit. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Peter von Becker

Die an diesem Sonntag in Berlin zu Ende gehende Grüne Woche hat wie nie zuvor Fragen der landwirtschaftlichen Verantwortung für Klima, Tier- und Artenschutz sowie Nachhaltigkeit debattiert. Reine Kulinarik oder gar bäuerliche Folklore sind wegen der harten Themen zumindest aus den Schlagzeilen gefallen. Wohl erstmals demonstrierten auch Landwirte unterschiedlich „grüner“ Couleur mit ihren Treckerkolonnen nicht nur für oder gegen eine bestimmte Agrarpolitik, sondern auch gegeneinander.

Gemeinhin teilen sich da die Fronten in die überwiegende „konventionelle“ Landwirtschaft und das Antimodell einer alternativen „ökologischen“ oder „biologischen“ Landwirtschaft. Und eben diese landläufige Begrifflichkeit verrät den zugrunde liegenden Wahnsinn.

Bio ist natürlich, also konventionell

Wer Äcker bestellt und Tiere zur menschlichen Ernährung hält, der ist wohl naturgemäß Teil eines biologischen Handelns und Handels. Das entspricht eigentlich der bäuerlichen Tradition und, meint man, auch Konvention. „Alternativ“ müsste darum heißen: industrielle, chemische Landwirtschaft. „Bio“ indes müsste das Natürliche und Konventionelle sein. Das vermeintlich Selbstverständliche.

Die Mehrzahl der Verbraucher denkt über diese Sprach- und Kategorienverwirrung vermutlich nicht nach. Als Folge einer in den letzten Jahrzehnten immer weiter gewachsenen und vorherrschend tatsächlich industriellen Landwirtschaft hat sich so eine Umkehrung, ja im Wortsinne eine Perversion der Bezeichnungen und der dahinter stehenden Werte durchgesetzt. Ein Fall auch: von Gehirnwäsche. Doch die Welt ist damit nur dreckiger geworden.

Nichtstun wird gefördert

Die EU-Agrarpolitik hat die längste Zeit vor allem Quantitäten gefördert und dann, wiederum pervers, die Vermeidung von Überproduktion und faktisch sogar das Nichtstun, die Nichtbewirtschaftung in der Landwirtschaft, finanziell bedacht. Bauernland ist so auch zum Spekulationsobjekt großer Agrarkonzerne geworden, die bäuerliche Kleinbetriebe aufgekauft haben. Gier und Not, Überdüngung, monokulturelle Verödung, Chemikalieneinsatz, der Boom der Massentierhaltung und Dumpingpreise für Fleisch- und Milchprodukte im Handel, die viele (durchaus „konventionelle“) Bauern zu Recht beklagen, sie ergeben eine unselige Allianz. Weit über Europa hinaus.

Woran die Politik, ob in Brüssel, Brasilia, Washington oder Berlin, meist mitgewirkt hat: als verlängerter Arm der oft nicht nur konventionellen, vielmehr reaktionären Agrarlobby.

Zur hierbei gängigen Sprache gehören nun wieder Äußerungen der Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Sie versprach im Tagesspiegel-Interview zu Beginn der Grünen Woche einmal mehr, dass Deutschland bei der noch immer erlaubten betäubungsfreien „Ferkelkastration“ und „beim Kükentöten aussteigen“ wolle. „Aussteigen“ – bei Folter und Vernichtung.

Grausige Bilder aus dem Mastbetrieb

Am vergangenen Montag hat das RBB-Fernsehen in seinem Magazin „Super.Markt“ wieder grausige Bilder gezeigt. Sie wurden in einem Hähnchen-Mastbetrieb in Königs Wusterhausen bei Berlin (heimlich) gefilmt und zeigen unzählige schwer verletzte, sich in der unnatürlichen Haltung gegenseitig auffressende Tiere. Hähnchen, die wegen der Übermästung wie irre herumwanken oder zusammenbrechen, und einen Wärter, der sterbenden Tieren ohne Betäubung den Hals bricht.

Der Halter beliefert einen bekannten Geflügelkonzern und seine nach alter Bauernhofidylle benannte Marke, die sich in jedem Supermarkt findet. Die Branche, heißt es, kalkuliere zwei bis vier Prozent vorzeitig verendende Tiere bei der Massenhaltung als üblich ein.

Der Konzern aber bedauert nun gegenüber dem RBB den Fall, er hat sich offenbar von dem Halter getrennt und sogar Strafanzeige gestellt. Laut RBB werden allein in Königs Wusterhausen täglich 160.000 Hähnchen getötet und zu Geflügelfleisch verarbeitet. Gleichzeitig laufe ein Antrag, dort künftig 230.000 Tiere pro Tag schlachten zu dürfen. Weil die Nachfrage steige.

Es geht nicht um ein Fleischverbot

Viele steigen da freilich aus. Zumal es ähnliche Berichte aus zahlreichen Massentierhaltungen gibt, etwa in Niedersachsen oder Bayern. Das billige Fleisch ist nicht preiswert, sondern mindestens ethisch unwert. Und der tägliche Skandal der industriellen Massentierhaltung, die vor allem bei Schweinen und Hühnern schon wegen der Millionenzahlen niemand wirklich kontrollieren und mit den eigentlich bestehenden Gesetzen in Einklang bringen kann, er ist zur Bedrohung geworden.

Studien zeigen, dass durch Massentierhaltung und die mit Regenwaldrodungen verbundene, immer maßlosere Fleischproduktion viel mehr CO2 ausgestoßen wird als durch den weltweiten Autoverkehr.

Es geht nun nicht um ein Fleischverbot. Aber um weniger und besseres, schonender und nachhaltiger erwirtschaftetes Fleisch. Um eine fruchtbare statt furchtbare Landwirtschaft. Brechts Heilige Johanna (oder Greta) der Schlachthöfe würde heute ausrufen: How dare you!

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