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Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, begrüßte im November Bundeskanzlerin Angela Merkel im Elyseepalast.

© Thibault Camus/AP/dpa

Deutsch-Französischer Vertrag: Nachbarn stärken ihre Zusammenarbeit

Deutschland und Frankreich versprechen sich eine engere Kooperation auf vielen Ebenen. Nach dem Brexit wird das Gewicht des Duos steigen. Ein Kommentar.

Die Vergangenheit zu beschwören, um die Zukunft zu gestalten – das ist kein schlechtes Mittel, die historische Tragweite einer Vertragsunterzeichnung zwischen zwei benachbarten Staaten deutlich zu machen. Noch dazu, wenn es um zwei Länder geht, die durch eine furchtbare Phase blutiger Kriege gegangen sind und sich als Erbfeinde betrachteten, bevor sie über den Gräbern endlich zur Versöhnung fanden.

Dies ist in dürren Worten die gemeinsame Geschichte Deutschlands und Frankreichs gewesen, bevor Charles de Gaulle und Konrad Adenauer den ersten Elysée-Vertrag von 1963 schlossen. Auf ihm aufbauend, soll heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, mit der Unterzeichnung in Aachen der künftig nach dieser Stadt benannte Vertrag die Kooperation noch einmal intensivieren. Was sich die beiden inzwischen schon zu Gestalten der Geschichte gewordenen Politiker in der Kathedrale von Reims versprachen, wollen jetzt Angela Merkel und Emmanuel Macron im historischen Ratssaal des Aachener Rathauses auf einer noch höheren Stufe besiegeln.

Dass es erst jetzt dazu kommt, ist kein Ruhmesblatt der deutschen Politik. Seit im September 2017 der neu gewählte französische Präsident Emmanuel Macron in einer Rede in der Universität Sorbonne für einen neuen Vertrag mit Deutschland und für einen europäischen Aufbruch warb, herrschte in Deutschland lange hinhaltendes Schweigen. Die gescheiterten Koalitionsverhandlungen zu einem Jamaika-Bündnis lähmten das Kanzleramt und das Außenministerium. Der Satz, wonach Verzögerung die perfideste Form der Verneinung ist, fand hier wieder einmal eine Bestätigung. Die Bundeskanzlerin ließ Macrons Schwung ins Leere laufen. Nicht nur, weil ihr diese noch engere Kooperation offensichtlich kein Herzensthema war. Nein, wohl auch, weil sie, gebremst von der CSU und dem konservativen Flügel der CDU, wieder einmal Angst vor möglichen finanziellen Belastungen Deutschlands hatte, diesmal durch die französischen Reformvorstellungen in der Europa-Politik.

Es musste schnell gehen

Erst als Macron innenpolitisch zu scheitern drohte, und der deutschen Politik klar wurde, dass im Nachbarland eine innere Revolte und ein Erstarken rechter und linker Populisten wie in Italien unmittelbar bevorstand, musste es schnell gehen. Der kaum noch aufzuhaltende Brexit machte Deutschland klar, dass die Europäische Union auseinander zu fliegen drohte. Wenn in dieser Situation die beiden Nationen, die einstmals als Motor der europäischen Integration galten, nicht endlich zueinander finden würden, wer hätte die Europäische Union dann noch retten können? In der hektischen Eile übersah das Kanzleramt dann auch noch die wichtigste demokratische Institution, das Parlament, und vereinbarte für die Unterzeichnung des Vertrags einen Termin, zu dem sich eigentlich die Volksvertreter Frankreichs und Deutschlands hatten treffen wollen. Eine Regierung, die derartig den Überblick verliert, ist einfach peinlich. In der französischen Präsidialdemokratie mögen die Machtverhältnisse anders sein, im deutschen System war das Vorpreschen ein Affront.

In Aachen, einer Stadt, die nicht zuletzt durch Karl den Großen, den die Franzosen Charlemagne nennen, ein Symbol für die Einheit beider Länder ist, versprechen sich Frankreich und Deutschland nun am Dienstag regelmäßige Konsultationen auf allen Ebenen, breite militärische Zusammenarbeit, eine engere Kooperation in den Vereinten Nationen und vieles mehr. Nach dem Austritt Großbritanniens wächst das Gewicht dieses Duos in einem Maße, das andere EU-Staaten nicht gleichgültig lassen wird. Das gilt erst recht, sollten beide künftig wirklich eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik vorantreiben. Dominanz der Regierungen in Paris und Berlin kann für die Entwicklung der EU so gefährlich werden, wie es das Desinteresse der beiden größten Länder des Bündnisses wäre. Dies zu verstehen, muss man nicht die Vergangenheit beschwören.

Gerd Appenzeller

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