zum Hauptinhalt
Ein Elektroauto des Typs Tesla S lädt in Stuttgart an einer Stromtankstelle.

© Lino Mirgeler/dpa

Elektromobilität statt Verbrennungsmotor: Für die Autohersteller geht es ums Überleben

Die deutsche Autobranche steht vor dem größten Strukturwandel ihrer Geschichte. Wenn der scheitert, gefährdet das den Standort Deutschland. Ein Gastbeitrag.

Der Kanzlerin soll neulich – so stand es in einem führenden Magazin –, im kleinen Kreis, der Satz aus dem Munde gefallen sein: „Was die Zukunft der deutschen Automobilindustrie betrifft, da sehe ich schwarz.“

Sieht die Zukunft für Deutschlands Schlüsselindustrie tatsächlich so düster aus? Mehr als eine Million Familien ernährt die Autoindustrie. Zudem ist sie Technologie-Träger, Innovator, Steuerzahler und der Exportschlager „Made in Germany“.

Fakt ist, die Branche steht vor dem größten Strukturwandel ihrer Geschichte. Erst langsam sickert in die Köpfe, das E-Mobility nicht nur „Fahren mit Strom“ bedeutet, sondern die komplette Wertschöpfungskette des Autobaus verändert. Künstliche Intelligenz wird zum Einsatz kommen, Gestenerkennung und Gesichtslaser. Intelligente Multicams ersetzen Rückspiegel, der Joy-Stick das Lenkrad.

Welch dramatische Auswirkungen das auf den Arbeitsmarkt haben wird, zeigt ein Blick in die Motorenfertigung bei Daimler in Untertürkheim mit ihren 19 000 Beschäftigten. Sieben Mitarbeiter werden benötigt, um einen Verbrennungsmotor herzustellen. Den vergleichbaren E-Motor wird künftig ein Mitarbeiter produzieren. Nicht viel anders sieht es im Getriebe-, Karosserie- und Mechanikbau aus.

Betroffen sind auch die Zulieferer. Die Cluster rund um die Automobil-Standorte in Stuttgart, München oder Wolfsburg werden so wohl nicht überleben. Notwendige, neue Technologie entwickeln oder kaufen die Hersteller längst bei ausländischen Start-ups. Wenn Daimler ein Innovationszentrum eröffnet, sucht es nicht mehr die Nähe zu baden-württembergischen Unternehmen, sondern geht nach Bangalore. Der Getriebehersteller ZF Friedrichshafen arbeitet seit geraumer Zeit mit dem Gaming-Spezialisten Nvidia aus Kalifornien zusammen, um Superrechnerleistungen im Auto zu implementieren. Bosch mit General Haptics aus Bristol, wenn es um die Gestenerkennung geht.

Die Industrie folgt dabei dem klimapolitischen Willen, den Ausstieg aus der Verbrennungstechnik zu erreichen. Als die Bundesregierung vor knapp einem Jahr die Förderung von Elektromobilität durch den Ausbau der Ladeinfrastruktur, die Steuerbefreiung für Arbeitgeber und eine zeitlich befristete Kaufprämie mit dem Ziel verbunden hat, bis 2020 rund eine Million E-Fahrzeuge produzieren zu lassen, war dies ein Weckruf für die Hersteller.

Nun wird nicht über Nacht der komplette Welt-Fuhrpark ausgetauscht. Und die Verkaufszahlen in Deutschland bleiben weit hinter der Erwartung zurück. Aber wenn selbst China 2018 eine Quote für E-Autos einführt, wird klar, dass es um das Überleben auf dem Weltmarkt geht. Völlig zu Recht treibt deshalb die Automobilindustrie den technologischen Paradigmenwechsel vehement voran.

Während die Industrie also einen Gang hochgeschaltet hat, würgte die Politik, nach dem Hupkonzert im September vergangenen Jahres den Motor schlicht ab. Eine Debatte oder Diskussion, wie wir den Know-How-Auto-Standort Deutschland verändern müssen, findet nicht statt.

Notwendig wäre ein Eilprogramm, das Start-ups in Deutschland steuerlich fördert, ein Bundes-Fonds, der direkt in junge Unternehmen investiert. Überfällig ist auch eine neue intelligente Einwanderungsmethodik, die den Import von Brain und Talenten fördert. Eine Studie zeigt, dass bei deutschen Start-ups fast jeder vierte Beschäftigte nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt.

Wir brauchen einen Industriepakt zwischen Herstellern, Zulieferern und Entwicklern auf der einen Seite, flankiert von einer Fülle von Maßnahmen durch die Politik. Jede Milliarde Euro, die in die Zukunftssicherung dieser Schlüsselindustrie fließt, hilft nicht nur, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, sondern dient dem Standort Deutschland insgesamt.

Merke: Andere Industrien werden folgen, wenn künstliche Intelligenz oder die Digitalisierung von Wertschöpfungsprozessen zum Alltag werden. Es gehört zur politischen Verantwortung gegenüber dem Bürger, sich dieser Diskussion zu stellen. Wegducken oder gar - im kleinen Kreis - schwarzzusehen, reicht jedenfalls nicht.

Der Autor ist Präsidiumsmitglied im SPD-Wirtschaftsforum.

Harald Christ

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false