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Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) berät über den Umgang mit sexualisierter Gewalt. Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs trug den Bericht dazu vor.

© Norbert Neetz/imago/epd

EKD-Synode in Würzburg: Auch Protestanten müssen Missbrauch aufarbeiten

Vergehen gibt es nicht nur unter Katholiken. Eine Kirche, die streng mit ihren Gläubigen ist, darf mit sich nicht weniger streng sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Alle schauen beim Thema Missbrauch auf die katholische Kirche – und was ist mit der evangelischen? Auch dort muss hingeschaut werden, das hat sich die jüngste EKD-Synode in Würzburg dieser Tage vorgenommen. „Dunkelfelder“ auszuleuchten, darum geht es für die Zukunft. Vor allen Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs hat daran mit ihrem Vortrag, der sowohl Herzen als auch Köpfe der 120 Synodalen erreichte, keinen Zweifel gelassen.

Gottlob. Denn zumal eine Kirche, die sich aufgeklärt nennt und streng mit ihren Gläubigen ist, darf mit sich, ihren Gremien und Einrichtungen dann nicht weniger streng sein. Und seitdem die Katholiken mit Zahlen an die Öffentlichkeit getreten sind – auch um mit den Schicksalen hinter jeder einzelnen Zahl angemessener als bisher umzugehen –, ist klar: Es gibt in beiden Kirchen viel aufzuarbeiten.

Jeder einzelne Fall ein „Seelenmord“

Das war ja auch ein hervorstechendes Ergebnis der repräsentativen Studie, die Wissenschaftler um den Ulmer Psychiater Jörg Fegert unlängst veröffentlicht haben. Befragt wurden rund 2500 Menschen zu Erfahrungen sexuellen Missbrauchs in kirchlichem Umfeld in Kindheit und Jugend. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland kamen sie dabei auf die erschreckende Zahl von 200.000 Opfern im Bereich der christlichen Kirchen. Knapp die Hälfte davon wird in der evangelischen Kirche verortet.

Kritiker wie die erste Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann, haben der EKD einige Male schon mangelndes Engagement bei der Aufarbeitung vorgeworfen. Bergmann, selbst in der evangelischen Kirche aktiv, hat nachdrücklich für eine umfassende Studie über den Umfang von Missbrauch plädiert. Anhaltspunkte und Schätzungen reichen ihr und weiteren Mitstreiterinnen wie Susanne Kahl-Passoth, der Vorsitzenden des Vereins Evangelische Frauen in Deutschland (Efid), nicht aus. Immerhin gehe es in jedem einzelnen Fall um „Seelenmord“, sagt Kahl-Passoth. Sie fordert, sich „in die Situation der Opfer einzufühlen".

Bisher ist die Rede von rund 480 Fälle seit 1950. Experten dringen vor dem Hintergrund, dass diese Zahl für unglaubwürdig gehalten wird, auf eine zentrale Anlaufstelle, an die sich alle Betroffenen wenden können. Auch weil es, anders als bei der katholischen Kirche, bis dato noch keinen Versuch gab, sämtliche Taten zu erfassen und aufzuarbeiten. Wie Bergmann feststellt: „Wir sind schließlich erst am Anfang der Aufarbeitung.“

Im Vorfeld der Synode hatte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm erklärt, dass ein Beauftragtenrat eingerichtet werden solle, mit der Hamburger Bischöfin Fehrs auch die Bischöfe Jochen Cornelius-Bundschuh (Baden) und Christoph Meyns (Braunschweig). Prävention wird jetzt großgeschrieben werden.  

Die Jugend gewinnen

Was auch gut ist. In der Vergangenheit hatten betroffene Kinder und Jugendlichen mitunter keine Chance gegenüber der Autoritätsperson des Pfarrers. Es wurden Pfarrer versetzt – wie in der katholischen Kirche –, die sexuelle Übergriffe begangen hatten. „Der Täter wurde geschützt, nicht die Kinder“, schreibt Bergmann in „Die Kirche“. Betroffene seien beim Versuch, ihre Geschichte aufzuarbeiten, oft auf eine „Mauer des Schweigens“ gestoßen.

Konkret sind die Forderungen: Anerkennung der Schuld, klare Übernahme der Verantwortung, konsequente Aufarbeitung. „Wir müssen bei den Menschen Vertrauen zurückgewinnen, die unseren Einrichtungen ihre Kinder und Angehörigen anvertrauen“, sagt dazu der Chef der Diakonie, Ulrich Lilie.

Die Diakonie Deutschland und die EKD mitsamt ihren 20 Gliedkirchen werden sich nun gemeinsam um die Aufarbeitung bemühen. Von der Diakonie gibt es immerhin schon ein „Bundesrahmenhandbuch 'Schutzkonzepte vor sexualisierter Gewalt'“. Das Vier-Augen-Prinzip bei der Betreuung, fachliche und organisatorische Standards, Supervision und unabhängige Ansprechpartner für Betroffene sowie Kinder- und Jugendparlamente – alles soll dazu dienen, die Jugend für die Kirche zu erhalten.

Oder besser: Die Jugend zu gewinnen, damit die Kirche nicht weiter auszehrt und an gesellschaftlicher Bedeutung verliert. Das ist im Übrigen das Oberthema nicht nur dieser EKD-Synode.  

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