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Multikultureller Alltag. Kanadas konservativer Premierminister Stephen Harper bei einem Unternehmensbesuch in der Nähe von Toronto.

©  Reuters/Mike Cassese

Einwanderung: "Was Deutschland von der Integrationspolitik Kanadas lernen kann"

Eine Vergleichsstudie zeigt, warum und wie Deutschland offensiver um Einwanderer werben sollte. Die Bundesregierung will „nachjustieren“ - bisherige Initiativen sind allerdings wenig erfolgreich.

Das Angebot ist verlockend. „Make it in Germany“ steht in geschwungenen Buchstaben auf dem Internetportal von Bundesregierung und Arbeitsagentur, daneben Bilder von lächelnden Ingenieuren asiatischer Herkunft und dunkelhäutigen Ärzten. Neben Fotos deutscher Landschaften und Städte kann sich der Besucher auf Deutsch und Englisch „In fünf Schritten zum Arbeiten in Deutschland“ klicken, garniert mit dem Slogan: „Ein guter Platz für Fachkräfte.“ So weit der Wunsch. Die Wirklichkeit ist von dem Bild, das die im Sommer gestartete Website www.make-it-in-germany.com vermittelt, noch weit entfernt. Das illustriert eine von der Robert- Bosch-Stiftung geförderte Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, die am Freitag in der kanadischen Botschaft in Berlin vorgestellt wurde: „Nach Punkten vorn – Was Deutschland von der Zuwanderungs- und Integrationspolitik Kanadas lernen kann.“

Es ist ein 75-seitiger Appell, offensiver in den Kampf um die besten Köpfe aus aller Welt einzusteigen und Deutschland nicht zum „monoethnischen Altersheim“ werden zu lassen, wie es Institutsdirektor Reiner Klingholz formulierte. Angesichts des Bevölkerungsrückgangs im Ausbildungs- und Erwerbsalter komme die Bundesrepublik nicht umhin, zunehmend auf ausländische Arbeitskräfte zu setzen. Statt wie bisher auf meist ungelernte oder gering ausgebildete Zuwanderer zu setzen, müsse Deutschland allerdings offensiver um gebildete Fachkräfte werben und sich als attraktives Einwanderungsland präsentieren. Hier sei Kanada ein Vorbild – auch, weil die Zuwanderung dorthin in den vergangenen Jahren immer stärker nach ökonomischen Gesichtspunkten gesteuert wurde, wie Stephan Sievert ausführte, Wirtschaftswissenschaftler und Hauptautor der Studie.

Während noch Anfang der 1990er Jahre der Familiennachzug ähnlich viele Zuwanderer nach Kanada brachte wie die Auswahl nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, habe sich das Bild heute drastisch gewandelt: So seien im vergangenen Jahr knapp 160 000 Kanada-Einwanderer nach wirtschaftlichen Kriterien ausgewählt worden – und lediglich knapp 60 000 über den Familiennachzug. „Kanada betreibt Einwanderung nicht aus sozialer Fürsorge, sondern rekrutiert pragmatisch Humankapital“, fasst Institutsdirektor Klingholz zusammen.

Die Resonanz auf die "Blue-Card" ist dürftig - kein Wunder

Die zwei zentralen Hebel sind dabei einerseits ein rigides Punktesystem, mit dem die jeweils höchst qualifizierten Einwanderer geholt werden, die sich erst nach ihrem Umzug nach  Kanada einen Job suchen, sowie andererseits gezielte Ausschreibungen von weniger qualifizierten Jobs in Branchen mit hohem Personalbedarf, zum Beispiel im Pflegebereich.

Die Mindestanforderungen sind dabei der Studie zufolge in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, so dass in den vergangenen fünf Jahren immer mehr Neu-Kanadier einen Universitätsabschluss oder zumindest höhere Schulabschlüsse hatten, während in Deutschland die Mehrheit neuer Einwanderer nach wie vor ungelernt ist – was neben der verschenkten ökonomischen Chance auch zu größeren Integrationsproblemen führt, wie Klingholz ausführte.

Inzwischen hat allerdings auch die Bundesregierung erkannt, dass man „nachjustieren“ müsse, wie eine Vertreterin des Bundesministeriums für Arbeit bei der Präsentation sagte. Dies sei der Zweck von Initiativen wie www.make-it-in-germany.com oder der seit dem Sommer erhältlichen „Blue Card“, sekundierte ein Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums. Dahinter verbirgt sich das jüngst von der Bundesregierung eingeführte Angebot, ausländische Fachkräfte leichter ins Land zu lassen, wenn sie einen deutschen Arbeitsvertrag mit einem Mindestgehalt zwischen 35 000 und 44 800 Euro im Jahr vorlegen können. Die Resonanz ist mit einigen Dutzend Blue-Card-Zuwanderern entsprechend dürftig.

Dies erklären die Autoren der Studie unter anderem damit, dass Deutschland über derartige Einzelinitiativen hinaus qualifizierten Ausländern kein abgestimmtes Angebot mache. Auch sei der Weg zu einer Arbeitserlaubnis und dem Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft für viele Ausländer undurchschaubar und unattraktiv. Kanada hingegen werbe inzwischen weltweit um Fachkräfte und locke gut ausgebildete Menschen damit, dass man ihnen schon in ihrem Herkunftsland Sprachkurse anbiete und ihnen bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse helfe. Auch seien Angebote für die Zeit nach der Ankunft in Kanada besser vernetzt, so helfen Übergangsprogramme bei Nachqualifizierung und Jobsuche, die Schulen böten spezielle Förderprogramme für Einwandererkinder.

Die Studie „Nach Punkten vorn“ gibt es hier gratis zum Herunterladen: www.berlin-institut.org

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