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Die Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht tobt ein Streit um die ideologische Besetzung von Lehrstühlen.

© Christoph Eckelt/HWR promo

Einträge ins LOGBUCH: Nicht nur neoklassisch

Es kann nicht gut sein, dass in der Ökonomie an den Hochschulen nur eine Denkart vorherrscht. Eine Kolumne.

An der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin ist ein Streit entbrannt: In einem Brief an den Berliner Staatssekretär für Wissenschaft befürchten Professoren eine ideologisch am freien Markt orientierte Ausrichtung durch ausbleibende oder tendenziöse Nachbesetzung in entscheidenden Themenbereichen wie Sozialpolitik, Nachhaltigkeit und Gender. Jetzt soll der Konflikt in der HWR durch eine externe Moderation geschlichtet werden. Dabei geht es hier um eine Frage, die weit über die HWR und Berliner Kommunalpolitik hinausreicht: Welches Wissen lässt der Wissenschaftsbetrieb weltweit zu, wenn es um Wirtschaft geht – und damit nicht zuletzt auch um die Verteilung von Ressourcen und den Umgang mit dem Planeten.

Mit Befremden saß ich als Student in wirtschaftswissenschaftlichen Seminaren in einem Hörsaal, an dessen Tür eine Danksagung aus Metall geschraubt war, weil eine große Bank ihn gespendet hätte. An meiner Uni lehrten nur wenige Professoren keynesianische Makro- und Entwicklungsökonomik sowie ein Professor Marx'sche politische Ökonomie, Klaus Peter Kisker. Die meisten Universitäten bevorzugten bis zur Finanzkrise 2008 neoklassische Theorie als herrschende Lehre. Also jene mathematische Ökonomie, die den Blick einzig auf das Problem der Knappheit richtet und hier zu dem Schluss kommt, dass abgesehen von einigen Ausnahmetatbeständen allein der Markt Ressourcen optimal alloziert. In einem Fach, indem es im Groben nur drei Hauptströmungen gibt – Keynes, Marx, Klassik/Neoklassik –, gehört viel politischer Wille und machtvoller Lobbyismus dazu, nur eine einzige dieser Strömungen gelten zu lassen. Aber zu welchem Preis? Mit den neoklassischen Modellen waren die Ökonomen weltweit weder in der Lage, die große Finanzkrise vorherzusehen, die 2008 begann und durchaus mit dem globalen Rechtsruck heute etwas zu tun hat, noch ihr zu begegnen. Dabei hatten andere ökonomische Schulen immer wieder auf die Fragilität des Systems hingewiesen. Das Konzept der „strukturellen Überakkumulation“ von Klaus Peter Kisker an der FU-Berlin etwa – um nur ein Beispiel zu nennen –, kommt in einer kritischen Auseinandersetzung mit Marx zu folgendem Schluss: Ab einem bestimmten Niveau des Wirtschaftswachstums sind Unternehmen nicht mehr in der Lage, ihre Kapazitäten auszulasten und befinden sich deshalb in einem Zustand permanenter Instabilität, die sehr schnell die Wirtschaft insgesamt in die Krise führt.

Indes ist es nicht sinnvoll, die ökonomischen Denkrichtungen gegeneinander abzuwägen, wenn es darum geht, Lehre und Forschung zu gestalten. Überlegungen aus der neoklassischen Theorie, wie mit Knappheit umgegangen werden soll, also etwa welche Menge an öffentlichen Gütern der Staat bereitstellen sollte oder spieltheoretische Ansätze um politische Aushandlungsprozesse zu analysieren, haben zu zentralen Erkenntnissen in Forschung und Politik geführt. Eine Vielfalt in der Wissensgenerierung ist notwendig, um einen Umgang mit einer komplexen Wirklichkeit zu finden. Mit der Einrichtung des Harriet-Taylor-Mill-Instituts für Ökonomie und Geschlechterforschung hat die HWR Berlin vor mehr als einer Dekade gezeigt, dass sie das Feld der Lehre und Forschung erweitern kann, in dem Fall durch feministische Wirtschaftsanalyse und Verhaltensökonomie. In der Diskussion darüber, welches Wissen zulässig ist und welches nicht, sollte die Autorität des besseren Arguments gelten und nicht die Autorität der Machtnähe.

Deniz Utlu

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