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Ort der Entscheidungen: Das Berlaymont-Gebäude, der Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel.

© Marcel Kusch/dpa

Einfluss im Machtzentrum der EU: Diese deutschen Netzwerke wirken in Brüssel

Südeuropäer machen es vor, die Deutschen müssen noch aufholen: In informellen Runden beeinflussen sie Politik und Karrieren in den europäischen Institutionen. Ein Überblick.

Es ist fast schon verpönt, einen Brüsseler EU-Beamten nach seiner Nationalität zu fragen. In ihrem Selbstverständnis geben die 32.000 Eurokraten morgens ihren Pass ab beim Betreten des Berlaymont, des Sitzes der Kommission.

Besonders gilt dies für die Deutschen, die rund 2100 Mitarbeiter in der Schaltzentrale der EU haben und damit nach Belgien, Italien, Spanien und Frankreich nur auf Platz fünf liegen.

Während gerade die Südeuropäer gern glucken, neigen die Deutschen in Brüssel dazu, ihr Deutschsein schamhaft zu verstecken.

Die langjährige EU-Abgeordnete Inge Gräßle (CDU) sagt sogar: „Oft tun gerade die Deutschen, wenn sie es einmal in Spitzenpositionen der EU geschafft haben, alles, um die nationale Karte eben nicht zu spielen.“

„Die Deutschen geben sich betont europäisch“

Gräßle beobachte das Muster in allen EU-Institutionen: Deutsche Beamte mögen ihre hohe Position auch deswegen bekommen haben, weil Deutschland gerade dran war. Doch sie zierten sich, wenn ein Landsmann einmal Fürsprache nötig habe. „Sie geben sich dann betont europäisch – wohl auch, weil sie sich von ihrem vermeintlichen Makel frei machen wollen, nämlich einst auf dem deutschen Ticket geschwommen zu sein.“

Natürlich organisieren sich auch die Deutschen in Brüssel. Es gibt Treffpunkte, Netzwerke, informelle Kreise, die dem Austausch von Informationen dienen und die bei der Karriere hilfreich sein sollen.

Es gibt sie, diese Runden. Nur: Keiner, der hier mitarbeitet, möchte mit seinem Namen in der Zeitung stehen.

Den deutschen Club, in dem man Mitglied sein muss und nebenbei vielleicht noch Golf spielt, gibt es aber nicht. Die Brasserie Bavaria – draußen in Nossegem – ist seit Monaten dicht. Die Maxburg – einst Traditionskneipe der Deutschen im EU-Viertel, in die Joschka Fischer Colin Powell auf ein deftiges deutsches Essen einlud – lange abgebrannt.

Viele deutsche EU-Beamte wohnen auf "Auerkrauthügel"

Knapp 40.000 Deutsche arbeiten in Brüssel, viele von ihnen im EU-Betrieb. Der Ortsteil Wezembeek-Oppem wird auch Sauerkrauthügel genannt. Dank des nahen Flughafens riecht es nach Kerosin und im Winter nach Kohl, den die Bauern hier anbauen. Die gesichtslose Schlafstadt mit überteuerten Einfamilienhäusern hat ihren Spitznamen aber auch, weil hier besonders viele Deutsche wohnen.

Ihre Kinder können zu Fuß zur nahe gelegenen deutschen Schule gehen. In diesen Wochen vor dem Wachwechsel im Sommer finden Grillfeste zum Abschied statt. Nach drei bis fünf Jahren in Belgien sind die Deutschen dabei meist unter sich. Französisch ist ihnen häufig zu schwer, Niederländisch zu wenig attraktiv. Außerdem bedarf es längerer Zeit, um einen Belgier zum Freund zu bekommen.

Kontaktbörsen sin die Vertretungen der Bundesländer

Die eigentlichen Treffpunkte sind andere. Zum Beispiel die Vertretungen der Bundesländer im Europaviertel. In Brüssel gibt es für alles ein Ranking, auch für die Vertretungen der Bundesländer. Eine Landesvertretung kann nur punkten, wenn sich hochkarätige Gäste aus Institutionen und Politik die Klinke in die Hand geben.

Bayern hat zwar die beste Immobilie, derzeit spielen Hessen, Niedersachsen und seit dem Wechsel an der Spitze auch Baden-Württemberg beim Programm und Publikum wieder weit vorne mit.

Noch so eine Anlaufstelle sind die katholische und die evangelische deutschsprachige Gemeinde. Ein deutscher Beamter, dessen steile Karriere in der Kommission nicht zuletzt durch sein Netzwerk befördert wurde, hat in der evangelischen Gemeinde jahrelang die Orgel gespielt.

Auch wenn unter Deutschen in Belgien die parteipolitischen Gräben nicht so tief sind wie in Berlin, so haben sich die informellen Netzwerke doch meist im jeweiligen politischen Umfeld organisiert. Die parteinahen Stiftungen helfen.

So hatte jüngst das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung die Netzwerker der deutschen Sozialdemokratie zu einem Kennenlernabend geladen. Alle Parteien haben zudem Brüsseler Ortsvereine, die auf Bundesparteitagen auch Delegierte stellen.

In den wirklich einflussreichen Runden haben Lobbyisten keinen Platz

Doch die wirklich einflussreichen Runden sind andere. Da sind die Beamten aus den Institutionen unter sich, Lobbyisten, selbst mit dem eigenen Stallgeruch, will man nicht dabeihaben. Neben der inhaltlichen Vernetzung geht es bei diesen Treffen immer auch darum, bei der Personalpolitik mitzumischen.

Alle fünf Jahre, wenn die Europawahl gelaufen ist und der Kommissionspräsident feststeht, kommt ihre Bewährungsprobe. Gelingt es, im engsten Arbeitsumfeld der 26 EU-Kommissare Parteifreunde zu platzieren?

Bei den Liberalen laufen die Fäden beim Kommissionsbeamten Frank Hoffmeister zusammen. Alle sechs Wochen trommelt der Jurist FDP-Leute aus den drei Institutionen zusammen. 

„Dabei kommen jeweils etwa acht Leute“, sagt Hoffmeister. Schon in den 70er Jahren wurde die Auslandsgruppe Europa gegründet, der in Brüssel etwa 30 Personen angehören. Die deutschen Liberalen gingen bei der letzten Runde der Besetzung der Kabinette aber leer aus.

Bei den deutschen Sozialdemokraten in den EU-Institutionen gibt es drei Ansprechpartner: Das sind der Kommissionsbeamte Eike Klapper, Ex-Büroleiter von SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, Lutz Güllner, ein Karrierebeamter aus dem Europäischen Auswärtigen Dienst, sowie als ranghöchster deutscher Sozialdemokrat in der Kommission Paul Nemitz, Sonderberater im Direktorenrang.

Die Sozialdemokraten haben auch in Brüssel schon bessere Zeiten gesehen. Man trifft sich unregelmäßig in einem Kreis von zehn bis 20 Beamten. Die Teilnehmer sind eher aus dem Maschinenraum der Kommission. Fast alle deutschen Sozis in Spitzenjobs sind mittlerweile in Rente. Trotz großer Mühe ist es nicht gelungen, einen aktiven deutschen Sozialdemokraten in das Kabinett eines Kommentars zu bringen.

Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission zusammen mit ihrem Kabinettschef Björn Seibert.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission zusammen mit ihrem Kabinettschef Björn Seibert.

© Thierry Monasse/dpa

Am besten aufgestellt sind die Christdemokraten. Eigentlich ist der Kabinettschef des deutschen Kommissars der wichtigste Anlaufposten für deutsche Interessen. Da aber Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin nicht in der Rolle eines deutschen Kommissars ist, sondern gesamteuropäisch gesehen werden will, fällt ihr Kabinettschef Björn Seibert dafür aus.

Die Union hat dafür ein anderes Schwergewicht: Michael Hager, Kabinettschef des Vize-Kommissionspräsidenten Valdis Dombrovskis. Hager hat in der Runde der Kabinettschefs die längste Erfahrung. Er hatte seit 2013 das Kabinett des deutschen Kommissars Günther Oettinger geleitet und da Erfahrungen in einer Handvoll Politikbereichen gesammelt.

Sein ehemaliger Chef Oettinger war zuletzt nicht nur für die Finanzen, sondern auch für Personal zuständig. Hager kennt die Behörde wie kein anderer, er weiß, welche Jobs frei werden. Wenn ein Kommissar einen Deutschen für sein Kabinett suchte, wandte der sich an Hager.

Fehlt als deutscher Interessenvertreter: Der ehemalige EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger.
Fehlt als deutscher Interessenvertreter: Der ehemalige EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger.

© Wiktor Dabkowski/ZUMA Wire/dpa

Dieser dürfte Mitglied in der „Genval“-Runde sein: In dem Kreis, benannt nach einem See vor den Toren Brüssels, kommen höchst vertraulich zwei, drei Mal im Jahr führende unionsnahe Beamte aus Berlin und Brüssel zusammen.

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Hager ist zudem Teil eines Netzwerkes der Union, das bereits in den 70er Jahren gegründet wurde, als die Union im Bund die Macht verlor und damit von allen Informationen aus Europa abgeschnitten war: Gemeint ist die Aktionsgemeinschaft der CDU/CSU-nahen Beamten in Brüssel.

Es gibt keine Mitgliederkartei und keine Vereinskasse

Das sind derzeit 20 bis 25 Beamte. Parteibuch ist nicht Pflicht, geleitet wird sie von Markus Schulte, ebenfalls früher Mitglied im Kabinett Oettingers. Man versteht sich eher als Freundeskreis. Es gibt keine Mitgliederkartei und keine Vereinskasse. Wenn Kosten entstehen, werden sie unter allen umgelegt.

Es wäre falsch, die Aktionsgemeinschaft als Geheimbund mit dem Hauptziel der Karriereförderung zu verstehen. Es treffen sich dort vielmehr Beamte, die nicht nur Karriere machen, sondern auch etwas in der Sache bewegen wollen.

Die Aktionsgemeinschaft versteht sich in erster Linie als Dienstleister. Wenn ein Unionspolitiker erstmals nach Europa gewählt wird, so kann er von den Beamten das Handwerkszeug lernen, um im EU-Betrieb klarzukommen.

Für Karrieristen sei die Aktionsgemeinschaft die falsche Adresse, sagt einer, der sie gut kennt. Die Aktionsgemeinschaft frage nicht, sie werde vielmehr gefragt. Ihr ideologisches Konzept sei der Gedanke, der Politik zu dienen. Wenn es gelinge, bei der Karriereplanung behilflich zu sein, so sei das ein schöner Nebeneffekt.

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