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In Metropolen wie hier in Köln treffen viele Menschen aufeinander.

© Marius Becker/dpa

„Einen Lockdown verhindern“: Warum Großstädte zu Pandemie-Treibern werden

Die Corona-Neuinfektionen steigen besonders in den Metropolen stark. Merkel berät deshalb direkt mit elf Bürgermeistern über Lage auch der Gesundheitsämter.

Angesichts stark gestiegener Corona-Infektionszahlen berät Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ab Freitagmittag mit den Verantwortlichen der elf größten deutschen Städte über die Lage. An der Videokonferenz werden nach Angaben eines Regierungssprechers die Oberbürgermeister und Bürgermeister von Berlin, Hamburg, Bremen, München, Frankfurt am Main, Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Leipzig und Stuttgart teilnehmen.

Die Corona-Entwicklung gerade in den Großstädten besorgt die Politik zunehmend. In Berlin, Frankfurt und weiteren Städten wie Bremen hat die sogenannte 7-Tage-Inzidenz den kritischen 50er-Wert überschritten. Er bildet die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen ab und ist ein wichtiger Grenzwert für schärfere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Zur Lage in der Hauptstadt und der Gesamtentwicklung wollen sich am Morgen Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und der Virologe Christian Drosten äußern.

Am Donnerstag war bundesweit die Zahl der Neuinfektionen sprunghaft auf mehr als 4000 Neuinfektionen binnen eines Tages gestiegen. Auch Nordrhein-Westfalen ist ein Problemgebiet. Mit Köln und Essen liegen zwei nordrhein-westfälische Großstädte in der Corona-Pandemie nur noch ganz knapp unter der wichtigen Warnstufe von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen.

Das nordrhein-westfälische Landeszentrum Gesundheit (LZG) gab den Wert für Köln am Freitag mit 49,8 an (plus 4,4 im Vergleich zum Vortag), für Essen mit 48,4 (plus 5,0). Einen massiven Anstieg gab es in Herne: Die Ruhrgebietsstadt kam auf einen Wert von 56,2 (plus 22,4 im Vergleich zum Vortag) und gilt damit jetzt als Corona-Risikogebiet.

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Städtetagspräsident Burkhard Jung bezeichnete den rasanten Anstieg in Deutschland als Alarmzeichen. „Ob es gelingt, die zweite Corona-Welle zu bremsen, wird sich in den nächsten Wochen in den großen Städten entscheiden“, sagte der Leipziger Oberbürgermeister der Deutschen Presse-Agentur. „Denn dort leben viele Menschen auf dichtem Raum.“

„Die Städte tun alles, um die Pandemie unter Kontrolle zu halten“, sagte Jung. Viele Städte handelten bereits nach einem Stufenkonzept. „Sobald in einer Stadt die bundeseinheitlichen Stufen von 35 oder 50 Corona-Erkrankungen je 100.000 Einwohner überschritten werden, greifen strenge Auflagen. Das können eine ausgeweitete Maskenpflicht sein, Obergrenzen bei Veranstaltungen oder eingeschränkte Besuchsregeln in Krankenhäusern oder Pflegeheimen.“ Jung warnte zugleich, wenn die Neuinfektionen weiter rasant stiegen, erreichten die Gesundheitsämter ihre Grenzen.

Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) will im Gespräch mit Merkel dafür werben, dass sich die Metropolen bei ihren Corona-Maßnahmen noch besser koordinieren. „Das schafft Verlässlichkeit und Vertrauen“, sagte Feldmann.

Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn erinnert die Lage stark an die Situation im März. „Immer mehr Fälle werden registriert, das Infektionsgeschehen wird diffuser. Das bereitet uns Sorgen“, sagte der Grünen-Politiker. „Wir wollen einen weitreichenden Lockdown verhindern.“ Deshalb würden private Zusammenkünfte eingeschränkt. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt waren angesichts steigender Infektionszahlen bereits am Mittwoch die Auflagen für Feiern verschärft worden.

Bremens Regierungschef Andreas Bovenschulte (SPD) sagte: „Wir werden jetzt alles daran setzen, dass die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen wieder unter den kritischen Wert von 50 gedrückt wird.“ Die Obergrenze war am Donnerstag in der Hansestadt gerissen worden. Seitdem gelten schärfere Regeln für private Feiern, öffentliche Veranstaltungen und auch für das Tragen von Masken.

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In Berlin gelten ab Samstag eine nächtliche Sperrstunde und strengere Kontaktverbote für drinnen und draußen. Die meisten Geschäfte sowie alle Restaurants und Bars müssen von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr schließen. Im Freien dürfen sich von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr nur noch fünf Personen oder Menschen aus zwei Haushalten versammeln. An privaten Feiern in geschlossenen Räumen dürfen nur noch maximal zehn statt bisher 25 Personen teilnehmen. Zudem gibt es eine allgemeine Maskenpflicht in Büro- und Verwaltungsgebäuden.

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) verteidigte die Bundeshauptstadt vor Kritik: „Wer einen Vorschlag hat, wie man es besser macht als Berlin, soll ihn nennen“, sagte er dem „Spiegel“. Das Bashing einzelner Städte oder Länder helfe nicht weiter. „Es gab Zeiten, da hatte München die höchsten Infektionsraten. Und da hat auch niemand gesagt, dass das an der Natur der Münchner liegt.“

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warf den deutschen Großstädten und insbesondere Berlin dagegen mangelnde Disziplin und politische Fehler vor. „Gerade in Großstädten wie Berlin lässt die Disziplin erkennbar nach und die Stadtpolitik macht erhebliche Fehler“, sagte Dobrindt der „Passauer Neuen Presse“. Das betreffe „die Zulassung großer Feiern und Festivals sowie fehlende Kontrollen bei der Einhaltung der Hygienevorgaben“.

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„Das alles trägt leider erheblich zur Verbreitung des Virus bei“, sagte Dobrindt. Lokale Ausbrüche müssten aber lokal und konsequent bekämpft werden. Sein Bundesland Bayern habe „mit Garmisch und München gezeigt, wie das gelingen kann“.

In Berlin hingegen scheine die Nachverfolgung von Infektionsketten "nicht ausreichend gewährleistet zu sein“. „Aus ideologischen Gründen dabei auf die Unterstützung der Bundeswehr zu verzichten, ist höchst fahrlässig und gefährlich“, sagte der CSU-Politiker.

Aus Dobrindts Sicht sind die Befürchtungen „real, dass wir im Dezember zu täglichen Infektionszahlen von über 19.000 kommen können“. Eine solche Entwicklung müsse dringend vermieden werden, „um nicht in einen faktischen Lockdown zu kommen, weil sich zu viele Menschen in Deutschland gleichzeitig in Quarantäne aufhalten müssen“.

Auch die Bundesregierung warnte vor dem Städtegipfel eindringlich vor einer Verschärfung der Lage. Kanzleramtschef Helge Braun sagte in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“, man müsse erreichen, dass Corona-Kontakte vollständig nachvollziehbar seien. In einigen Hotspots gelinge das nicht mehr. Der CDU-Politiker mahnte die Menschen über den Herbst und Winter, noch einmal Disziplin zu wahren und sich die Corona-App herunterzuladen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rief in der Sendung „ARD extra“ die Menschen auf zu überlegen, ob eine geplante Reise oder Feier jetzt sein müsse.

Der Chef des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery: „Niemand kann behaupten, dass wir aktuell die Infektionsausbreitung unter Kontrolle hätten.“ Zwar sei Deutschland von einer Überforderung des Gesundheitswesens noch weit entfernt, doch „wir müssen diesen Kontrollverlust eindämmen“, mahnte Montgomery in der „Passauer Neuen Presse“ . (dpa)

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