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Ein türkisches Gefängnis in der Nähe von Istanbul.

© imago/Le Pictorium

„Eine neue Eskalationsstufe“: Türkei nimmt wieder Bundesbürger ins Visier

Die Türkei provoziert mit Verhaftungen und Klagen neuen Krach mit Deutschland. Der Grünen-Politiker Kilic kritisiert die Justiz als „Unterdrückungswerkzeug“.

Nach einer Phase der relativen Ruhe im deutsch-türkischen Verhältnis setzt Ankara nun wieder missliebige Bundesbürger juristisch unter Druck und riskiert damit neuen Ärger mit Berlin. Die Behörden ließen die Tochter der in der Türkei inhaftierten Kölner Sängerin Hozan Cane verhaften. Gleichzeitig wurde eine Beleidigungsklage von Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen den ehemaligen Grünen-Bundestagsabgeordneten Memet Kilic bekannt.

Kilic warf der türkischen Regierung im Gespräch mit dem Tagesspiegel vor, die Justiz des Landes „weitgehend zu einem Unterdrückungswerkzeug“ gemacht zu haben. Er rief die deutsche Regierung zu einer härteren Gangart gegen die Türkei auf.

Hozan Cane war im vergangenen Jahr zu einer sechsjährigen Haftstrafe wegen angeblicher Propaganda für die terroristische Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verurteilt worden. Ab dem kommenden Montag muss sich die kurdischstämmige Künstlerin mit deutschem Pass außerdem wegen des Vorwurfs der Präsidentenbeleidigung vor Gericht verantworten. Grund ist eine Erdogan-Karikatur, die sie auf Facebook verbreitet haben soll.

Die deutsch-kurdische Sängerin Hozan Cane muss sich ab Montag vor Gericht verantworten.
Die deutsch-kurdische Sängerin Hozan Cane muss sich ab Montag vor Gericht verantworten.

© --/Management/dpa

Canes Tochter Gönül Örs, die einen deutschen und einen türkischen Pass besitzt, war im Mai in die Türkei gereist, um ihre Mutter im Gefängnis zu besuchen; während ihres Aufenthaltes wurde eine Ausreisesperre gegen sie verhängt, weil sie im Jahr 2012 an einer Veranstaltung teilgenommen hatte, bei der auch PKK-Anhänger anwesend gewesen sein sollen. Nun wurde Örs bei dem Versuch verhaftet, die Türkei trotzdem zu verlassen.

SPD kritisiert „perfides“ Vorgehen

Aus Sicht des menschenrechtspolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion, Frank Schwabe, ist das Vorgehen der türkischen Justiz gegen Gönül Örs „besonders perfide“, wie er dem Tagesspiegel sagte. „Sie wollte ihrer Mutter menschlichen Beistand leisten und ist jetzt selbst im Gefängnis. Die Türkei ist auf dem Weg, die Beziehungen zu Deutschland wieder drastisch zu verschlechtern.“ Örs sei nur ein Beispiel von Dutzenden Fällen, in denen Deutsche wegen absurder Vorwürfe inhaftiert oder an der Ausreise gehindert würden. Schwabe forderte, Örs müsse umgehend frei gelassen werden und die Türkei verlassen dürfen.

Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin verlautete, das Ministerium sei über die Verhaftung von Örs informiert. Die deutsche Botschaft Ankara und das Generalkonsulat Istanbul stünden in engem Kontakt mit Anwalt und Familie der Betroffenen. Ein Haftbesuch sei beantragt.

Nach einer schweren Krise in den deutsch-türkischen Beziehungen im Jahr 2017 hatte sich das Verhältnis der beiden Staaten wieder etwas erholt, nicht zuletzt weil die Türkei einige Bundesbürger aus der Haft entließ. In jüngster Zeit waren aber erneut Bundesbürger wegen politischer Vorwürfe in Haft genommen worden. Während Deutschland der Türkei vorhält, Bundesbürger wegen bloßer Meinungsäußerungen hinter Gitter zu bringen, beklagt die türkische Regierung die Weigerung deutscher Stellen, Terror-Verdächtige aus der Bundesrepublik auszuliefern.

„Schlagkeule gegen Oppositionelle“

Auch der Fall des deutsch-türkischen Politikers und Anwalts Kilic könnte zu einem neuen Streitfall werden. Bei der Anklage gegen den 52-jährigen in Ankara wegen Präsidentenbeleidigung in einem Zeitungsinterview im Jahr 2017 tritt Erdogan als Nebenkläger auf. Kilic sagte dem Tagesspiegel, die Staatsanwaltschaft forderte nicht nur eine bis zu sechsjährige Haftstrafe, sondern auch die Aberkennung seiner Zulassung als Anwalt in der Türkei. Da von seinem türkischen Anwaltspatent seine Zulassung in Deutschland abhänge, sei die Klage auch ein Versuch, ihn beruflich zu ruinieren.

Memet Kilic ist wegen Präsidentenbeleidigung in der Türkei angeklagt.
Memet Kilic ist wegen Präsidentenbeleidigung in der Türkei angeklagt.

© Christoph Schmidt/dpa

Die Justiz in der Türkei werde als „Schlagkeule gegen Oppositionelle“ benutzt, sagte Kilic. Die Anklage gegen ihn sei „eine neue Eskalationsstufe“, denn bisher habe die türkische Justiz noch nie Anklage gegen einen Politiker in Deutschland erhoben. Von der Bundesregierung forderte Kilic „klare Kante“ gegenüber der Türkei. Ob er zum Auftakt des Prozesses gegen ihn im Dezember nach Ankara reisen wird, hat Kilic noch nicht entschieden.

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