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Teil der britischen Identität: In Liverpool haben die Beatles längst ihr Denkmal im Stadtbild.

© Peter Byrne/PA/dpa

Eine nationale Affäre: Die Beatles, die Briten und der Brexit

Über die Fab Four ist eine neue Biographie auf Deutsch erschienen. Anlass für ein paar Gedanken über den Zusammenhang von Sixties und EU-Austritt.

An Selbstbewusstsein hat es ihnen nie gemangelt. „They will if it’s us – Sie werden’s tun, wenn wir es sind“: Das war die lakonische Antwort John Lennons auf den aufgeregten Einwand des Produzenten George Martin, eine Single mit mehr als sieben Minuten Länge werde von Radio-Discjockeys nicht gespielt. Aber Paul McCartneys Hymne „Hey Jude“ lief (und läuft) auf allen Sendern. Bei einer Pressekonferenz im August 1964 in Los Angeles wurde Lennon gefragt, was die Beatles machten, wenn die Blase platze. „Wir suchen uns einen Job“, gab er zurück. Aber die Blase platzte nie.

Zu den vielen Büchern über die Band hat sich ein neues gesellt, das nun in deutscher Übersetzung erschienen ist. Verfasst hat es Craig Brown, ein viel gelesener und viel schreibender britischer Kolumnist, Satiriker und Spaßvogel. Für das Original „One, Two, Three, Four“ bekam er 2020 sogar den lukrativen Baillie-Gifford-Sachbuchpreis.

Brown hat sich auf seine Art an die Beatles herangemacht. Herausgekommen ist eine Biografie in 150 Kapiteln, mal kürzer, mal länger, aber selten mehr als sieben Minuten. Er selbst nennt seinen Ansatz kaleidoskopisch. Über mehr als 600 Seiten werden Anekdoten, Geschichtchen, kleine Tragödien und Komödien, Skandälchen, Ärgernisse und Absurditäten aneinandergereiht.

Mähnen und Melodien

Was die Qualität der einzelnen Kapitel betrifft, geht es rauf und runter wie auf einer McCartney-Platte. Oder um bei den Beatles zu bleiben: Viel „Penny Lane“, aber auch jede Menge „Hello Goodbye“. Eine ordentliche Portion „Maxwell’s Silver Hammer“ muss man auch aushalten. Um die Musik an sich geht es allerdings kaum. Es geht Brown um das Drumherum. Zum Beispiel die Frisuren – man hat ja vergessen, dass es anfangs eher die Mähnen waren als die Melodien, die Aufsehen erregten. Man sei in den Sechzigern beim Haarschnitt den Beatles kaum hinterhergekommen, heißt es an einer Stelle.

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Brown ist Sammler, nicht Jäger, und schon gar nicht Goldgräber. Er schöpft vor allem aus der riesigen Vorproduktion anderer Autoren aus fünf Jahrzehnten, ergänzt um ein bisschen Autobiografisches, wenig eigene Analyse und eine Handvoll treffsicherer Kurzreportagen über seine Ausflüge nach Liverpool, Hamburg und zu Beatles-Revival-Events. Über weite Strecken ergibt das jedoch eine amüsante Lektüre.

Running Gag des Buches sind Kapitel über Neben- und Randfiguren der recht wilden Gruppengeschichte. Brown lässt sie geschickt auf- und abtauchen, um so immer wieder neues Licht auf die vier Hauptfiguren werfen zu können. Die tragische Figur in dem Stück ist Brian Epstein, der Manager der Band, der 1967 Selbstmord beging, ausgebrannt nach fünf schnellen Jahren, ausgezehrt von Drogen zum Aufputschen und Tabletten zum Runterkommen – und wohl auch der Erkenntnis, dass seine Schützlinge ihr Geschäft in die eigenen Hände nehmen wollten.

Rettung durch Auflösung

Was diese dann auch taten. Das Ergebnis, das anfängliche Desaster ihrer Firma Apple, wird von Brown nüchtern und mit schwarzem Humor beschrieben. Es war das Ende der Band. Sie zerfiel wegen der Streitereien um Geld, Verträge, Berater, Plattenpläne – und am gegenseitigen Überdruss. Yoko, nicht gerade der Liebling Browns, hatte wenig damit zu tun.

Aus der Boy Group, die sich neu- und lebensgierig in das Abenteuer einer Pop-Karriere stürzte, in den Traum vom schnellen Ruhm, von den schnellen Millionen und den schnellen Begegnungen, war in wenigen Jahren ein von Irrsinn (dem eigenen und dem anderer) und Drogenkonsum geplagtes Quartett von zu schnell gereiften und dennoch naiven Endzwanzigern geworden. In der Auflösung ihrer Zusammenarbeit sahen sie die Rettung ihrer Individualität. Sie waren überfordert von sich selbst und wollten die Kontrolle über ihr Leben zurück, ein häufiger Trennungsgrund (siehe unten). Browns Biografie steuert auf diese Erkenntnis zu, ohne sie ausdrücklich zu formulieren.

Globale Botschaft, aber auf britische Art: 1967 brachten die Beatles "All You Need is Love" heraus.
Globale Botschaft, aber auf britische Art: 1967 brachten die Beatles "All You Need is Love" heraus.

© imago/United Archives

Die Beatles haben die Sixties mitgeprägt wie wenige andere im Showgeschäft, und damit ihre, die Beatles-Generation. Brown, Jahrgang 1957, gehört ihr an, wenn auch als Teil der letzten Kohorte. Er schreibt über ein Phänomen, mit dem er aufwuchs. Man könnte sein Buch zwar als versuchten Denkmalsturz deuten, aber weil er mit Lennon, McCartney, Harrison und Starr biografisch verbunden ist, seit er bei den Boyscouts „Yellow Submarine“ trällerte, fallen unsere Helden weich. Brown hat sich die Beatles nicht als sezierender Historiker vorgenommen, sondern mit jener Mischung aus Sympathie und Distanz, mit der Sechzigjährige auf ihre Jugend zurückblicken.

"...sprechen wir über uns selbst"

Kapitel 83 beginnt mit dem Satz: „Wenn wir über die Beatles sprechen, sprechen wir über uns selbst.“ Er ist wesentlich für das ganze Buch. Gemeint ist nicht die ganze Menschheit, sondern deren britischer Teil. Während alle anderen die Vier und ihre Musik als globales Ereignis betrachten, sozusagen kulturelle Aneignung betreiben, sind die Liverpooler für die Briten eine nationale Angelegenheit. In der Rezension von Browns Buch in der „Financial Times“ heißt es, sie seien Teil der britischen Nationalidentität.

Brown zitiert den Publizisten James Morris, der 1966 schrieb, die Beatles hätten „die alten sozialen Grenzen einfach ignoriert und die Barrikaden der Gepflogenheit im Sturm genommen“. Sie hätten sich von Großbritanniens Anspruch auf Herrlichkeit losgesagt, nun herrsche ein „frühlingshaftes und überschäumendes Gefühl von Befreiung“. Und dieses Gefühl ist für eine ganze Generation mit den Beatles und ihrer Musik (und mit allen anderen Interpreten des echten Brit-Pop jener Ära) verbunden.

Der Historiker David Edgerton hat vor einigen Jahren eine viel beachtete Geschichte seines Landes im 20. Jahrhunderts veröffentlicht: „The Rise and Fall of the British Nation“. Seine These: Die eigentliche nationale Phase reichte von den Vierzigern bis in die frühen Siebzigerjahre. In diesem Zeitraum waren die Briten ganz auf sich zurückgeworfen, wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich. Davor gab es die imperiale Epoche mit globaler Macht und Herrlichkeit und der industriellen Vorrangstellung in der Welt, aber auch Klassengesellschaft und Herrschaft der Wenigen.

Eine durchaus angenehme Zeit

Dann kamen, ähnlich wie im Wirtschaftswunder-Deutschland, soziale Nivellierung, demokratischer Aufbruch, die Abkehr von Illusionen und Schrecken der Vergangenheit und eine ökonomisch durchaus angenehme Zeit für die meisten, also die Nation. Aus dem globalen Großbritannien wurde zunächst ein europäisches Land unter anderen, was dann den Einstieg in die Europäische Gemeinschaft bald darauf erleichterte, mit der wieder eine neue Phase in einem multinationalen Zusammenhang begann. Die Beatles-Generation stimmte beim Referendum 1975 mehrheitlich für den EG-Beitritt.

In der Volksabstimmung 2016 ging es in die andere Richtung. Die Vierziger- und Fünfziger-Jahrgänge votierten deutlich pro Brexit. Edgerton sieht darin eine Form nationaler Selbstvergewisserung, die sich an dem Slogan „take back control“ festmachte, untersetzt von dem Gefühl „of losing a country“ – ein Land zu verlieren. Es war allerdings nicht die Sehnsucht nach Empire-Herrlichkeit oder wirtschaftlicher Dominanz wie im 19. Jahrhundert. Es war die Sehnsucht nach dem Land der Sixties, als Großbritannien sich befreit hatte von jener imperialen Vergangenheit, die nichts mehr taugte, und einer hierarchischen Gesellschaft, die niemand mehr wollte. Es war die Sehnsucht nach der Zeit, als die Nation die Kontrolle über sich bekommen hatte – begleitet von „She Loves You“, „Paperback Writer“ und „Strawberry Fields Forever“.

Ein nationales Produkt

Das Brexit-Votum kam nach Edgerton von denen, „die in einer nationalen Zeit aufwuchsen, als es eine nationale Industrie gab, die nationale Produkte herstellte“. Die Beatles waren eines der erfolgreichsten dieser Produkte, und angeführt von ihnen gelangte die britische Pop-Industrie zu Weltgeltung. Es waren ja nicht nur die Fab Four, die es den Amerikanern zeigten (und den Europäern sowieso) – da waren die Stones, die Who, Cream, die Hollies, die Bee Gees, selbst Herman’s Hermits waren ein Exportschlager. Später in den Siebzigern kamen Led Zeppelin, Deep Purple, Genesis, Queen, das Electric Light Orchestra, David Bowie, Elton John. Auf ihre Weise schwammen auch die früh geschiedenen Beatles da noch mit.

Und so summten Brexit-Wähler möglicherweise still ein Beatles-Lied, als sie ihr Kreuzchen machten am 23. Juni 2016, „Yellow Submarine“ vielleicht, der Song war ziemlich genau 50 Jahre zuvor ein Hit. Jene Jahre waren gute Jahre. In „One, Two, Three, Four“ kommt das Stichwort Brexit zwar nur einmal vor, im Zusammenhang mit einer der Randfiguren. Aber die Szene passt. 2019 trifft Brown bei der „Beatles Convention“ in Liverpool auch Bill Smith, der 1956 kurz Mitglied der „Quarrymen“ war, Lennons Skiffle-Gruppe. Als Brown sagt, jemand habe ihm geraten, bloß nicht den Brexit zu erwähnen, beginnt Bill Smith einen langen Vortrag über die Ungerechtigkeiten der EU.

Brexit ja, Brexit naja: Ringo Starr und Paul McCartney.
Brexit ja, Brexit naja: Ringo Starr und Paul McCartney.

© Ben Stansall/AFP

Ringo Starr ließ einmal durchblicken, er hätte – „to be in control of your country is a good move“ – auch für den EU-Austritt gestimmt (war aber wohl irgendwie verhindert), und McCartney ließ seine Haltung offen, weil alles so komplex sei (und ihm eine klare Haltung möglicherweise schlecht fürs Geschäft erschien). Aber einige Jahre vorher sang er vergangenheitsselig vom „English tea, very twee, very me“. Viele Bands der Sechziger pflegten einen sehr eigenen, britischen Stil – vor allem die Kinks, die Who oder die Small Faces, bevor sie sich stärker am amerikanischen Geschmack orientierten.

Nach Europa, über den Atlantik?

In der Erinnerung an ihre Jugendzeiten entfiel der Beatles-Generation, warum sie sich 1975 in großer Zahl anders entschieden hatte. Damals machte sich die Nation auf nach Europa, weil sie sich hier besser aufgehoben fühlte. Der nationale Elan der Jahrzehnte davor hatte der ernüchternden Erkenntnis einer nunmehr lahmenden Wirtschaft Platz gemacht, die von der Einbindung in den größeren Zusammenhang profitieren sollte.

Viele britische Rockstars schlugen allerdings die andere Richtung ein. „Atlantic Crossing“ nannte Rod Stewart in jenem Jahr ganz programmatisch sein neues Album. Lennon war da längst in New York, auch die anderen Beatles hatten später Wohnsitze in den USA. Man kann darin auch eine Art Brexit sehen. Britische Pop-Heroen vermischten sich mit den amerikanischen zu einem global agierenden Jetset der Stadionrocker. Die einen hie, die anderen da – wer hatte da nun wen sitzen lassen? Dass nicht wenige Brexit-Anhänger heute irgendwie dasselbe wollen, nur eben 40 Jahre später, eine Zukunft ihres Landes in einer imaginierten „Angloworld“, ist eine Ironie der Geschichte.

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