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Vitrine im Juwelenzimmer des Grünen Gewölbes im Dresdner Residenzschloss.

© imago/momentphoto/Bonss

Einbruch im Grünen Gewölbe in Dresden: „Dieser Raub trifft uns ins Herz“

Der Diebstahl in Dresdens Grünem Gewölbe erschüttert Sachsen. Der Schaden ist unschätzbar. Und der Freistaat nicht versichert.

Es sind etwas mehr als acht Stunden vergangen seit dem Notruf, der 4.59 Uhr die Dresdner Polizei erreicht hat, als deren Spitzen zusammen mit der Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlung Dresden und dem Direktor des Grünen Gewölbes an die Öffentlichkeit gehen und davon berichten, was sie über den Diebstahl dort wissen. Sie wissen über die Minuten kurz vor und kurz nach 5 Uhr – und das sagen sie selbst so ähnlich – wenig.

Marion Ackermann, die Generaldirektorin, sagt: „Keiner von uns“ sei bisher am Tatort gewesen, dort wo am frühen Morgen drei Juwelengarnituren gestohlen wurden. Die Spurensicherung sei noch dort. Ackermann sagt: „Es ist der Staatsschatz des 18. Jahrhunderts.“ Das weiß sie.

Die Beamten wissen, dass es bei ihrem Eintreffen vorm Grünen Gewölbe und auch im gesamten Residenzschlossviertel dunkel war. In der Nähe brannte es bei einem Stromverteilerkasten. Bekannt ist den Beamten, dass die Polizei fünf Minuten nach dem Notruf – es war kein automatisch ausgelöster, sondern ein „händischer Alarm“ – am Grünen Gewölbe gewesen ist, noch eine Minute später habe es einen einen ersten Hinweis auf ein Fluchtfahrzeug gegeben. Um 5.06 Uhr nahmen 16 Funkstreifenwagen, alle in der Stadt verfügbaren, die Fahndung auf. Was die Polizei nicht genau weiß, ist die Zahl der Täter, auf den Überwachungskamerabildern seien zwei zu sehen. „Verschiedene Videoaufnahmen“ allerdings müssten erst „lesbar“ gemacht werden.

Sie wissen, dass es zumindest einen zeitlichen Zusammenhang gibt zu einem Autobrand in einer Tiefgarage am gegenüberliegenden, nördlichen Elbufer. Das Fahrzeug war abgemeldet, die Polizei sucht nach dem Halter. Dass es sich um das Fluchtfahrzeug handeln könnte, kann bisher nicht ausgeschlossen werden.

Die Fahndung wurde auf Brandenburg ausgeweitet

Das Auto ist vermutlich angezündet worden, für eine Spurensicherung sei es zu früh, der Wagen müsse abkühlen. Die Beamten nahmen dort, wo sie auf das Auto stießen, Benzingeruch wahr. Die Straße vor der Tiefgarage führt zur Autobahn A4, Auffahrt Dresden-Neustadt.

Um 5.21 Uhr wurde die Bundespolizei einbezogen, die Fahndung wurde auf Brandenburg ausgeweitet. Autobahnauffahrten wurden gesperrt. Auf der Pressekonferenz fällt der Satz: „Aber wenn man hier am Schlossplatz flüchtet, ist man in vier Minuten unterwegs“ – drauf auf der Autobahn.

Die beiden Wachleute in der Museumssicherheitszentrale – zwei sind rund um die Uhr anwesend – hatten auf einem Monitor den oder die Einbrecher gesehen und sofort angerufen. Unklar bleibt, wie viele Minuten zuvor der Einbruch durch das vergitterte Fenster im Eckraum des Grünen Gewölbes, in dem die kostbarsten Schätze der Sammlung ausgestellt sind, stattgefunden hat, unklar ist auch, wie das Eisengitter vor dem Fenster abgetrennt wurde. Mit einer Säge, mit einer Trennscheibe?

Offenbar, so sagt es die Polizei, seien die Täter zielstrebig auf eine Vitrine zugelaufen, hätten die Scheiben zertrümmert. Darin befanden sich nach Aussage des Museumsdirektors des Grünen Gewölbes, Dirk Syndram, zwei sogenannte „Garnituren“, also vielteilige Ensembles von Juwelen, die der Herrscher bei Festlichkeiten anlegen konnte.

Dabei umfassen die Brillantgarnitur ebenso wie die Diamantengarnitur jeweils zwischen 37 und 40 Einzelteile. Hinzu kommen 20 Teile an Diamantschmuck und „Perlen der Königin“, die sich ebenfalls in der aufgebrochenen Vitrine befunden hatten. Marion Ackermann betonte, dass die Museumsleute „noch keinen Überblick“ über den Verlust haben. Nur, dass das, was gestohlen wurde, nicht in einem finanziellen Wert aufgelöst werden könne. Auf dem Markt lässt es sich, so hofft Ackermann zumindest, nicht verkaufen. Der historische Wert allerdings: unschätzbar hoch.

„Die Täter noch live gesehen“

Aus Berlin lässt Kulturstaatsministerin Monika Grütters ausrichten: „Die Meldungen aus Dresden sind erschütternd und schockierend. Dieser Raub von Stücken, die unsere Identität als Kulturnation ausmachen, trifft uns ins Herz.“ Sie danke „den Verantwortlichen, dass Sie eine Sonderkommission“ – zunächst zehn Ermittler stark – eingerichtet haben und hoffe auf einen schnellen Fahndungserfolg.

„Es sind wertvolle Kunstgegenstände verschwunden“, sagt Sachsens Kunstministerin Eva-Maria Stange. „Wir wissen momentan noch nicht genau, in welchem Umfang.“ Es sei „ein großer kulturpolitischer Schaden, wenn es nicht gelingt, diese Kunstgegenstände zurückzubekommen.“

Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer – er ist am Vormittag ins Grüne Gewölbe gelassen worden, sagt dem Mitteldeutschen Rundfunk und wiederholt es auf Twitter: „Nicht nur die Staatlichen Kunstsammlungen wurden bestohlen, sondern wir Sachsen!“. Die Werte, „die im Grünen Gewölbe und im Residenzschloss zu finden sind, sind von den Menschen im Freistaat Sachsen über viele Jahrhunderte hart erarbeitet“.

Kretschmer steht im Residenzschlosshof, als er sagt: „Auch für mich waren die Sicherheitsmaßnahmen der Staatlichen Kunstsammlungen hier am Residenzschloss etwas, was ausgezeichnet und umfassend war. Wir sehen, dass das nicht der Fall ist.“ Das Grüne Gewölbe liegt im Westteil des Schlosses.

Sachsens Staatsschatz des 18. Jahrhunderts, nicht „ausgezeichnet und umfassend“ gesichert? Ist das der Fall? Auf der mittäglichen Pressekonferenz von Ermittlungsbehörden und Staatlichen Kunstsammlungen wird deren Generaldirektorin Ackermann das auch immer wieder, in verschiedenen Variationen gefragt. „Die Herren vom Sicherheitsdienst haben die Täter noch live gesehen“, sagt sie.

„Was will man machen?“

Aber warum dann die Männer vom Sicherheitsdienst nicht in das entsprechende Zimmer gegangen seien und die Täter gestellt hätten? Weil das zu gefährlich wäre, sagt Ackermann, Menschenleben gehen vor. Sie revidiert auch, was einer ihrer Vorgänger im Jahr 2010 in einen Interview gesagt hat, er sagte damals der „Welt: „Wir haben bewaffnetes Sicherheitspersonal. Das sehen Sie nur nicht.“ Ackermann sagt am Montag: „Nein, sie sind nicht bewaffnet.“

Dort, wo der Stromkasten brannte, ist seit sieben Uhr morgens ist die Spurensicherung, sperrt die Fläche ab. Ein Lüftungsgitter ist rußgeschwärzt. Sollte hier die Stromzufuhr zum Schloss unterbrochen werden? War es ein Ablenkungsmanöver? An der Brücke, die gerade saniert wird, arbeitet immerhin die Bautzener Firma Hentschke-Bau, die in den vergangenen Monaten dreimal Opfer von mutmaßlich linksextremen Brandstiftern geworden war.

Der leitende Kriminaldirektor der Polizeidirektion Dresden, Volker Lange, berichtet, die Täter seien offenbar durch ein Fenster vom Schlossplatz her eingedrungen. Ob zu diesem Zeitpunkt ein Alarm losgegangen ist oder nicht, ist derzeit nicht bekannt. Mitarbeiter der Spurensicherung jedenfalls versehen an dem Fenster jeden Zigarettenstummel und jedes Bonbonpapier mit einem gelben Schild. Derweil verbreitet sich die Nachricht vom Diebstahl, immer mehr Neugierige strömen an den Tatort.

Für normale Besucher indes bleibt das Residenzschloss am heutigen Tag geschlossen. „Aus organisatorischen Gründen“, steht auf einem Schild am Eingang in deutscher und englischer Sprache. Das Rentnerehepaar Edith Seifert und ihr Ehemann Walter ist aus Passau angereist. Es ergibt sich schnell dem Schicksal: „Was will man machen?“ Das Schloss soll eventuell am Mittwoch wieder öffnen. Das zumindest hofft die Generaldirektorin Ackermann. „Es ist noch unklar, ob wir das wirklich machen können.“

Es geht nicht um den materiellen Wert

Stundenlang spekulierten Journalisten darüber, ob durch den Brand des Elektroverteilers auch der Strom im Residenzschloss ausgefallen sein könnte. „Das wissen wir nicht“, sagt Marion Ackermann. Jedenfalls hätten die Videokameras im Gebäude und die gesamte Sicherheitstechnik funktioniert, auch die Telefonanlage.

Was die Polizei und die Kunstsammlungsleiter wissen, beziehungsweise öffentlich preisgeben können oder wollen: Eine von vier Vitrinen ist ausgeraubt worden. Sie war mit Sicherheitsglas gesichert, aber wie sie zerschlagen oder auf andere Weise geöffnet wurde, ist bislang nicht bekannt. Das Zusammenraffen der ausgestellten Preziosen und das Verlassen des Raumes wiederum durch das Fenster dürfte für geübte Einbrecher nicht mehr als einige Minuten in Anspruch genommen haben. Ackermann sagt, dass die Sicherheitsmaßnahmen der Staatlichen Museen alles umfassten, „was menschenmöglich ist“.

Was den genauen Tatverlauf angeht, kristallisierte sich auf Nachfragen heraus, dass es wohl auch keinen elektronisch ausgelösten Alarm durch die Beschädigung der Vitrine gegeben hat, wiewohl die Vitrinen, wie Grünes-Gewölbe-Direktor Dirk Syndram erläuterte, auf mechanische Beeinflussung, etwa starkes Rütteln, durch Auslösen von Alarm reagieren. Auch zu diesem Detail des Tatverlaufs wollte sich die Polizei nicht festlegen. Ein Polizeisprecher betont auf entsprechende Fragen, „der konkrete Tathergang“ sei „doch gerade Gegenstand der Ermittlungen“. Die Polizei vermute, dass die Tat „über die Ländergrenzen geht“.

Am schmerzhaftesten aber scheint für Generaldirektorin Ackermann, dass sie nicht weiß, was mit den gestohlenen Diamanten nun geschehen wird. Es gehe ihr nicht so sehr um den materiellen Wert, der sei gar nicht so hoch, sondern den kunst- oder kulturhistorischen Wert. Und der ist hoch, von „unermesslich“ ist am Montag immer wieder die Rede, „nicht bezifferbar“, sagt Ackermann. Weil die Diamanten zusammen erhalten geblieben seien. Ihre Vollständigkeit.

Keine Hinweise auf Erpressung

Ackermann sagt, sie hofft, „die Bekanntheit“ des Schatzes, seiner Einzelstücke bewirke „dass die Sachen dem Markt entzogen sind“.

Syndram sagt, es handele sich bei den entwendeten Juwelen um einen „unschätzbaren kulturellen Wert, ein Weltkulturerbe, das wir hier haben. Es ist der Ensemblewert, der hier besonders ist.“ Zudem sei die Schleiftechnik, die bei den Edelsteinen im 18. Jahrhundert angewendet wurde, seither nicht mehr gebräuchlich.

Es gebe „keinen finanziellen Wert, mit dem wir arbeiten“, sagt Ackermann. Und vielleicht ist das ganz gut, denn die Objekte sind als staatliches Eigentum nicht eigens versichert. Und dafür, dass der Diebstahl zu einer Erpressung getätigt worden sei, erklärte die Polizei, gebe es zur Zeit keine Hinweise.

Man wisse aber eines: Das sei sicherlich ein großer Fall, sagt Kriminaldirektor Lange, und dass es „Bezüge nach Berlin“ gibt - des Münzdiebstahls im Bodemuseum im Jahr 2017 wegen. Und weil es dort Kunstraubexperten gibt, ein Kommissariat für Kunstdelikte im Landeskriminalamt. Auch zu den dortigen Ermittlern gebe es Kontakt.

Ob die Gefahr bestehe, dass die Juwelengarnituren von den Dieben in Einzelstücken verkauft werden würden, wird Ackermann gefragt. Ackermann antwortet: „Das wäre eine schreckliche Vorstellung.“ Der Satz klingt, als sei es das einzige an diesem Tag, von dem sie sicher weiß.

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