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Legen sich gelegentlich mit Brüssel an: PSD-Parteichef Liviu Dragnea und Ministerpräsidentin Viorica Dancila.

© Daniel Mihailescu/AFP

Ein Sorgenkind an der Macht: Ausgerechnet Rumänien

Häufig steht Rumänien im kritischen Fokus der EU-Gremien. Nun wird das Land turnusgemäß die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Welche Probleme birgt das?

Der Brexit, die ungelöste Flüchtlingsfrage und die Europawahlen: Der EU steht ein turbulentes Halbjahr bevor. Doch mit Rumänien übernimmt ausgerechnet jetzt Europas neues Sorgenkind am 1. Januar den EU-Vorsitz von Österreich. Es mehren sich die Zweifel, ob die in Bukarest regierenden Sozialisten angesichts eines Tauziehens um die Justiz und andauernder Machtkämpfe der Aufgabe gewachsen sind.

Wie ist die innenpolitische Lage?

Die rotierende EU-Präsidentschaft kommt auf Rumänien zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt zu. Seit der Machtübernahme der sozialistischen PSD nach der Parlamentswahl 2016 wird der Karpatenstaat vom anhaltenden Tauziehen um die Justiz, endlosen Kabinettsumbildungen und den größten Protesten seit dem Sturz des sozialistischen Autokraten Nicolae Ceausescu erschüttert. Rumänien werde nicht in die „dunklen Zeiten des Einparteienstaats“ zurückfallen, verkündete entschlossen der Staatschef Klaus Johannis. Dies gelte auch dann, wenn „Kriminelle“ verzweifelt versuchten, eine Amnestie für korrupte Politiker durchzusetzen, sagte der oppositionsnahe Präsident.

Tatsächlich will der Machtpolitiker Liviu Dragnea, der die post-kommunistische PSD aus dem Hintergrund steuert, sich selbst amnestieren. Damit hat er Rumänien, das sich wirtschaftlich in den letzten Jahren eigentlich relativ gut entwickelt hat, eine politische Dauerkrise eingebrockt. Um einer drohenden Haft zu entgehen, hält der wegen Amtsmissbrauchs vorbestrafte PSD-Politiker eisern an dem Vorhaben fest, die Justiz an die Kandare zu nehmen.

Zwar hat der steuernde PSD-Strippenzieher in weniger als zwei Jahren bereits drei Regierungschefs und 70 Minister verschlissen. Doch obwohl Dragnea selbst in der eigenen Partei eher gefürchtet als beliebt zu sein scheint, ist sein Vorhaben einer verstärkten Regierungskontrolle der Justiz bereits weit gediehen. Nicht nur der lästigen Antikorruptionsbehörde DNA hat die Regierung den Zahn gezogen. Mit dem Austausch von Staatsanwälten und Richtern mehren sich die Freisprüche und die Annullierung der Haftstrafen von Ex-Funktionären, die wegen Korruption verurteilt wurden: Allein vor Weihnachten konnte ein halbes Dutzend von rechtskräftig verurteilten Politikern vorzeitig die Zellen räumen, weil ihre Prozesse neu aufgerollt wurden.

Aufforderungen des Europarats, des Europaparlaments und der EU-Kommission, von dem geplanten Begnadigungsgesetz für wegen Korruption verurteilte Amtsträger abzusehen, stoßen in Bukarest auf taube Ohren. Unbedingt will PSD-Chef Dragnea das anvisierte Amnestie-Gesetz bis zum 15. Januar vom Parlament absegnen lassen. Die ihm loyal verbundene Regierungschefin Viorica Dancila weist die EU-Kritik an der umstrittenen Justizreform als „inakzeptabel“ und „ungerecht“ zurück. Rumänien werde von Brüssel „diskriminiert“, obwohl andere EU-Mitglieder „viel korrupter“ seien: „Wir werden kritisiert, ohne es zu verdienen. Wir werden bestraft, nur weil wir ein osteuropäisches Land sind.“ Derartige Tiraden zeigen, dass zahlreiche Politiker in Bukarest die Interessen Europas nur bedingt im Blick haben.

Während sich die Opposition mehrmals vergeblich bemühte, die von der PSD geführte Regierung per Misstrauensvotum aus dem Amt zu hebeln, werden die PSD-Reihen durch den parteiinternen Streit um den polarisierenden Kurs von Dragnea gelichtet. Ihre Mehrheit im Parlament hat die Koalition der PSD mit den Liberalen durch die zahlreichen Austritte und Ausschlüsse von Partei-Dissidenten verloren: Die Regierung hält sich nur noch dank der sie tolerierenden Partei der ungarischen Minderheit UDMR im Sattel.

Tritt Rumäniens Staatsspitze geschlossen in der EU auf?

Nein. Das angespannte Verhältnis zwischen Präsident Johannis und der Regierung, die außenpolitisch das Land eigentlich gemeinsam zu vertreten haben, ist kurz vor Übernahme der EU-Präsidentschaft auf einen neuen Tiefpunkt gesackt. PSD-Chef Dragnea will den unbequemen Landesvater gar wegen Landesverrats verklagen lassen – auch um die eigenen Wahlchancen bei den Präsidentschaftswahlen im November zu erhöhen.

Staatschef Johannis schlägt gegenüber der Regierung inzwischen gemäßigtere Töne an. Nachdem er den Regierenden im November noch bescheinigt hatte, „nicht bereit“ für den künftigen EU-Vorsitz zu sein, sagte der deutschstämmige Landesvater nun: „Wir sind bereit. Auch wenn es immer Raum für Verbesserungen gibt.“

Allerdings sieht es nicht danach aus, dass sich die innenpolitische Lage in Rumänien in den nächsten Monaten beruhigen könnte. Im Gegenteil: Dragnea, der eigentliche Strippenzieher in Bukarest, will sich mit dem von ihm forcierten Begnadigungsgesetz den Weg zur Präsidentschaftskandidatur ebnen. Doch selbst der sozialistische Ex-Präsident Ion Iliescu hat kürzlich in einem Interview mit der französischen Zeitung „Le Figaro“ öffentlich Zweifel an den Erfolgsaussichten einer Kandidatur von Dragnea geäußert.

Wie blickt man in Brüssel und Straßburg auf die Verwerfungen in Rumänien?

Rumänien steht schon seit einiger Zeit im Fokus der EU-Kommission – nicht zuletzt, weil es im vergangenen Sommer zu Massendemonstrationen gegen die Regierung in Bukarest kam. Dennoch versucht sich Jean-Claude Juncker in Zweckoptimismus. Wenn Rumänien in den kommenden sechs Monaten zum ersten Mal den EU-Vorsitz übernehme, dann geschehe dies in einer Zeit, „die entscheidend für die Zukunft der EU“ sein werde, erklärte der EU-Kommissionschef. Bukarest wird nach den Worten Junckers eine „extrem schwierige Aufgabe“ übernehmen. Doch trotz „Meinungsverschiedenheiten“ sei er zuversichtlich, dass Rumäniens „gut vorbereitete Minister“ die Herausforderung meistern würden, versicherte der Chef der Brüsseler Behörde. Andere sind weniger optimistisch. Das Tauziehen um die Unabhängigkeit der Justiz und der eskalierende Machtkampf in Bukarest mehren die Zweifel, ob die regierenden Sozialisten dem Job tatsächlich gewachsen sind. Es sei „nicht hilfreich“, wenn eine Regierung den EU-Vorsitz übernehme, die selbst „Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung mit Füßen tritt“, warnt Daniel Caspary, der Vorsitzende der deutschen CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament.

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Ist der rumänische EU-Vorsitz beim Brexit gefordert?

Nicht wirklich. Die Brexit-Verhandlungen fallen nicht in den Aufgabenbereich des jeweiligen EU-Vorsitzes. Vielmehr laufen in Brüssel alle Fäden beim EU-Chefunterhändler Michel Barnier und seinem Team zusammen. Der EU-Austritt Großbritanniens könnte indes für die Gemeinschaft der verbleibenden 27 EU-Staaten und für London im kommenden Halbjahr zu extremen Turbulenzen führen. Derzeit sind zahlreiche Szenarien möglich. Um nur einige Möglichkeiten zu nennen: Das Unterhaus könnte im Januar dem vorliegenden Scheidungsvertrag zustimmen. Im Fall einer Ablehnung durch das Unterhaus ist ein ungeregelter Brexit am 29. März möglich. Denkbar ist aber auch, dass die Regierung dem Parlament anschließend einen leicht abgeänderten Austrittsvertrag vorlegt, falls das Unterhaus den Deal mit der EU durchfallen lässt. Eine weitere Möglichkeit besteht in einer Verlängerung der Verhandlungsfrist über den 29. März hinaus – dazu müssten allerdings die übrigen EU-Mitglieder zustimmen. Sollte die britische Hängepartie aber tatsächlich über den 29. März hinaus andauern, dürfte dies auch Folgen für einen Erneuerungs-Gipfel haben, den die EU im rumänischen Hermannstadt (Sibiu) abhalten will. Den Planungen zufolge wollen die verbleibenden 27 EU-Staaten am 9. Mai in Hermannstadt nach dem Brexit den Blick nach vorn richten und den EU-Bürgern verdeutlichen, was die Europäische Union zusammenhält. EU-Kommissionschef Juncker hat bereits gefordert, dass vom Gipfel in Hermannstadt ein Bekenntnis zu einem enger vereinten, stärkeren und demokratischeren Europa ausgehen müsse.

Was muss der rumänische EU-Vorsitz in den kommenden sechs Monaten konkret leisten?

Vor allem in der Migrationspolitik will die EU noch rechtzeitig vor der Europawahl, die in Deutschland am 26. Mai stattfindet, Ergebnisse liefern. Nachdem unter dem demnächst endenden österreichischen EU-Vorsitz keine Einigung zu Stande kam, richten sich die Hoffnungen jetzt auf Bukarest. Auf dem Tisch liegt ein Vorschlag der EU-Kommission von Anfang Dezember, demzufolge zumindest eine Teil-Einigung in der EU-Migrationspolitik angestrebt werden soll. Laut dem Vorschlag soll das Paket zur EU-Asylreform, das aus sieben Reformvorschlägen besteht, aufgespalten werden. Jene fünf Vorhaben, bei denen Einvernehmen in der EU besteht, sollen nach dem Willen der Brüsseler Behörde noch vor der Europawahl gemeinsam mit dem Europaparlament beschlossen werden. Zu den Konsens-Punkten gehört der Aufbau einer europäischen Asylagentur und eine Richtlinie über die Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen in der EU. Durch die Aufspaltung will die EU-Kommission zunächst vor allem jenes Thema ausklammern, bei dem es bei der Asylrechtsreform weiter hakt: die Dublin-Verordnung, die Erstaufnahmeländern wie Spanien und Italien weiterhin die Hauptlast in der Migrationspolitik aufbürdet.

Damit ein derartiger Kompromiss zustande kommt, bräuchte es allerdings erhebliches Fingerspitzengefühl der rumänischen EU-Präsidentschaft. Denn acht der bislang 28 EU-Mitgliedstaaten sind gegen ein Aufschnüren des bestehenden Asylpakets. Und auch im Europaparlament gibt es bei den Grünen Widerstand gegen eine Aufspaltung der Vorschläge zur Asylrechts-Reform.

Inwieweit könnte die schwierige Lage in Bukarest Auswirkungen auf die Europawahl haben?

Es ist denkbar, dass die Rechtsstaats-Krise in Rumänien auch inhaltlich auf die Auseinandersetzung zwischen Manfred Weber und Frans Timmermans ausstrahlen wird. Der CSU-Vize Weber, der als Spitzenkandidat für die Europäische Volkspartei (EVP) bei der Europawahl ins Rennen geht, muss sich von seinem sozialdemokratischen Widerpart Timmermans vorhalten lassen, die Partei des ungarischen Autokraten Viktor Orban weiterhin in der EVP-Fraktion im EU-Parlament zu dulden. Die zweifelhafte Ausrichtung der rumänischen PSD hat Weber aber bereits einen Anlass geliefert, mit dem Finger auf die Sozialdemokraten zu zeigen. Trotz der Massendemonstrationen gegen die Bukarester Regierung vom vergangenen Sommer fordere er die Sozialdemokraten im Europaparlament nicht auf, die Mitglieder der rumänischen Regierungspartei aus der Straßburger Fraktion auszuschließen, sagte Weber jüngst.

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