zum Hauptinhalt
Ein Demonstrant wird von der Polizei bei einem Protest in der Nähe des Weißen Hauses abgeführt.

© Alex Brandon/AP/dpa

Ein Obama reicht nicht: Werden die USA den Rassismus je überwinden?

Die Bilder der Polizeigewalt gleichen sich - ob 2020 unter Trump oder 2014 unter Obama. Nur ein geduldiger Weg kann jetzt helfen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Was ist erschreckender: die „Hau drauf“-Rhetorik, mit der Donald Trump die Unruhen zur Mobilisierung seiner weißen Wähler missbraucht? Oder die unverminderte Wucht, mit der die Rassenkonflikte alle paar Jahre in den USA explodieren – unabhängig davon, ob ein schwarzer Präsident Barack Obama regiert, der sich um Verständigung, Reformen und den Abbau struktureller Diskriminierung bemüht, oder ein weißer Populist wie Trump?

Trump handelt gemeingefährlich. Er bemüht sich erst gar nicht um Deeskalation. Er heizt die Spannungen weiter an. Man darf ihm Kalkül mit Blick auf seine Wahlchancen im Herbst unterstellen. Er setzt auf die Pose des „Law and Order“-Manns, der mit dem Einsatz des Militärs droht, falls die Gouverneure in einzelnen Staaten die Lage nicht unter Kontrolle bekommen. Damit zielt er auf Demokraten, die angeblich zu weich gegen „Terroristen“ und „gewalttätiges Pack“ vorgehen.

Mit Aussicht auf Erfolg kann er das aber nur tun, weil die Reaktionen der Gesellschaft berechenbar sind. Die Meinungen über die Ursachen der Spannungen wirken wie einbetoniert. Da geht ein Riss durch Amerika, 2020 unter Trump wie zuvor unter Obama und ganz ähnlich vor einem halben Jahrhundert als viele Innenstädte in Gewaltexzessen in Flammen aufgingen.

Fast alle Schwarzen halten strukturelle Diskriminierung für die Ursache, aber nicht einmal die Hälfte der Weißen. Nur ein gutes Drittel der Afroamerikaner hat Vertrauen in die lokale Polizei; bei den Weißen sind es Dreiviertel, bei den Latinos Zweidrittel. Die Schuld an der Eskalation geben Zweidrittel der Schwarzen der Polizei, aber nur ein Drittel der Weißen.

[Mit dem Newsletter „Twenty/Twenty“ begleiten unsere US-Experten Sie jeden Donnerstag auf dem Weg zur Präsidentschaftswahl. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung: tagesspiegel.de/twentytwenty.]

Damit stellen sich grundlegende Fragen: Was können Präsidenten überhaupt bewirken, was ist ihr Anteil an der Misere? Wie und wann werden die USA den Rassismus und die strukturelle Diskriminierung je überwinden? Zwei Amtszeiten eines schwarzen Präsidenten haben offenbar wenig bewegt, wenn sich die Anlässe und die Bilder so sehr ähneln.

Nichts gelernt? Floyd stirbt wie Garner

Ende Mai 2020 unter Trump: Weiße Polizisten nehmen George Floyd, einen Afroamerikaner Mitte 40, in Minneapolis fest, weil er mit einem womöglich gefälschten 20-Dollar-Schein bezahlt haben soll. Ein Beamter drückt ihm das Knie auf den Hals. „Ich kann nicht atmen“, fleht Floyd in Todesangst. Und stirbt. Die Proteste gegen Polizeigewalt erfassen das halbe Land.

Wie sechs Jahre zuvor unter Obama. Der Schauplatz im Juli 2014 war New York; das Opfer hieß Eric Garner, ein Schwarzer Mitte 40, asthmakrank. Ein Polizist nahm ihn in einen – verbotenen – Würgegriff. „Ich kann nicht atmen“, klagte auch er. Und war kurz darauf tot.

Aufstieg und Fall von Black Lives Matter

Damals entstand eine landesweite Protestbewegung, „Black Lives Matter“. Nicht allein wegen Garner. Mehrere Todesfälle junger Schwarzer, die durch Polizeikugeln starben, ebenfalls meist wegen nichtiger Anlässe, erschütterten die USA: Michael Brown in Ferguson, Tamir Rice in Cleveland, Freddie Gray in Baltimore, Christian Taylor in Arlington (Texas) und einige mehr. Doch Garner war der Ausgangspunkt.

[Auf dem Handy und Tablet wissen Sie mit unserer runderneuten App immer Bescheid. Sie lässt sich hier für Apple-Geräte herunterladen und hier für Android-Geräte.]

Von „Black Lives Matter“ hört man nur noch wenig. 2016, Obamas letztes Amtsjahr, war ihr Zenit. Die Proteste ermunterten auch Radikale. Mitten im Wahlkampf wurden Polizisten gezielt erschossen. Trump versprach: Make America Safe Again! Er mobilisierte, indem er die Protestbewegung zu Terroristen und Pack erklärte – wie heute. Und gewann die Wahl.

Bürgerrechtsbewegung, Obama - und noch eine Generation

Das ist eine Warnung für die Demokraten. Eine Eskalation im Wahljahr nützt Trump. Auch wenn die ungerechten Verhältnisse nach Revolution schreien – Afroamerikaner sind vielfältig benachteiligt von der Bildung bis zur Krankenversorgung; sie sind stärker von Krisen, Arbeitslosigkeit, Corona betroffen –, bleibt nur der geduldige Weg der Reformen. Wie sie die Bürgerrechtsbewegung vor einer Generation vorantrieb und Obama in seinen acht Jahren mit der Reform von Gesundheitswesens und Polizeiausbildung.

Ein Obama reicht nicht. Für belastbaren Wandel braucht es wohl eine weitere Generation. Und wenn mehr Trumps die Uhr zurückdrehen, vielleicht noch länger.

Zur Startseite