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Pflastersteine inklusive. Polizeieinsatz in der Rigaer Straße 2018.

© Christian Mang/Imago

Ein konsequenteres Vorgehen ist notwendig: Was tun, wenn Polizisten-Verprügeln zur Normalität wird?

Angriffe auf Polizisten sind alltäglich geworden. Politiker rätseln, wie dem zu begegnen ist. Bayern handelt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Ganz klar: Ruppigkeit bis hin zur Gewalt hat Konjunktur. Betroffen sind Polizisten, Feuerwehrleute, Sanitäter. Derart üblich ist diese Alltagsgewalt, dass an Silvester Polizeihundertschaften Böllerverbotszonen sicherten und gegen die vorgingen, die Bürgerkriegs-Spielchen veranstalten wollten. Und sieh an: Der konsequente polizeiliche Auftritt war erfolgreich - es wurden weniger Polizisten attackiert als im Jahr zuvor.

Was nichts daran ändert, dass Menschen in Uniform heute ständig mit Übergriffen rechnen müssen. Einen Lagebild des Bundeskriminalamts zufolge gab es 2018 so viele Attacken wie nie zuvor. 34.168 Fälle von Widerstand und körperlichen Angriffen zählten die Statistiker der Behörde.

Der auffällige Anstieg der Zahlen hängt mit einer Strafverschärfung von 2017 zusammen. Der zufolge gilt als Angriff auf einen Polizisten eine Attacke auch dann, wenn der Polizist bloß auf Streifenfahrt war oder einen Unfallbeteiligten befragte; nach dem zuvor geltenden Recht musste der Beamte eine "Vollstreckungshandlung" gegen den Angreifer vornehmen, damit eine Straftat daraus wurde.

Jenseits aller rechtlichen Änderung: Auch wenn unter den 34.000 Fällen auch Flaschenwürfe auf vorbeifahrende Polizeiautos sind, zeigt die hohe Zahl der Attacken, dass die Verschärfung des Strafrechts bei prügelnden Trunkenbolden, Pöblern, Steinewerfern und Uniformhassern noch nicht angekommen ist.

Diese Art der Rohheit ist offenbar ein Großstadtphänomen. Gewalttaten gegen Polizeivollzugsbeamte waren schon 2016 und 2017 in Berlin, Hamburg und Bremen besonders häufig. Das Wort von der "Verrohung der Gesellschaft" liegt nahe, auch wenn man sich fragen muss, was denn der (in Sachen Anstand und Umgangsformen bessere) Ausgangspunkt der Entwicklung gewesen sein soll.

Krieg der Terroristen gegen den Staat

Die sechziger und siebziger Jahre können es nicht gewesen sein. Von den Hardcore-Demonstrationen der späten Sechziger weiß man, wie locker vielen Polizisten der Gummiknüppel saß. Und in den Siebzigern?

Da gab es den Krieg der Terroristen gegen den Staat und dessen hochgerüstete Abwehr einschließlich der Personenkontrollen, bei denen man Polizisten mit Maschinenpistole gegenüberstand. Dahin will wohl kaum jemand zurück, genauso wenig wie zu den Steine-Regenschauern und Polizeikesseln, wie man sie in den Achtzigern bei großen Demonstrationen sehen konnte.

Seit den neunziger Jahren war die Devise "gemeinwesenorientierte Polizeiarbeit", so jedenfalls auf BKA-Deutsch: Zusammenarbeit der städtischen Behörden, Prävention statt Konfrontation, Deeskalation statt Schlagstockeinsatz. War es zu viel des Guten, seitens der Behörden einfach nur zu gut gemeint? Man könnte das meinen, wenn man sieht, wie irgendwelche Wüteriche mit Polizisten umgehen, nachdem sie wegen Parkens in der zweiten Reihe ermahnt worden sind.

Bitte mehr Respekt

Offenbar gibt es eine Menge Leute, denen jeder Respekt außer dem vor sich selbst abhanden gekommen ist - der Respekt vor anderen, die die gleichen Rechte haben, und der Respekt vor Menschen in Uniform, die die Ordnung hüten sollen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer sprach kurz vor Weihnachten, nach Morddrohungen gegen den Grünen-Politiker Claudia Roth und Cem Özdemir, von einer "Verrohung der Gesellschaft". Gerade erst hat der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, These und Begriff in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung wiederholt; es ging um die zunehmende Messer-Gewalt.

Allerdings tun sich Politiker schwer mit Thesen zur Entwicklung. Das dürfte weniger daran liegen, dass sie keine Thesen haben, als dass sie sie nicht äußern wollen. Wer öffentlich über Respekt spricht, muss auch sagen, wie er entsteht und dass es Zusammenhänge mit Erziehung und Bildung gibt und sogar mit altmodischen Umgangsformen.

Spott und Abwertung

Das ist man als Politikerin oder Politiker schnell in Debattenbereichen, in denen der Vorwurf laut wird, man wolle belehren oder das Volk erziehen. Spott und Abwertung in den so genannten sozialen Medien sind wahrscheinlicher als ein republikweites Kopfnicken.

Immerhin, auch das Berliner Abgeordnetenhaus hat sich am Donnerstag der Angelegenheit angenommen. Innensenator Andreas Geisel forderte, die Gesellschaft müsse ihren moralischen Kompass norden. In Bayern sind sie konsequenter. Dort gibt es "Schnellverfahren" gegen Gewalttäter. Damit nur wenige Wochen vom Angriff bis zur Sanktion vergehen.

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