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Das Kohlekraftwerk Mehrum, umgeben von Windrädern. Das Werk war wegen niedriger Preise selten ans Netz gegangen. Hohe Entschädigungen gibt es trotzdem.

© Julian Stratenschulte/ dpa

Ein Gesetz, wie aus der Zeit gefallen: Auch mit der Kohleindustrie muss sich die Regierung anlegen

Mittlerweile bietet die Politik mächtigen Industrien die Stirn - für mehr Nachhaltigkeit. Beim Kohleausstiegsgesetz aber kuscht die Regierung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Nora Marie Zaremba

Da hat die Bundesregierung jüngst doch überrascht: Mit ihrem Nein zur Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotoren stellte sie sich gegen eine der wichtigsten Branchen im Land. Alles andere wäre nicht mehr zeitgemäß gewesen.

Gemessen daran wirkt das Kohleausstiegsgesetz, das der Bundestag am Freitag verabschieden wird, wie aus der Zeit gefallen. Die Betreiber von Kohlekraftwerken dürfen sich über Geldgeschenke durch den Steuerzahler freuen, der Klimaschutz kommt recht kurz. Und das, obwohl das fossile Geschäftsmodell Kohle immer unrentabler wird.

Ursprünglich war Ausgleich das Ziel: Dazu richtete die Bundesregierung vor mehr als zwei Jahren die Kohlekommission ein.

Dieses Gremium mit Vertretern der verschiedenen Interessensgruppen präsentierte anschließend einen Plan, der im Großen und Ganzen Ausgleich schaffen konnte zwischen Kohle-Regionen, Gewerkschaften, Industrie und Umweltverbänden.

Wie die Entschädigung kalkuliert wurde, bleibt geheim

Doch das Kohlegesetz hat nicht mehr viel mit den Empfehlungen der Kommission gemeinsam. Die Betreiber von Braunkohlekraftwerken werden für die Stilllegung ihrer Anlagen mit mehr als vier Milliarden Euro entschädigt.

Eine transparente Kalkulation, wie diese Summe zustande kommt, ist die Bundesregierung der Öffentlichkeit bis heute schuldig. Die Frage der Angemessenheit bleibt unbeantwortet. Dabei war dieses Kriterium zentraler Bestandteil der Empfehlungen der Kohlekommission.

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Diese Großzügigkeit hätte ausbalanciert werden können durch entsprechende Gegenleistungen beim Klimaschutz. Doch der Ausstieg aus der Braunkohle beginnt im ostdeutschen Revier 2025 – zu spät. Und ein Großteil der Anlagen wird sogar erst um 2030 stillgelegt. Eine politische Entscheidung, die zu unnötigen CO2-Emissionen führt.

Nur bei der Strukturhilfe für die betroffenen Regionen folgte die Bundesregierung weitgehend den Empfehlungen der Kommission: Mit insgesamt etwa 40Milliarden Euro wird ihnen unter die Arme gegriffen.

Corona hat Gewohnheiten und Allianzen über den Haufen geworfen

Dennoch reibt man sich fast die Augen. Die Welt hat sich in den vergangenen Monaten rasant weiterentwickelt, die Corona-Pandemie hat Gewohnheiten und Allianzen über den Haufen geworfen. Gesundheit und Umwelt haben einen höheren, vielleicht zentralen Stellenwert bekommen in breiteren Bevölkerungsschichten.

Die große Koalition sieht, dass Bürger es gutheißen, wenn die Politik vor großen Branchen wie der Automobilindustrie und der Fleischindustrie nicht einknickt. „Fridays for Future“ wirkt, die Grünen sind stark geworden. Die heutige politische Stimmungslage hätte sicherlich zu weniger üppigen Zugeständnissen an die mächtige Kohlelobby geführt.

Der Markt liefert die besten Argumente - schon damals

Dabei lieferte auch damals schon der Markt die besten Argumente: Strom aus Kohlekraft wird zunehmend durch niedrige Preise für Gas und Erneuerbare Energien verdrängt. Die Anlagen laufen immer seltener, denn sie müssen die Rechte für ihre CO2-Emissionen immer teurer bezahlen.

Dieser Trend wird sich in Zukunft eher noch verstärken, denn in Brüssel wird geplant, die europäischen Klimaziele zu verschärfen. Damit erhöhen sich die CO2-Preise im europäischen Emissionshandel.

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Wahrscheinlich werden daher viele Kraftwerksbetreiber ihre Anlagen früher stilllegen, die Entschädigungssummen sind ihnen in jedem Fall sicher. Gut für die Umwelt. Doch die Stilllegung von Kraftwerken auch noch in zehn Jahren und darüber hinaus teuer zu entschädigen, obwohl dieses Geschäftsmodell dann wohl längst der Vergangenheit angehört, ist schlicht unwirtschaftlich.

Politiker mögen keine Propheten sein, mit dem Kohlegesetz hat die schwarz-rote Koalition aber unterstrichen, wie wenig Gespür für gesellschaftliche Veränderungen sie hatte.

Von politischem Gestaltungswillen ganz zu schweigen. Dass die Politik sich nun mit der mächtigen Auto-und Fleischindustrie anlegt, ist ein Anfang. Und da gilt es, weiterzumachen. Denn vielen weiteren Branchen steht der nachhaltige Umbau noch bevor.

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