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Angela Merkel hatte ein klare Haltung zu Böhmermanns Erdogan-Versen. Später bedauerte sie deren Kundgabe.

© Fabrizio Bensch / Reuters

Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts: Merkel muss sagen, ob sie Böhmermanns Schmähgedicht gesehen hat

"Bewusst verletzend" nannte die Kanzlerin den umstrittenen Auftritt. Hatte sie sich ausreichend informiert? Die Regierungszentrale muss Auskunft geben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) muss Auskunft geben, ob sie die umstrittene Erdogan-Satire des TV-Unterhalters Jan Böhmermann gesehen hat, bevor sie den Auftritt mit deutlichen Worten kritisierte. Das hat das Berliner Verwaltungsgericht auf eine Informationsklage des Tagesspiegels per Eilbeschluss entschieden (VG 27 L 502.16). Demnach muss das Kanzleramt mitteilen, welche Dokumente der Kanzlerin vorlagen, bevor sie Böhmermanns "Schmähgedicht" auf den türkischen Staatspräsidenten vor knapp einem Jahr öffentlich "bewusst verletzend" nannte. Dazu zählt neben möglichen Video-Sequenzen auch eine ministerielle rechtliche Einschätzung des Auftritts, in der die Satire als strafbar bewertet wurde.

Merkel hatte Böhmermanns TV-Beitrag in einem Telefongespräch mit dem damaligen türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu kritisiert und sich damit auf die Seite der türkischen Regierung gestellt. Später bezeichnete sie die Äußerungen als Fehler. Unklar ist bisher, inwieweit die Kanzlerin sich selbst kurzfristig ein Bild von dem Auftritt verschafft hatte. Später ermächtigte das Kabinett die deutsche Justiz zur Strafverfolgung Böhmermanns wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts. Das Verfahren wurde nach einigen Monaten mangels Tatverdacht eingestellt.

Kanzleramt hatte die Auskunft verweigert

Das Kanzleramt hatte die Auskünfte verweigert und sich dafür auf den vor Ausforschung absolut geschützten "Kernbereich der Exekutive" berufen. Dem sind die Richter jedoch nicht gefolgt. Es handele sich lediglich um den Bereich der Vorbereitung einer Regierungsentscheidung, heißt es in dem Beschluss. Der Regierungssprecher habe Merkels Kritik damals außerdem öffentlich mitgeteilt. Dem Informationsinteresse komme "besonders hohes Gewicht zu", da die Kanzlerin ihre Worte im Telefonat mit Davutoglu später bei einer Pressekonferenz öffentlich bedauert habe. Rückschlüsse auf die Motive der Kanzlerin und ihre Entscheidungsfindung ließen sich durch entsprechende Auskünfte nicht ziehen.

Die Richter verurteilten das Kanzleramt zudem zu weiteren Auskünften über Dokumentationen und Schriftwechsel in der Angelegenheit, darunter auch ein in der Regierungszentrale vorliegendes Schreiben der für das Böhmermann-Verfahren unter anderem zuständig gewesenen Generalstaatsanwaltschaft Koblenz. Ausgenommen seien nur Schriftstücke aus dem Kanzlerbüro oder den Büros von Ministern, die mit der Sache befasst waren. Auch Böhmermann selbst hat ein Interesse an Einzelheiten, die zur damaligen Haltung der Kanzlerin führten.

Eilbedürftigkeit aufgrund der Diskussion um "Majestätsbeleidigung"

Die Eilbedürftigkeit ergebe sich aus der laufenden Diskussion um die Abschaffung des als "Majestätsbeleidigung" bekannten Strafrechtsparagrafen sowie den von Erdogan weiter betriebenen Gerichtsverfahren. Das öffentliche Interesse werde zudem dadurch verstärkt, dass die Kanzlerin als Spitzenkandidatin ihrer Partei bei den Bundestagswahlen im September eine weitere Amtszeit anstrebt. Im Wahlkampf sei auch ihr früheres politisches Handeln von Bedeutung.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das Kanzleramt kann gegen den Beschluss Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einlegen. Kürzlich hatte bereits das Auswärtige Amt nach einer Tagesspiegel-Klage Auskünfte über die rechtliche Einschätzung des Fall geben müssen.

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