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Facebook verdient zu viel Geld mit den Daten seiner Nutzer. Wäre es nicht gerechter, das Unternehmen zahlte für deren Informationen?

© Dominic Lipinski/PA Wire/dpa

Eigentum an persönlichen Informationen: Data unser!

Wem gehören die Daten im Internet? Und wer darf damit Geld verdienen? Unsere Autorin hat Kant, Locke und Hobbes dazu befragt. Ein Essay.

Sie sind überall, wir produzieren sie ständig, sie sind wertvoll: die Daten, die wir beim Surfen im Internet hinterlassen. Firmen verwenden sie, um maßgeschneiderte Werbung zu schalten, um uns Jobangebote anzuzeigen, und um mithilfe der großen Datensätze, in die unsere eigenen Datenpunkte einfließen, ihre algorithmischen Systeme zu optimieren. Hinzu kommen all die Bilder, Videos und Textschnipsel, die Millionen von Nutzern tagtäglich ins Netz stellen. Auch damit wird oft Geld verdient, zum Beispiel wenn Facebook oder Youtube Werbeclips dazwischen schalten. Warum aber sollen es diese Firmen sein, die mit diesen Daten und Inhalten Geld verdienen – und nicht vielmehr diejenigen, die sie bereitstellen? Und wer wäre das genau?

Wäre es nicht vorstellbar, dass für jeden Click auf ein Video, für jedes „liken“ eines Kommentars, für jede Weitergabe der Browser-Geschichte, ein Geldbetrag an diejenigen fließt, die hinter all diesen Aktivitäten stehen? Vordenker des Internets, insbesondere der Informatiker und Künstler Jaron Lanier, vertreten seit Jahren die These, dass dies die beste Strategie wäre, um im digitalen Zeitalter ein Ordnungsmodell zu schaffen, von dem alle Mitglieder einer Gesellschaft profitieren würden. Es scheint eine rein technische Herausforderung zu sein: wie könnte man ein System entwickeln, das die Daten der einzelnen Nutzer nachverfolgt und bei ihrer Verwendung jeweils Geld auf deren Konten fließen lässt? Sicherlich, jede einzelne dieser Zahlungen wäre verschwindend gering. Aber ihre Summe könnte sich zu einem stattlichen Nebeneinkommen auswachsen. Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein – und in jedem Fall besser als die derzeitige Situation, in der ein Großteil der Daten im Internet sich in den Händen einiger weniger Firmen befindet.

Mein Auto, meine Wohnung, meine Daten, oder?!

Wer über Eigentum redet, weckt intuitive Reaktionen und oft auch starke Emotionen. Mein Auto, meine Wohnung, mein Bauch, meine Daten, das klingt nach Freiheit und Selbstbestimmung. Aber Daten sind keine Gegenstände wie Zahnbürsten oder Schreinerwerkzeuge. Sie lassen sich, anders als materielle Gegenstände, quasi kostenfrei reproduzieren. Ihr Wert hängt stark davon ab, ob sie mit anderen Daten zusammengebracht werden können – das „big“ in „big data“ ist oftmals entscheidend. Es ist alles andere als klar, ob unsere intuitiven Vorstellungen davon, was Eigentum ist und wie es sich begründet, auf Daten angewandt werden können.

Die philosophische Tradition kennt unterschiedliche Begründungen dafür, was der Sinn und Zweck von Eigentum ist. Ein besonders in den USA wirkmächtiger Ansatz geht auf John Locke zurück, einen liberalen Denker des 17. Jahrhunderts. Er entwickelte seine Theorie vor dem Hintergrund der Kolonialisierung Amerikas, eines Kontinents also, auf dem es nur rudimentäre staatliche Strukturen gab, und den die europäischen Siedler irrtümlicherweise für leer hielten, ohne Rücksicht auf die Rechte der indigenen Bevölkerung zu nehmen. Locke argumentierte, dass jeder Mensch Eigentum am eigenen Körper habe. Wenn man die Arbeit dieses Körpers mit Materie „vermische“, erwerbe man auch das Eigentum an diesen materiellen Gütern, zumindest dann, wenn noch genug für andere übrigbleibe. Letztere Klausel verrät viel: Sie zeigt, dass Locke nicht von einer Situation der Knappheit und Konkurrenz ausging, sondern die scheinbar endlosen Weiten Amerikas vor Augen hatte.

Lockes Theorie fasst die Psychologie von Eigentum sehr gut: Ich habe etwas geschaffen, also muss es mir gehören! Allerdings sind die wenigsten von uns selbstversorgende Siedler, die ihrer Hände Arbeit mit Materie „mischen“. Unsere Arbeit ist Teil komplexer arbeitsteiliger Systeme, in denen kaum jemand etwas alleine „schafft“. Selbst diejenigen, deren Arbeit dem Locke'schen Szenario des Bauern oder Handwerkers noch recht ähnlich ist, können sich nur deswegen darauf konzentrieren, weil es andere Menschen gibt, die andere Dinge produzieren. Ähnliches gilt auch für die digitale Welt: Diejenigen, die dort wertvolle Daten erzeugen, können das tun, weil es andere Menschen gibt, die für die Herstellung und den Transport von Lebensmitteln, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und die zahlreichen anderen Offline-Aktivitäten verantwortlich sind, die eine arbeitsteilige Gesellschaft benötigt.

Oder auf den Zusammenhang von Persönlichkeit und Eigentum abstellen?

Ein zweiter Strang der philosophischen Ideengeschichte betont weniger die eigene Arbeit, sondern vielmehr den Zusammenhang von Persönlichkeit und Eigentum. Wie gerade im Deutschen Idealismus, von Denkern wie Kant und Hegel, betont wurde: Wir drücken unsere innere Gedankenwelt und unsere Vorstellungen in der materiellen Welt aus. Um die Persönlichkeit zu schützen, muss also auch ihr Eigentum geschützt werden. Hier denkt man sofort an Tagebücher oder Familienalben, aber auch an künstlerische Schöpfungen – Formen des Eigentums, bei denen die Individualität der Einzelnen eine ganz andere Rolle spielt als beim Locke'schen Siedler.

Diese Begründung für Eigentum hat man vielleicht im Sinn, wenn man argumentiert, dass diejenigen, die Videos auf Youtube einstellen, auch das Recht haben sollen, die damit erwirtschafteten Gewinne zu erhalten. Es ist sicher kein Zufall, dass Jaron Lanier – der selbst als Musiker aktiv ist und das Wegbrechen von Einkommen in der Musikszene durch den Rückgang von Plattenverkäufen eindrücklich erlebt hat – immer wieder auf derartige Beispiele zurückkommt. Für die Daten, die man beim ziellosen Browsen durch Wikipedia-Artikel oder beim Einkaufen von Plastikbechern für die nächste Party erzeugt, ist dieses Modell weniger plausibel. Hier liegt keine Absicht vor, Daten zu erzeugen, sie sind nur ein Nebenprodukt, das man in Kauf nimmt, weil das Onlineshopping so bequem ist.

Auch die Datenwelt existiert nur vor dem Hintergrund unserer Rechts- und Eigentumsordnung

Diese beiden Begründungsstränge, über Arbeit und über den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, lassen alle Fragen nach der Rolle des Staates zunächst außen vor. Um aber Eigentumsrechte institutionell zu verankern, ist eine staatliche Ordnung notwendig. Das betonte besonders ein anderer Klassiker der philosophischen Ideengeschichte, Thomas Hobbes. Für ihn blieb die Vorstellung von Eigentumsrechten ohne staatliche Ordnung eine blasse Abstraktion. Erst dem Staat nämlich hätten wir es zu verdanken, dass wir nicht mehr in einem „Naturzustand“ leben, in dem ein „Krieg aller gegen alle“ herrscht – nicht unbedingt als ständiger Konflikt, aber als die ständige Möglichkeit von Konflikt. Der Naturzustand bedeutet auch, dass unser Eigentum ständig der Möglichkeit gewaltsamer Enteignung durch andere ausgesetzt ist. Erst, wenn der Staat die Garantie dafür bereitstellt, dass er gegen Räuber und Diebe vorgeht, wird aus abstrakten Rechten eine verlässliche Institution.

Auch in Bezug auf die Datenwelt gilt: Sie existiert vor dem Hintergrund unserer Rechts- und Eigentumsordnung. Weil diese Eigentumsordnung aber keine globale ist, weil Daten sich so leicht kopieren lassen, und weil digitale Systeme den Risiken von Hacking, Phishing oder anderen Formen des Betrugs ausgesetzt sind, ist die Sicherung des Eigentums an Daten alles andere als trivial. Das würde auch für ein System, in dem dieses Eigentum breiter gestreut ist, und somit mehr Mitglieder der Gesellschaft aus diesem Eigentum Einkommen beziehen können, eine erhebliche Herausforderung darstellen. Letztlich müsste es staatlich durchgesetzt werden – auch gegen die Macht der Internetkonzerne!

Es gibt also ganz unterschiedliche Argumente dafür, dass bestimmte Personen an bestimmten Gegenständen Eigentumsrechte haben sollten. Das psychologisch vielleicht stärkste Argument – die Locke'sche Vorstellung, dass man sich Eigentum irgendwie „erarbeitet“ habe – ist allerdings unter den Bedingungen einer komplexen Arbeitswelt kaum anwendbar, denn wir erbringen Leistung zusammen und die einzelnen Beiträge lassen sich kaum herausrechnen. Hier hat auch das Modell des breit gestreuten Dateneigentums eine offene Flanke: Es ist überhaupt nicht klar, wie gerechte Preise für die Nutzung der Daten aussehen würden. Lanier setzt auf Marktpreise, aber diese widersprechen unserem Gerechtigkeitsempfinden oft massiv. Sie spiegeln oft stärker die herrschenden Machtverhältnisse und das Herdenverhalten der Aufmerksamkeitsökonomie wider als irgendeine Form von „Leistung“. Und wie schon oben angesprochen: digitale „Leistungen“ können nur entstehen, weil es andere Mitglieder der Gesellschaft gibt, die andere Formen von Arbeit erledigen.

Ist die Lösung im Steuerrecht zu finden?

Wenn man die Tatsache ernst nimmt, dass der Wert von Daten oftmals dadurch entsteht, dass sie „big data“ sind, also große Mengen von Datenpunkten zusammengenommen, kommt man zu der Erkenntnis, dass das Eigentum an dem Wert, der mit ihnen geschaffen wird, ebenfalls ein kollektives ist. Ein weiteres Argument kommt hinzu: Vieles, was heute als „Daten“ Wert hat, beruht auf Leistungen der Vergangenheit. Wem „gehören“ all die mathematischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, auf denen die moderne Datenökonomie aufbaut; wer hat das Eigentum an der Idee des Lexikons, die Pate für Wikipedia stand? All diese Erkenntnisse und Ideen lassen sich, wenn man sie überhaupt eigentumsrechtlich fassen will, nur als gemeinsames Erbe der Menschheit verstehen.

Lanier und andere Vordenker, die eine individuelle Eigentumsordnung für Daten vorschlagen, bleiben einem individualistischen Denken verhaftet, das – gut Lockeanisch – davon ausgeht, dass sich Wertschöpfung individuell zuschreiben lässt. Aber das ist schon in einer nicht-digitalen arbeitsteiligen Wirtschaft ein kaum zu bewältigendes Unterfangen. Für das Internetzeitalter scheint es noch gewagter, allen Möglichkeiten der Informationssammlung zum Trotz – und von den Fragen des Datenschutzes, die derartige Vorschläge aufwerfen, einmal ganz abgesehen! Ein Internetstar wird nur, wer Fans hat. Müsste man die Fans nicht ebenfalls entlohnen? Aber was, wenn die Fans Teenager sind, die von ihren Eltern versorgt werden und nur deswegen die Zeit haben, stundenlang im Internet „Likes“ und „Kommentare“ zu verteilen, müsste das Einkommen dann nicht an die Eltern gehen? Egal, welches Beispiel man durchzuspielen versucht – die Komplexität des Unterfangens ist gewaltig, und am Ende sind erheblich größere Personengruppen beteiligt, als es auf den ersten Blick scheint.

Es geht bei der Diskussion um Eigentum immer auch um Machtfragen

Dennoch ist die Intuition, die Lanier antreibt, plausibel: Wenn im Internet durch die Datenmengen, die zahlreiche Individuen gemeinsam erzeugen, Gewinne erzielt werden, warum sollten diese dann an einige wenige Internetfirmen fließen? Als Gegenmaßnahme brauchen wir aber kein futuristisches, in den Details noch nicht einmal entworfenes, geschweige denn technisch umgesetztes, Eigentumsrecht an Daten. Wir brauchen Mechanismen, durch die ein Teil des erschaffenen Wertes wieder an die Gesellschaft zurückfließt. Die gibt es – sie heißen Unternehmenssteuern. Eine höhere Besteuerung der Internetunternehmen, und die Nutzung dieser Gelder für dringend benötigte Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und die Sozialversicherungssysteme, dorthin führt das Nachdenken darüber, dass Internetunternehmen tatsächlich stark von gemeinsam geschaffenen Werten, den Online-Daten von uns allen, profitieren. Diese politisch durchzusetzen dürfte kaum weniger herausfordernd sein, aber es hat den Vorteil, dass das donquichotte’sche Unterfangen eines Trackings individueller Eigentumsrechte an Daten nicht nötig ist.

Letztlich geht es dabei um noch mehr als die Verteilung von Einkommen. Es geht auch um die Machtfragen, die mit Eigentumsfragen immer einhergehen. Wird über die Gestaltung von Eigentumsrechten durch demokratische Politik entschieden, die zugunsten der Gesellschaft als ganzer operiert? Oder werden Eigentumsrechte zu einer rhetorischen und juristischen Waffe im Kampf mächtiger globaler Firmen gegen Regulierung und Besteuerung? Oft wird die vorherrschende Eigentumsordnung als natürlich, sinnvoll und unverrückbar dargestellt – ohne dass die Frage gestellt würde, ob sich alte Argumente auf neue Phänomene wie Online-Daten sinnvoll übertragen lassen. Lanier ist hoch anzurechnen, dass er sich mit den gegenwärtigen Zuständen nicht zufriedengeben will. Anstatt jedoch Utopien von individuell zurechenbarem Eigentum an Daten nachzuhängen, sollten wir uns auf die Frage konzentrieren, wie ein Teil des Wertes, der durch Daten gemeinsam produziert wird, von den großen Internetfirmen zurück an die Gesellschaft fließen kann. Diese politischen Kämpfe zu kämpfen, kann uns keine noch so ausgefeilte Technik abnehmen.

Lisa Herzog

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