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Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Fulbright-Preis, der CNN-Journalistin Christine Amanpour (ganz rechts), sowie Manfred Philipp (links) und Mary Ellen Heian Schmider (halbrechts) von der Austauschorganisation.

© Wolfgang Kumm / dpa / AFP

Ehrung mit dem Fulbright-Preis: Merkel: Globales Wohl ist nationales Wohl

Die Kanzlerin hält ein starkes Plädoyer für Multilateralismus und Kompromissbereitschaft. "Nur wer ganz alleine ist, muss keine Kompromisse machen".

Wo immer Angela Merkel in diesen Monaten international auftritt, schwebt eine Ahnung von Abschied im Raum. War Davos 2019 ihr letzter Besuch beim Weltwirtschaftsforum, wird die Münchner Sicherheitskonferenz ihre letzte als Kanzlerin? Doch Abschied muss nicht immer Ausstieg bedeuten; er kann auch mit einem Aufstieg enden. Am Montagabend wurde sie mit dem "J. William Fulbright"-Preis für internationale Verständigung ausgezeichnet. Dabei wies die größte akademische Austauschorganisation der Erde darauf hin, dass vier ihrer Preisträger später auch noch den Nobelpreis bekamen: Nelson Mandela, Jimmy Carter, Kofi Annan und Martti Ahtisaari. Wird Merkel die Nächste? Sie war ja schon mehrfach als Kandidatin für den Friedensnobelpreis im Gespräch.

Zusammenarbeit als Lehre aus den Schrecknissen der Geschichte

Die Bundeskanzlerin belegte in ihrer Rede einmal mehr, warum sie so großen internationalen Respekt genießt. In Zeiten, in denen viele Regierungen sich von einer engen nationalen Perspektive leiten lassen, beschwört sie internationale Kooperation und Kompromissbereitschaft. "Multilateralismus war die Antwort auf die Schrecknisse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Lehre bleibt für mich gültig", sagte sie. "Die internationalen Herausforderungen lasen sich in nationalen Alleingängen nicht bewältigen, das ist meine feste Überzeugung. Ich werbe dafür, in globalem Gemeinwohl auch nationales Gemeinwohl zu erkennen. Sich für globales Gemeinwohl einzusetzen, heißt, zugleich etwas für das nationale Gemeinwohl zu tun."

Sie berief sich auf US-Senator Fulbright, der das Begegnungsprogramm gegründet hatte. "Fulbright glaubte direkt nach einem schrecklichen Weltkrieg, dass durch Begegnung Verständnis und Vertrauen entstehen kann." Merkel gab zu bedenken: Staaten könnten Begegnung fördern, aber sie könnten sie nicht vorschreiben. "Sie brauchen Menschen, die den Mut haben, fremde Sprachen zu lernen und sich auf andere Länder einzulassen." Solche Erfahrungen prägten ein Leben lang.

"Begegnung ist eine Kulturleistung"

"Wenn man woanders ist," führte die Kanzlerin diesen Gedanken fort, "kann man seine Vorurteile nicht mehr so leicht pflegen, das wissen wir alle." Jede Begegnung sei eine Verbindung im Netz internationaler Beziehungen. Diesen Austausch zu fördern, sei "auch eine Kulturleistung". Amerikaner und Deutsche hätten diese Lehr immer wieder unter Beweis gestellt. Direkt nach dem Krieg habe das Fulbright-Programm "Hoffnung für ein Land bedeutet, das politisch, wirtschaftlich und moralisch am Boden lag." Ehemalige Kriegsgegner hätten Deutschland Zutrauen und Vertrauen entgegengebracht. Über 46.000 Stipendien habe Fulbright an Deutsche und Amerikaner vergeben. Heute studierten tausende ausländische Studierende in der Bundesrepublik. 

Deutschland wolle und werde mehr Verantwortung übernehmen. "Das zeigt sich an steigenden Ausgaben für die Verteidigung und für Entwicklungshilfe." Auch die EU sei eine solche Lehre aus der Geschichte. "Sie ist die beste Ordnung, die wir je auf unserem Kontinent hatten. Wir müssen mit Rückschlägen zurechtkommen. Die Entscheidung der Bürger Großbritanniens, aus der EU auszuscheiden, ist für mich so ein Rückschlag." Umso mehr "müssen wir uns bemühen, ein möglichst enges Verhältnis beizubehalten."

Europa ist manchmal umständlich

Dieses Europa sei manchmal umständlich, bekannte Merkel. "Ich habe das in vielen Nachtsitzungen bei der Suche nach Kompromissen erfahren." Doch ohne Kompromisse gehe es nun einmal nicht. Das gelte selbst in der Familie, denn wenn man sich nicht einmal über das Essen einige könne, komme kein Gericht auf den Tisch. "Nur wenn ein Mensch ganz alleine ist, muss er keine Kompromisse machen."

Merkels Schlussfolgerung: "Europa kann nur so stark sein, wie es einig ist."

Im transatlantischen Verhältnis gebe es zur Zeit "viel Gesprächsbedarf". Gerade deshalb "brauchen wir viel Begegnung". Das Fulbright-Programm "erweist sich als Segen".

Zuvor hatte CNN-Chefkorrespondentin Christiane Amanpour in burschikos-respektvoller Herzlichkeit ausgeführt, was für einen internationalen Nimbus Merkel hat: "erste Frau, erste Ossi, erste Wissenschaftlerin im Kanzleramt". Seit 14 Jahren sei sie "das internationale Gesicht Deutschlands". Und "eine Inspiration für hunderte Millionen Frauen und Männer".

"Ich war eine junge Möchtegern-Korrespondentin, als die Mauer fiel, und schaffte es damals nicht nach Berlin", bedauerte Amanpour. Sie habe aber verfolgt, wie Deutschland seine Rolle in Europa verstand: Kohl und Mitterrand an den Gräbern in Verdun; deutsche Truppen, die bei der Befreiung des Kosovo halfen. Beeindruckt habe sie auch das das herzliche Verhältnis der Deutschen zu den USA und ihre tiefe Dankbarkeit gegenüber Amerika.

Amanpour: Merkel hält Deutschland und die USA zusammen

Angela Merkel halte auch in schwierigen Zeiten das Bündnis mit den USA zusammen, lobte Amanpour. Es sei die engste Beziehung, die Deutschland außerhalb der EU habe. Sie sei aber nicht bedingungslos, erinnerte die CNN-Korrespondentin in Anwesenheit des US-Botschafters Richard Grenell. Merkel habe Donald Trump an die gemeinsamen Werte erinnert. Und den Mut gehabt, viele Migranten nach Deutschland zu lassen. "Ich weiß aus eigener Erfahrung: Menschen laufen nicht zu Hause weg, nur weil sie einen Mercedes oder eine Siemens-Waschmaschine wollen", sagte die Journalistin. Deshalb habe das Fulbright-Preiskomitee zu Recht Merkels "bemerkenswerte, mitfühlende Führungsstärke" gelobt.

Gerührt äußerte sich Merkel über die Choreografie der Preisverleihung am Pariser Platz nahe dem Brandenburger Tor. Manuel Pauser, ein junger Mann aus ihrem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern, hatte von seinen Erfahrungen als Fulbright-Stipendiat berichtet. Er stellt nicht akademische Errungenschaften ins Zentrum, sondern die menschliche Prägung. "Wer verstehen will, was Amerika ist, muss in einem Jazz-Club in Mississippi getanzt, eine Hochzeit in Kansas erlebt und an einem Erntedankfest in Idaho teilgenommen haben."

Opernsängerin Renee Fleming, "deren Musik ich so schätze", wie Merkel bekannte, lobte die Führungsstärke der Kanzlerin. Fleming war als Fulbright-Stipendiaten in Deutschland gewesen.

Eine Formulierung aus ihren akademischen Disziplinen, Mathematik und Physik, wollte die Kanzlerin teilen: "Internationale Verständigung ist nicht hinreichend, aber notwendig für gutes Zusammenleben." Manchmal muss man auch kämpfen. Am 9. November 2019 werde sich der Mauerfall zum 30. Mal jähren, sagte Merkel. "Das Brandenburger Tor war jahrzehntelang geschlossen und ist nun seit 30 Jahren offen: ein Symbol der Freiheit und eine Erinnerung, dass Amerika sich für diese Freiheit eingesetzt hat."

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