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SPD-Fraktionsschef Frank-Walter Steinmeier wird sich einer Operation unterziehen, um seiner Frau Elke Büdenbender eine Niere zu spenden.

© Davids

Ehepaar Steinmeier-Büdenbender: Ihr geteiltes Leid

Es gibt Dinge, die wichtiger sind als Politik. Gestern konnte man das in Berlin spüren. Als Frank-Walter Steinmeier ans Mikrofon trat, ging es – um zwei Menschen.

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Im Juli machen sie noch Urlaub in Südtirol. Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender lieben die Berge in den südlichen Zillertaler Alpen. Hier kann der staatsmännischste aller Sozialdemokraten Anzug und Krawatte gegen Sweatshirt und Trekkinghose eintauschen. Hier fallen die Gedanken an den politischen Betrieb in der Hauptstadt mit jedem Schritt von ihm ab.

Doch diesmal steigt Elke Büdenbender nicht mehr mit auf die hohen Gipfel. Und die Sorgen, die auf Steinmeier lasten, lassen sich auch beim Wandern nicht mehr abschütteln.

Elke Büdenbender braucht dringend eine neue Niere. Das weiß das Paar seit Ende Mai. Die Ärzte sagen, der Schritt sei noch in diesem Jahr notwendig. Steinmeier unterzieht sich ausführlichen Tests, bis Anfang Juli feststeht, dass er als Spender infrage kommt. Kurz vor Beginn ihrer Reise in die Berge steht der Entschluss der beiden fest. Er wird ihr eine Niere spenden.

In Berlin wissen zu diesem Zeitpunkt nur wenige Bescheid, und das wird auch noch einige Wochen so bleiben. Steinmeier lässt sich nichts anmerken im politischen Tagesgeschäft. In der Binnenwelt der SPD herrscht in diesen Tagen in anderer Sache große Aufregung. Wieder einmal sieht sich der einstige Schröder-Vertraute und frühere Vizekanzler herausgefordert, das Erbe seiner Reformpolitik aus den sozialdemokratischen Regierungsjahren zu verteidigen.

Es geht um die Rente mit 67, und Steinmeier will verhindern, dass seine Partei sich ein für allemal von dem Reformwerk verabschiedet. Wer ihn in dieser Zeit trifft, erlebt einen Frank-Walter Steinmeier, der zugänglich und aufgeschlossen wirkt. Er ist sich in diesen Tagen ziemlich sicher, dass die SPD in der Rentenfrage einen Kompromiss finden wird, der ihn zumindest das Gesicht wahren lässt.

Was Steinmeier wirklich umtreibt, erfährt die Öffentlichkeit am Montagmorgen um 9 Uhr 30. Die SPD-Fraktion hat kurzfristig zur Pressekonferenz in den dritten Stock des Reichstags geladen, wo in Sitzungswochen die Fraktionen tagen und Steinmeier als Chef der sozialdemokratischen Abgeordneten zum Sitzungsbeginn regelmäßig die Glocke schwingt. Heute aber geht es vor den Mikrofonen nicht nur um den Politiker Steinmeier, heute geht es vor allem um den Menschen und Ehemann.

Die Sätze, die Steinmeier in gefasstem Ton vorträgt, hat er mit keinem Parteigremium abstimmen können. Die Sache, um die es geht, duldet keinen Kompromiss. Im dunklen Anzug steht Steinmeier im Pressezimmer neben dem Fraktionssaal, beide Hände umklammern das Pult. Er werde sich „für einige Wochen zurückziehen“, beginnt er seine Erklärung. Seine Frau leide an einer schweren Nierenerkrankung, ihr Gesundheitszustand habe sich in den vergangenen Wochen „akut“ zugespitzt. Dann gibt er die Entscheidung bekannt, die am nächsten Tag die Schlagzeilen bestimmen wird: „Wir haben nach anderen Therapien gesucht. Es gibt den ärztlichen Rat, dass ihr nur eine Organtransplantation wirklich helfen kann. Mangels Alternativen, und weil die entsprechenden Voruntersuchungen das auch erlauben, werde ich selbst der Organspender sein.“

Zwei Stunden später wird Gesundheitsminister Philipp Rösler sagen, was in diesem Moment auch viele der Journalisten denken: „Was“, fragt der junge FDP-Politiker, „was könnte die Liebe zu einem nahestehenden Menschen stärker zeigen als diese Entscheidung?“

Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender – das ist über Jahre hinweg eine Ehe, für die sich die Öffentlichkeit nicht zu interessieren hat. Erst als die SPD den damaligen Außenminister im Herbst 2009 zum Kanzlerkandidaten ausruft, wird aus der bis dahin unbekannten Berliner Verwaltungsrichterin die Frau an seiner Seite. Doch wie ein Anhängsel wirkt sie nie bei ihren Auftritten, weder in Interviews noch auf Parteitagen. „Frank macht seinen Job, ich mache meinen“, sagt sie damals.

Was man weiß über das Leben von Elke Büdenbender und Frank-Walter Steinmeier, hat vor allem sie in jenen Monaten vor der Wahl erzählt. Kennengelernt haben sie sich in Gießen beim Jura-Studium Ende der 80er Jahre. Der bärtige Frank-Walter war damals schon Assistent eines Rechtsprofessors, sie noch Studentin. In eine gemeinsame Wohngemeinschaft zogen sie erst in Hannover, wo Steinmeier als Mitarbeiter von Ministerpräsident Gerhard Schröder anheuerte. 1996 kommt ihre Tochter Merit zur Welt. Und Steinmeier steigt auf zum Chef der Staatskanzlei.

13 Jahre später ist Elke Büdenbender nicht begeistert, als die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur ihres Mannes ansteht. Aber sie stellt ihre Bedenken für ihn zurück. „Ich habe lange gesagt, ich will das eigentlich nicht“, sagt sie einer Journalistin. „Aber dann habe ich mich gefragt, ob man das wirklich darf, sich gegen etwas zu wehren, was dem anderen wichtig ist.“

Man muss sehr selbstbewusst und seinem Partner sehr nahe sein, um so etwas sagen zu können. An beidem lässt Elke Büdenbender in den Wochen vor der Wahl keinen Zweifel. Gefragt nach dem Geheimnis ihrer Ehe, antwortet Steinmeier damals in einem Interview: „Wir sind Menschen mit Maß – nicht überkandidelt, nicht übertrieben eitel – und reiben uns nicht täglich an Kleinigkeiten auf.“ Ihre Antwort ist viel einfacher: „Wir lieben uns! Das ist einfach so.“

Es gibt Dinge, die sind wichtiger als Politik. Und es gibt Tage, da spürt das selbst der hektische Hauptstadtbetrieb. Der Dienstag im November 2007 war so ein Tag, als Franz Müntefering von allen seinen Ämtern schied, um seine krebskranke Frau zu pflegen. Da traten für einen Moment alle politischen Streitigkeiten in den Hintergrund. Nicht anders ist es an diesem Montag im August. Im Willy-Brandt-Haus tritt am Mittag SPD-Chef Sigmar Gabriel vor die Presse. Seine ersten Worte gelten der „bedrückenden Nachricht“. In einem solchen Moment, sagt er, zeige sich, „wie hilflos in der Politik am Ende jene sind, die eigentlich meinen, sie könnten alles regeln und könnten für alles eine Lösung finden. Dafür kann man am Ende nur die Lösung finden, die Frank und Elke Steinmeier gefunden haben.“

Gabriel weiß seit Mittwoch vergangener Woche von der Entscheidung des Fraktionschefs und seiner Frau. Bei einem Treffen in der Parteizentrale hat ihm Steinmeier eröffnet, dass er wegen der Operation für mehrere Wochen ausfallen werde. Als Dienstältester unter den Fraktionsvize solle Joachim Poß seine Vertretung übernehmen. Gabriel ist sofort einverstanden. Mit der Entscheidung für Poß will die SPD-Spitze signalisieren, dass sie an Steinmeiers Rückkehr glaubt. Der 61-jährige Poß ist keiner, dem man Ehrgeiz auf höhere Posten nachsagen könnte.

Schon im Oktober will Steinmeier wieder zurück sein. „Gehen Sie davon aus, dass Sie mich in alter Frische wiedersehen“, sagt er bei seinem Auftritt im Reichstag am Morgen. Tatsächlich ist eine Nierentransplantation auch für den Spender mit Risiken behaftet. Doch der Fortschritt der Medizintechnik hat sie deutlich verringert.

„Nur bei vier bis fünf von 10 000 Eingriffen gibt es schwerwiegende Zwischenfälle“, sagt Ulrich Frei, Nierenspezialist und Ärztlicher Direktor der Berliner Uniklinik Charité. Auch nach der Transplantation gibt es für den Spender selten Probleme. Der Mensch ist von Natur aus mit einer Nieren-„Überfunktion“ ausgestattet. Er kann mit zehn Prozent Nierenfunktion problemlos und ohne Dialyse überleben. Die Entnahme einer Niere fällt also kaum ins Gewicht. Zudem steigert die verbleibende Niere ihre Leistung. „Eine Niere ist völlig ausreichend, wenn man ansonsten gesund ist“, sagt Frei.

Die Entnahme der Niere kann heute mit einer Schlüssellochoperation, also einem kleinen Schnitt durch die Bauchdecke, erfolgen. Die Patienten werden in der Regel nach fünf Tagen aus dem Krankenhaus entlassen. Nach vier Wochen können sie oft wieder arbeiten gehen. Steinmeiers Optimismus scheint gut begründet.

Die Spende ihres Mannes kann Elke Büdenbender vor einem Leben in Dialyse-Abhängigkeit bewahren. In Deutschland beruht etwa jede fünfte von jährlich mehr als 2000 Nierentransplantationen auf einer Lebendspende, der Anteil steigt. Das Organ eines Lebenden verleiht dem Empfänger eine längere Lebenserwartung und eine bessere Lebensqualität. Nach 20 Jahren ist noch jede zweite Niere eines Lebendspenders intakt. Stammt das Organ von einem toten Spender, sind es zehn bis 14 Jahre. Zudem müssen Anwärter im Schnitt sechs Jahre auf eine Niere warten.

Wie viel von einer Spendenbereitschaft abhängt, hat Steinmeier während seiner Studentenzeit am eigenen Leib erfahren. Kurz vor dem Examen wird 1980 bei dem Juristen ein Geschwür auf der Hornhaut diagnostiziert. Er droht zu erblinden. Da die Ärzte befürchten, dass beide Augen betroffen sein könnten, transplantieren sie die Hornhaut eines Organspenders – damals eine noch wenig erprobte Operation. Steinmeier muss tagelang warten, bis er erfährt, dass der Eingriff Erfolg hatte. Sein Augenlicht wird gerettet, aber seine blonden Haare sind über Nacht schlohweiß geworden. Seither trägt Frank-Walter immer einen Organspendeausweis mit sich.

Nach seinem Auftritt im Reichstag geht Steinmeier zurück in sein Fraktionsvorsitzenden-Büro. Die Nachrichtenagenturen verbreiten Eilmeldungen. Es dauert nicht lange, da ruft Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an, kurz darauf meldet sich Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP). Es ist kein Tag wie jeder andere im Regierungsviertel. Mit seinem Stellvertreter Joachim Poß und dem parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion, Thomas Oppermann, regelt er noch die Übergabe. Dann lässt er sich in ein Krankenhaus fahren, dessen Namen er nicht nennen will. Ein Ärzteteam wird dort an diesem Dienstag erst ihn operieren und dann seine Frau.

Mitarbeit Hartmut Wewetzer

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