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Die drei „Flügel“-Freunde Björn Höcke, Andreas Kalbitz und Jörg Urban.

© AFP

Echte Auflösung oder nur Kosmetik?: Wie die AfD um ihren rechtsextremen „Flügel“ ringt

Der „Flügel“ soll sich auflösen, in der AfD brodelt es. Selbst in der Partei glauben einige: Das Netzwerk wird trotzdem weitermachen.

Bei den Gegnern des „Flügels“ herrscht derzeit gute Stimmung. Jahrelang hatte die völkisch-nationalistische Strömung um Anführer Björn Höcke zunehmend Einfluss in der AfD gewonnen. Doch nachdem der Verfassungsschutz den „Flügel“ als rechtsextrem einstufte und ihn zum Beobachtungsobjekt erklärte, forderte die AfD-Spitze den „Flügel“ vergangenen Freitag zur Selbstauflösung auf. „Einige, die bislang mit dem ,Flügel‘ sympathisiert haben, haben mittlerweile zurecht Berührungsängste und distanzieren sich jetzt“, beobachtet der Berliner AfD-Fraktionschef Georg Pazderski. Auf der anderen Seite gebe es „Hardcore-Flügler“, die frustriert austräten.

Dass der Berliner AfD-Fraktionschef die Entwicklung mit Wohlwollen betrachtet, ist kein Wunder. Er hatte sich schon in der Vergangenheit gegen den „Flügel“ und dessen Frontmann Björn Höcke gestellt, was ihm innerparteilich nicht immer gut bekommen ist. Beim letzten AfD-Parteitag wurde der ehemalige Parteivize Pazderski nicht wieder in den Vorstand gewählt.

Aber versinkt die extreme Strömung um Björn Höcke und den Brandenburger Strippenzieher Andreas Kalbitz jetzt wirklich in der Bedeutungslosigkeit? Außerhalb der AfD glaubt das kaum jemand. In Union und SPD etwa sehen sie die angekündigte Auflösung des Flügels als Täuschungsmanöver, um den rechtsextremen Gehalt der Partei zu verschleiern. „Wenn ,Auflösung’ des Flügels ,Aufgehen’ in der AfD bedeutet, dann muss die gesamte AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden“, meint etwa CSU-Generalsekretär Markus Blume. „Höcke bleibt, der Rechtsextremismus bleibt – nur eben künftig mitten in der AfD und nicht mehr als Flügel.“ In der Tat hat der AfD-Bundesvorstand keine personellen Konsequenzen im Bezug auf die „Flügel“-Leute beschlossen.

Die „Flügel“-Führung versucht ihr Gesicht zu wahren

Beim „Flügel“ selbst muss es nach dem Beschluss der AfD-Spitze einigermaßen chaotisch zugegangen sein. Am Samstag machten zunächst Meldungen die Runde, der „Flügel“ werde von Björn Höcke aufgelöst. Auf Facebook widersprach Höcke: Die Meldungen über einen gefassten „Beschluss zur Auflösung des Flügels“ seien schlicht falsch. Höcke postete einen Link zu einem Interview, das er seinem Freund, dem neurechten Verleger Götz Kubitschek, für dessen Medium „Sezession“ gegeben hatte. Darin versucht Höcke sein Gesicht zu wahren und spricht davon, der „Flügel“ sei längst dabei, an einer eigenen „Historisierung“ zu arbeiten. Er selbst, Kalbitz und alle anderen politikfähigen „Flügler“ würden ihren politischen Kurs im Sinne der AfD weiterführen. Von Einsicht keine Spur. Höcke lässt es eher so klingen, als ob der „Flügel“ an sich seinen Zweck bereits erfüllt habe.

Auf Anfrage des Tagesspiegels stellte „Flügel“-Führungsmann Kalbitz nun am Montag klar: „Wir werden der Aufforderung des Bundesverbandes fristgemäß folgen.“ Einen formalen Beschluss des „Flügels“ zu seiner Selbstauflösung könne es aber schon allein deshalb nicht geben, weil der „Flügel“ keine formale Struktur habe, in der er so etwas beschließen könne. Tatsächlich hat der „Flügel“ keinen gewählten Vorstand – es ist aber jedem klar, wer die Anführer der Strömung sind.

Unter „Flügel“-Mitgliedern herrscht am Montag gedämpfte Stimmung. Ein „Flügel“-Mann aus dem Osten schimpft auf die „Weicheier“ aus dem Westen im Bundesvorstand, die vor dem Verfassungsschutz eingeknickt seien. Er ärgert sich darüber, dass in der Bundesvorstandssitzung am Freitag nur einer gegen den Beschluss votiert hatte, den „Flügel“ zur Selbstauflösung aufzufordern – und das war Kalbitz.

Schwarze Kassen?

Stundenlang hatte der Bundesvorstand getagt und darum gerungen, wie mit dem „Flügel“ weiter zu verfahren ist. Wie aus der Partei zu hören ist, war Parteichef Jörg Meuthen dafür, den „Flügel“ bereits Ende März aufzulösen. Er habe sich damit aber nicht durchsetzen können. Ko-Parteichef Tino Chrupalla setzte schließlich unter anderem mit Unterstützung von Fraktionschefin Alice Weidel den Kompromissvorschlag durch, dem „Flügel“ die Möglichkeit zu geben, die Angelegenheit selbst zu regeln und ihn aufzufordern, sich bis Ende April aufzulösen.

Der Berliner AfD-Fraktionschef Pazderski fordert den Bundesvorstand nun auf, die Selbstauflösung des „Flügels“ auch entsprechend zu kontrollieren. „Der ,Flügel‘ hat eine eigene Struktur, ein Logo, einen Fanshop, Veranstaltungen in Planung. Das muss alles abgewickelt werden“, sagte er. „Außerdem muss untersucht werden, ob es wirklich schwarze Kassen des Flügels gab und Spenden an der Partei vorbei geleitet worden.“ Pazderski bezieht sich dabei auf einen Verdacht des Verfassungsschutzes, über den zuerst der „Spiegel“ berichtet hatte.

„Der ,Flügel‘ geht in den Untergrund“

Aber auch wenn der „Flügel“ künftig nicht mehr unter diesem Namen auftritt, glauben auch in der AfD nicht alle, dass er sich jetzt erledigt hat. „Der ,Flügel‘ geht in den Untergrund“, prognostiziert einer, der die Strömung gut kennt. Der „Flügel“ sei bereits in der Vergangenheit sehr erfolgreich dabei gewesen, der AfD seine Ideen einzupflanzen. Wie es jetzt weitergehe, hänge auch davon ab, ob es der Parteispitze gelinge, „Nationalkonservative“ aus dem „Flügel“-Netzwerk herauszulösen.

Denn dass dieses einflussreiche Netzwerk auch nach der „Selbstauflösung“ weiter bestehen wird, daran dürfte kein Zweifel bestehen. Auch der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland ließ nach dem Bundesvorstandsbeschluss durchblicken, dass er nicht genau weiß, was sich genau jetzt ändern soll. Vor allem verbindet man in der AfD-Spitze mit dem Schritt wohl die Hoffnung, dem Verfassungsschutz ein Schnippchen zu schlagen. Im „Flügel“ argumentiert man anders. Es könne genauso gut sein, dass man es dem Verfassungsschutz erleichtere, die AfD als Ganzes zu beobachten, wenn sich der „Flügel“ in die Partei hinein auflöse.

Für den Verfassungsschutz wird aber auch entscheidend sein, welches Gewicht die „Flügel“-Protagonisten in Zukunft haben werden. Bleiben Höcke und Kalbitz in der Partei? Kalbitz etwa wird vom Verfassungsschutz vorgeworfen, Mitglied der rechtsextremen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) gewesen zu sein. Er bestreitet das. Aber seine parteiinternen Gegner hoffen, noch Belege dafür in die Hände zu bekommen. Dann, so glauben sie, könne Kalbitz nicht mehr Mitglied der AfD sein, denn die HDJ steht auf der Unvereinbarkeitsliste der Partei. Sicher ist: Der Machtkampf wird weitergehen.

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