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Ebrahim Raisi wird vermutlich Irans nächster Präsident. Aber die Wahlbeteiligung dürfte deutlich unter 50 Prozent liegen.

© ATTA KENARE/AFP

Ebrahim Raisi ist klarer Favorit: Bei der Wahl im Iran steht der Sieg der Hardliner bereits fest

Iran stimmt über einen neuen Präsidenten ab, der Sieg eines Hardliners steht schon fest. Das Desinteresse der Menschen ist groß – die Mullahs sind alarmiert.

Es ist wie überall. Wenn es um bevorstehende Wahlen geht, schauen alle auf die Umfragen. Das ist auch im Iran so. Doch vor der Abstimmung über einen neuen Präsidenten an diesem Freitag richtet sich die Aufmerksamkeit nicht so sehr darauf, welcher Kandidat vorne liegt.

Im Mittelpunkt stehen vielmehr Voraussagen über die Wahlbeteiligung – und die könnte das Regime schlecht aussehen lassen. Denn die Iraner interessieren sich nicht dafür, wer das Rennen macht. Das liegt an der weit verbreiteten Hoffnungslosigkeit inmitten von US-Sanktionen und einer schweren Wirtschaftskrise.

Und daran, dass es kaum etwas zu wählen gibt. Schon vor dem Wahltag steht so gut wie fest, dass das Land in den kommenden vier Jahren einen erzkonservativen Präsidenten haben wird: Justizchef Ebrahim Raisi ist der haushohe Favorit.

Das personelle und programmatische Angebot ist bei iranischen Wahlen immer eingeschränkt, weil alle Bewerber über den sogenannten Wächterrat von Revolutionsführer Ali Chamenei ausgewählt werden. Bei früheren Abstimmungen hatte der seit 1989 herrschende Revolutionsführer, selbst ein Hardliner, aussichtsreiche Kandidaten aus dem Lager der Reformer zugelassen.

Überleben des Regimes im Blick

Diesmal aber hat Chamenei vor allem das Überleben des Regimes im Blick, das in den vergangenen Jahren mehrmals von landesweiten Protesten erschüttert wurde. Irans Machthaber ist 82 Jahre alt und soll krebskrank sein. Er will dafür sorgen, dass konservative Kräfte und die Revolutionsgarde alle Fäden in der Hand haben, wenn es in den kommenden Jahren um die Ernennung seines Nachfolgers geht.

Deshalb zählen fast alle zugelassenen Kandidaten zu den Ultras, darunter Raisi und der frühere Kommandeur der paramilitärischen Revolutionsgarde, Mohsen Rezai. Laut einer Befragung des staatlichen Senders Press TV kommt Raisi auf 58 Prozent und führt damit klar vor Rezai, der als Zweitplatzierter bei 5,4 Prozent liegt. Wenn Raisi am Freitag unter 50 Prozent bleibt, folgt am 25. Juni eine Stichwahl.

Favoriten gehen über Leichen

Raisi und Rezai haben vieles gemeinsam, obwohl der 60-jährige Raisi ein Geistlicher ist, der seine Herkunft auf den Propheten Mohammed zurückführt, und der 67-jährige Rezai ein Berufssoldat, der schon mit 27 Jahren im Jahr 1981 zum Chef der Revolutionsgarde aufstieg.

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Beide gehen aber für das Regime über Leichen. Raisi war 1988 an einer Massenhinrichtung von rund 5000 Menschen beteiligt und ließ auch in den vergangenen Jahren als Justizchef viele Hinrichtungen zu; die USA haben Sanktionen gegen ihn verhängt. Raisi ist ein früherer Schüler von Chamenei in einem islamischen Seminar und Medienberichten zufolge Lieblingskandidat des Revolutionsführers.

In Rezais Zeit als Chef der Revolutionsgarde fielen der Mord an vier iranischen Oppositionellen im Berliner Lokal „Mykonos“ 1992 und der Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires 1994, bei dem 85 Menschen starben. Die Behörden in Deutschland und Argentinien nannten Rezai als einen der mutmaßlichen Drahtzieher.

Reformer sind chancenlos

Gemeinsam haben Raisi und Rezai ebenfalls, dass sie seit Jahren versuchen, Präsident zu werden. Raisi verlor 2017 gegen den scheidenden Präsidenten Hassan Ruhani, der nach zwei Amtszeiten diesmal nicht antreten darf.

Für Rezai ist die derzeitige Bewerbung schon die vierte Kandidatur seit 2005. Ein weiterer Hardliner, Said Dschalili, könnte am Freitag für eine Überraschung sorgen und Raisi in eine Stichwahl zwingen. Der 56-jährige frühere Atom-Unterhändler ist ebenfalls ein treuer Gefolgsmann des Revolutionsführers.

Mit Rezai oder Dschalili im Präsidentenamt wäre der Siegeszug der Hardliner komplett, nachdem sie im vergangenen Jahr bereits die Parlamentswahlen gewonnen hatten. Die Reformer sind chancenlos, weil sie ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Sie hatten den Iranern nach Abschluss des Atomvertrags 2015 mehr Wohlstand versprochen.

Doch stattdessen gab es neue US-Sanktionen. Ruhanis früherer Zentralbankchef Abdolnasser Hemmati darf zwar antreten, liegt laut Press TV aber bei nur drei Prozent. Als einziger der sechs verbliebenen Kandidaten zählt Hemmati nicht zu den Hardlinern.

Wahlbeteiligung auf Tiefstand

Kein Wunder, dass die Abstimmung viele der 59 Millionen Wähler kaltlässt. Schon bei der Parlamentswahl im Vorjahr sank die Beteiligung auf den historischen Tiefstand von 42,6 Prozent – bei Ruhanis Sieg vor vier Jahren waren es noch 73 Prozent gewesen. Diesmal rufen viele Vertreter des Reformlagers zum Wahlboykott auf. Das Institut Ispa sagt eine Beteiligung von 38 bis 41 Prozent voraus.

Chamenei und sein neuer Präsident können auch ohne Wähler-Mandat regieren. Der Revolutionsführer wird nicht vom Volk gewählt, sondern vom erzkonservativen Expertenrat; seine Regierung kann sich auf die Revolutionsgarde und andere Sicherheitskräfte verlassen.

Wenn die Wähler allerdings mit einem Boykott ein Misstrauensvotum gegen das System abgeben, wird das die Frage nach der Legitimation der Islamischen Republik aufwerfen, die nach den Idealen der Revolution von 1979 allen Iranern die Freiheit bringen sollte. Chamenei, dem es um das Überleben des Regimes geht, nimmt das in Kauf.

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