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Fußballspielen am Computer gehört zu den klassischen E-Sport-Games.

© Mike Wolff

E-Sport wird Thema der Politik: Sie wollen nicht nur spielen

Zocken am Computer – was hat das mit Sport zu tun? Sehr viel – glauben jedenfalls die Abgeordneten der „Parlamentsgruppe E-Sport und Games“

Vor genau einer Woche besuchte Lars Løkke Rasmussen das Trainingscenter des dänischen E-Sport-Vereins Astralis in Kopenhagen. Öffentlichkeitswirksam ließ sich der Minister nicht nehmen, selbst Hand an Maus und Tastatur zu legen, um eine Partie Counter-Strike mitzuspielen – ein taktisches Action-Spiel, bei dem Terroristen und Counter-Terroristen in der Ego-Perspektive mit Maschinengewehren gegeneinander antreten. Der Titel ist in Deutschland ab 16 Jahren freigegeben. Im Anschluss erklärte er: „Viele meiner Kollegen sehen E-Sport bisher nicht als Sport. Wir sind aber auf einem guten Weg, ihnen zu zeigen, dass sie falschliegen.“ Doch Rasmussen ist nicht Digital- oder Sportminister, sondern der dänische Premier.

Und in Deutschland? Angela Merkel nahm wohl zuletzt vor zwei Jahren auf dem Rundgang der Computerspielmesse Gamescom in Köln ein Gamepad in die Hand. Auf Youtube kann man sehen, wie sie den Landwirtschaftssimulator ausprobiert. Rasmussen und Merkel trennen nur zehn Jahre Altersunterschied – doch beim Thema E-Sports liegen zwischen Dänemark und Deutschland Welten.

Unklare Verantwortlichkeiten in der Bundesregierung

Ein Grund dafür: Noch sind digitale Spiele ein Nischenthema ohne feste Heimat. Der von der Bundesregierung mitfinanzierte Deutsche Computerspielpreis wanderte einst vom damaligen Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) in das 2013 neu gegründete Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Weder Neumann noch der damalige Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) galten als ausgemachte Spielefans. Im kommenden Jahr wechselt die Zuständigkeit erneut, diesmal ins Bundespresseamt. Der Preis folgt der Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU), die zuvor Parlamentarische Staatssekretärin im BMVI war. Die jüngst gestartete Games-Förderung des Bundes verbleibt dagegen beim amtierenden BMVI-Chef Andreas Scheuer (CSU). Und in der Diskussion um die Anerkennung von E-Sport als Sport schalteten sich vor allem sportpolitische Sprecher der Fraktionen im Bundestag ein. Ein heilloses Durcheinander von Verantwortlichkeiten also im Regierungsapparat und der Koalition.

Doch jetzt tut sich was: Seit knapp einem Monat hat sich im Bundestag eine Heimat für Abgeordnete aller Fraktionen gebildet, die sich dem Thema verbunden fühlen: die „Parlamentsgruppe E-Sport und Games“. Initiiert hat sie der digitalpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Manuel Höferlin, zusammen mit Thomas Jarzombek (CDU), Tabea Rößner (Grüne) und Falko Mohrs (SPD). Knapp 40 Abgeordnete aller Fraktionen gehören zu den Mitgliedern: Neben Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) stehen auch Abgeordnete der Linken und der AfD auf der Liste. Etwa alle sechs bis acht Wochen trifft sich die Gruppe im Bundestag. Nach der Gründung durften bei einem zweiten Treffen Anfang April die Interessenverbände vorsprechen: der E-Sport-Bund Deutschland und der Dachverband der Branche, Game e.V.

Parlamentsgruppe für E-Sports gegründet

Parlamentarische Gruppen und Parlamentskreise sind kein ungewöhnliches Instrument der politischen Willensbildung im Bundestag. Es gibt Zusammenschlüsse für das Thema Schienenverkehr oder Luft- und Raumfahrt, beide sind seit mehr als 30 Jahren als Fachforen fester Teil des politischen Betriebs. Andere Gruppen widmen sich eher speziellen Themen, etwa die „PG Frei fließende Flüsse“, die „PG Bahnlärm“ oder die „PG Automobiles Kulturgut“. Als im Oktober 2018 bekannt wurde, dass die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles zu den Gründungsmitgliedern der „PG Pferd“ gehört, sorgte das für Hohn und Spott in den Medien.

Das für gewöhnlich eher wenig über die Parlamentsgruppen berichtet wird, liegt zum einen daran, dass es sich um formlose Zusammenschlüsse handelt. Anders als bei herkömmlichen Ausschüssen im Bundestag bestehen keine Vorgaben zu Mitgliederlisten, Protokollen oder Anwesenheit einzelner Abgeordneter – allein die Gründung einer Gruppe muss dem Bundesratspräsidenten angezeigt werden. Eine Liste zu bestehenden Parlamentsgruppen werde nicht geführt, teilte eine Sprecherin des Bundestags mit. Zum anderen liegt es daran, dass der interfraktionelle Austausch für die politische Inszenierung schlicht ungeeignet ist. „Hier geht es nicht um Parteizugehörigkeit, nur um inhaltlichen Austausch“, erklärt SPD-Mann Falko Mohrs.

Mohrs, einer der Mitinitiatoren der E-Sports-und-Games-Gruppe, stammt aus Wolfsburg und hat selbst einen Teil seiner Jugend am Gamepad verbracht. Vor Ort betreibt der VFL Wolfsburg neben der Fußball-Bundesligamannschaft schon seit einigen Jahren auch ein E-Sport-Team mit digitalen Fußballkickern, die bei internationalen Turnieren durchaus mithalten können. „Für mich ist E-Sport Sport“, sagt Mohrs. Natürlich könne man bei der Sportdefinition unterschiedlicher Meinung sein. „Aber dass E-Sport-Vereine auch als gemeinnützig anerkannt werden sollten, dass sollte selbstverständlich sein.“

Schon während Merkels zweiter Amtszeit (2009–2013) hatte der FDP-Abgeordnete Höferlin zusammen mit Rößner, und Jarzombek eine ähnliche Parlamentsgruppe gegründet. „Damals mussten wir viel Aufklärungsarbeit leisten“, erklärt Höferlin. „Das ist heute anders.“

Professionelle E-Sport-Szene ist international schon etabliert

Nach dem Amoklauf von Winnenden forderten Politiker unterschiedlicher Parteien ein Verbot sogenannter „Killerspiele“, weil der Attentäter auch „Counter-Strike“-Spieler gewesen war. Dann folgte ein Miniskandal als der Shooter „Crysis 2“ beim durch die Bundesregierung geförderten Deutschen Computerspielpreis als „Bestes Spiel“ ausgezeichnet werden sollte – als erstes Spiel überhaupt mit einer Freigabe ab 18 Jahren.

Seither hat sich das Bild des Gaming und des E-Sports in der Gesellschaft allerdings gewandelt: International hat sich längst eine professionelle E-Sport-Szene mit eigenen Teams, Weltmeisterschaften und Ligen etabliert. Für Sponsoring, Streaming, Merchandise und sonstige Werbeerlöse im E-Sport rechnet die Unternehmensberatung PwC Deutschland für das Jahr 2022 mit einem weltweiten Umsatz von 1,4 Milliarden Euro. Deutschland ist nach den USA, Südkorea und China der wichtigste Markt.

„Wir stehen nun an der Schwelle vom Profi- zum Breitensport“, sagt Höferlin. „Damit Deutschland da mitspielen kann, brauchen wir die Anerkennung von E-Sport-Vereinen als gemeinnützig.“ Ehrenamtliche E-Sport-Trainer, Visa-Freigaben für internationale Events, Sportförderprogramme – die Liste der Regulierungsaufgaben ist lang. Doch mit Argumenten wie Wettbewerb und der wirtschaftlichen Bedeutung lassen sich auch skeptische Parteikollegen vielleicht einfacher überzeugen als mit der Diskussion über „Killerspiele“ und Kulturwert gewalthaltiger digitaler Spiele, die noch vor ein paar Jahren die Debatte im Bundestag beherrschte.

Es geht um die Anerkennung von E-Sport als Sport

Auch Höferlin kennt beide Seiten der Debatte um gewalthaltige Medien – als Jugendlicher spielte er selbst „Duke Nukem 3D“, „Half-Life“ oder „Team Fortress“. Nun muss er für seine Kinder entscheiden, welche Apps installiert werden dürfen. Spielesucht und Jugendschutz – auch diesen Themen werde man sich in der Parlamentsgruppe zuwenden, sagt der FDP-Mann. „Die Mitglieder der Gruppe eint eine Leidenschaft gegenüber dem Thema E-Sport und Games. Das sichert den konstruktiven Austausch.“

Bei vielen Fragen wie der Anerkennung von E-Sport als Sport gebe es eine grundsätzliche Einigkeit, sagt Tabea Rößner, Sprecherin für Netzpolitik der Grünen. Spannend wird es, wenn die Konsensthemen einmal aufgebraucht sein sollten. „Doping im E-Sports, Sexismus und das Suchtpotenzial digitaler Spiele – auch diese Themen werden wir in der Parlamentsgruppe behandeln“, kündigt sie an. Und: „Wollen wir die Gaming-Wirtschaft fördern? Oder auch das Kulturgut digitale Spiele?“, fragt Rösner. Spätestens hier liegen die Meinungen bei Wirtschafts-, Kultur- und Sportpolitikern unterschiedlicher Fraktionen womöglich weit auseinander.

Wie geht es weiter? Für einen der zukünftigen Termine könnte man sich durchaus vorstellen, einen deutschen Profi-E-Sportler einzuladen, berichtet Höferlin. Vielleicht werde der FC Bundestag, die Fußballmannschaft des Bundestages, irgendwann einmal auch ein E-Sport-Team aufstellen.

Welche weiteren parlamentarischen Initiativen aus der Gruppe entstehen, ist dagegen noch offen. Sollte jedoch ein Games-Thema wieder einmal an politischer Schärfe gewinnen, ist ohnehin allen Beteiligten klar, dass der interfraktionelle Austausch hinter dem parlamentarischen Alltag von Regierung, Opposition und Fraktionszwang zurückstehen muss.

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