zum Hauptinhalt
Bewerben sich um den Parteivorsitz: Robert Habeck aus Schleswig-Holstein und Annalena Baerbock aus Brandenburg.

© Nietfeld/Wendt/dpa

Duo Habeck und Baerbock: Hat es sich bei den Grünen bald ausgeflügelt?

Bei den Grünen spielt die Unterscheidung von Realos und Fundis bei Personalfragen eine große Rolle. Mit Annalena Baerbock und Robert Habeck könnte sich das ändern.

Es ist eine kleine Revolution, die Robert Habeck und Annalena Baerbock bei den Grünen vorhaben: Beide verbinden ihre Kandidatur zum Parteivorsitz mit einer Absage an die Flügellogik ihrer Partei. Es sei „Zeit, das aus Misstrauen geborene Austarieren der Macht zwischen den Flügeln zu beenden“, sagt Habeck. Der Umweltminister aus Schleswig-Holstein wünscht sich, in einem Bundesvorstand zu arbeiten, der sich von der starren, lähmenden Logik „ein rechts, ein links, ein fallenlassen“ frei mache. Er jedenfalls kandidiere „unabhängig von Flügeln“. Auch die Brandenburger Klimaschutzexpertin Baerbock betont, sie trete an, ohne dass dies vorher „fertig ausklamüsert und ausgeflügelt“ worden sei.

Die beiden Politiker stellen damit die Tradition infrage, wonach Doppelspitzen bei den Grünen mit je einem Vertreter der Strömungen besetzt werden. In der Satzung ist dieses Prinzip zwar nicht festgeschrieben – anders als die Besetzung mit mindestens einer Frau. Doch auf Bundesebene ist das Austarieren zwischen Realos und linken Grünen bei Personalfragen immer noch üblich.

Ob Baerbock und Habeck sich auf dem Parteitag Ende Januar durchsetzen können, wird also spannend. Denn offiziell zählen beide zu den Realos, auch wenn sie sich als unabhängig präsentieren. Doch ihre Chance könnte sein, dass bisher keine überzeugenden Gegenkandidaten vom linken Flügel in Sicht sind. Parteichefin Simone Peter hat ihre erneute Kandidatur zwar angekündigt, aber der Linksgrünen fehlt selbst bei den eigenen Leuten die breite Unterstützung. Auch Versuche, eine andere Kandidatin vom linken Flügel zu finden, waren in den vergangenen Monaten nicht erfolgreich. „Unsere coolen Leute wollen halt nicht “, stellt ein Landespolitiker nüchtern fest.

"Die beiden haben die gesamte Partei im Blick"

Hilfreich könnte sein, dass Baerbock und Habeck aus Landesverbänden stammen, in denen Flügelpolitik in den letzten Jahren faktisch keine Rolle gespielt hat. Die Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner ist zuversichtlich, dass das Duo in der Lage wäre, die Partei insgesamt mitzunehmen: „Ich gehe davon aus, dass die beiden sich ihrer Verantwortung bewusst sind und die gesamte Partei im Blick haben werden“, sagte sie dem Tagesspiegel.

Unterstützung gibt es auch aus anderen Landesverbänden. Weite Teile der Basis hätten für das starre Flügelsystem kein Verständnis, sagten die bayerischen Landeschefs, Sigi Hagl und Eike Hallitzky, der dpa. „Es sollten die Besten antreten können, sie treten für die Gesamtpartei an und nicht für einen Flügel.“ Die Hamburger Parteichefin Anna Gallina und ihr Vize Martin Bill zeigten sich überzeugt, dass die beiden ein „starkes und vielversprechendes Führungsteam“ wären.

Zuspruch kommt aber auch von linken Flügelleuten. „Es liegen schon jetzt sehr gute Kandidaturen für den Bundesvorstand von qualifizierten Menschen vor. Auch eine Doppelspitze aus Annalena Baerbock und Robert Habeck kann ich mir gut vorstellen“, sagte der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Sven Lehmann dem Tagesspiegel. Entscheidend sei, dass die Doppelspitze alle grünen Milieus und die Breite der Grünen- Wählerschaft im Blick habe. An eine künftige Parteiführung hat Lehmann einen Wunsch: „Ich erwarte, dass künftig gesellschaftliche Großkonflikte wie die soziale Spaltung wieder stärker angepackt werden“, sagt er. „Das kam in letzter Zeit manchmal zu kurz.“

Habeck will sein Ministeramt in Kiel übergangsweise behalten

Zwei Realos an der Spitze – dieser Bruch mit den bisherigen Prinzipien könnte bei den Grünen intern also vermittelbar sein. Deutlich schwieriger dürfte auf dem Parteitag jedoch eine andere Frage werden: Habeck, der erst vor wenigen Monaten in Schleswig-Holstein als Vizeministerpräsident wiedergewählt wurde, hat seine Partei gebeten, ihm eine Übergangszeit zu gewähren. Er brauche „Pi mal Daumen“ ein Jahr, um in Kiel eine geordnete Übergabe an einen Nachfolger hinbekommen zu können. Doch die Satzung sieht bisher vor, dass ein Bundesvorsitzender nicht gleichzeitig Landesminister sein kann.

Manche in der Partei wollen diese Regelungen nun ändern. Für den Parteitag liegen mehrere Anträge vor: Einer beinhaltet eine Übergangsfrist von bis zu sechs Monaten, zwei weitere wollen ein Jahr gewähren, wie Habeck es sich wünscht. Und ein Antrag sieht vor, die traditionelle Trennung von Amt und Mandat bei den Grünen komplett aufzuheben. Diese habe sich „inzwischen überlebt“, heißt es. Wieder andere wollen die grundsätzliche Frage in einer Urabstimmung von den Parteimitgliedern klären lassen.

Auf dem Parteitag steht Streit über die Satzung bevor

Doch gerade bei linken Grünen stößt die Forderung nach einer längeren Übergangsfrist auf Widerspruch. Sollte die Partei Habeck zum Vorsitzenden wählen, stehe ihm selbstverständlich eine angemessene Übergangszeit zur Niederlegung seines Ministeramtes zu, sagt der NRW-Grüne Lehmann. „So pragmatisch hat die Partei es in der Vergangenheit immer gehalten.“ Die Trennungsregel von Bundesvorsitz und Ministeramt habe sich aber bewährt. „Sie steht nach einer Urabstimmung in unserer Satzung und verhindert Machtkonzentration und Selbstüberforderung.“ Auch für Hochleistungspolitiker habe der Tag nur 24 Stunden, davon hoffentlich einige für Schlaf und andere Dinge. „Eine Abschaffung der Trennungsregel ist also weder praktikabel noch gesund und auch nicht notwendig“, sagt Lehmann. Manche in der Partei fürchten deshalb, dass Habeck am Ende an der Satzung scheitern könnte.

Für den Fall hat sich der Europaabgeordnete und Attac-Mitbegründer Sven Giegold als Ausweg-Kandidat angeboten.

Zur Startseite