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Aiden Aslin, Shaun Pinner und Saaudun Brahim (v.l.n.r.): Sie kämpften für die Ukraine, nun sind sie in russischer Gefangenschaft.

© Telegram

Droht ihnen die Todesstrafe?: So steht es um die Kriegsgefangenen aus dem Asow-Stahlwerk

Über Wochen leisteten Soldaten in Mariupol Widerstand. Dann ergaben sie sich den russischen Truppen. Die Sorge um sie wächst.

Ein riesiges Industriegelände, darauf ein Stahlwerk voller Bunker und kilometerlanger Tunnel: Im Mai wurde das Asow-Stahlwerk zur weltweit beachteten und gefeierten Bastion des ukrainischen Widerstands. Tausende Kämpfer wie Zivilisten hatten hier über Wochen ausgeharrt und den russischen Truppen erbitterten Widerstand geleistet.

Ihr Schicksal sorgte immer wieder für Schlagzeilen. Mehrere Evakuierungsversuche scheiterten, nur schrittweise konnten Zivilisten aus dem Werk herausgeholt werden.

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Ende Mai ergaben sich die übriggebliebenen Kämpfer. Sie wurden daraufhin nach Russland oder in pro-russische Separatistengebiete gebracht.

Laut russischen Angaben soll es sich um mehr als 2.500 Soldaten handeln. Nach eigenen Angaben fand das russische Militär bisher mehr als 150 Leichen im Stahlwerk. Auf Twitter ist in einem Video zu sehen, wie russische Soldaten das geräumte Gebäude ablaufen.

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Bereits während der Belagerung behauptete Putin, im Asow-Stahlwerk würden sich vornehmlich Nazis aufhalten. Damit bediente er das Kriegsnarrativ, laut dem Russland eine „militärische Spezialoperation“ zur „Entnazifizierung der Ukraine“ durchführt.

Ukrainischer Geheimdienst steht in Kontakt mit den Gefangenen

Nun wächst die Sorge, wie es für die Kriegsgefangenen weitergeht. Die ukrainische Führung hatte einen Gefangenentausch angeboten, dem Russland bisher nicht nachkommt.

Der ukrainische Geheimdienst steht nach Angaben der Regierung in Kiew in Kontakt zu den Asowstal-Soldaten. Die Regierung unternehme alles, um sie freizubekommen, sagte Innenminister Denys Monastyrskij im ukrainischen Fernsehen jüngst. Über den Geheimdienst wisse man, wie die Haftbedingungen sind, die Versorgung und die Möglichkeiten einer Freilassung der Kämpfer. Genauere Informationen lieferte Monastyrskij jedoch nicht.

Die Genfer Konvention

Der Umgang mit Kriegsgefangenen ist in der dritten Genfer Konvention geregelt. In diesem zwischenstaatlichen Abkommen des humanitären Völkerrechts sind bestimmte Grundrechte festgelegt, die gesichert sein müssen. Russland hat die Konvention 1867 unterschrieben.

Freiwillige des Asow-Regiments bei Schießübungen (Archivfoto)
Freiwillige des Asow-Regiments bei Schießübungen (Archivfoto)

© James Sprankle/dpa

Demnach müssen Gefangene jederzeit human behandelt, medizinisch versorgt und unter menschenwürdigen Bedingungen untergebracht werden. Sie dürfen nicht gefoltert oder getötet werden, zudem müssen sie vor "Gewalt oder Einschüchterung, sowie vor Beleidigung und öffentlicher Neugier" geschützt werden.

Auch muss das „Rote Kreuz“ Zugang zu den Gefangenen haben, die Gefangenen müssen außerdem Kontakt zu ihren Familien aufnehmen können.

Lage weiterhin unklar

Ob diese Vorgaben bei den Soldaten aus Mariupol eingehalten werden, ist unklar. Die Angaben über die Situation der Kriegsgefangenen unterscheiden sich.

Der britische „Guardian“ berichtete Ende Mai, die Gefangenen seien in „zufriedenstellenden Konditionen" untergebracht. Denys Prokopenko, Kommandeur des Asow-Bataillons, das im Stahlwerk kämpfte, hatte mit seiner Frau telefonieren können und berichtet, dass es keine Gewalt gegen die Gefangenen gebe. „Die Bedingungen entsprechen den Anforderungen,“ wurde er zitiert. Unklar war, ob er beim Telefonat frei hatte sprechen können.

Nataliia Zarytska, die Ehefrau eines anderen Soldaten, berichtet jedoch gegenüber der britischen „Times“, seit dem 17. Mai keinen Kontakt mehr zu ihrem Mann gehabt zu haben. Während er sie aus dem Stahlwerk heraus täglich angerufen hatte, herrscht seitdem Funkstille. Sie wisse nicht einmal, ob ihr Mann noch am Leben sei.

Erst am Dienstag hatten die Abgeordneten in der Duma in letzter Lesung beschlossen, aus dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auszutreten. Damit waren sie einem Beschluss der übrigen Mitglieder zuvorgekommen.

Aktivisten warnen nun vor einer möglichen Verschärfung des Vorgehens gegen die russische Zivilgesellschaft inmitten des Militäreinsatzes in der Ukraine sowie vor einer möglichen Wiedereinführung der Todesstrafe in Russland. Die könnte dann auch auf einige Kämpfer aus dem Stahlwerk angewandt werden, glauben einige.

Freiwillige werden als Söldner gehandelt

Auf ukrainischer Seite kämpfen auch viele Freiwillige aus dem Ausland. Kiew selbst hatte sie zu Hilfe gerufen. In Moskau allerdings werden diese Freiwilligen als Söldner bezeichnet. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, erklärte, sie würden nicht als Kombattanten betrachtet.

Die internationalen Konventionen zur Behandlung von Kriegsgefangenen würden damit für sie nicht gelten. Daher müssten sie bei einer Gefangennahme „im besten Fall“ mit einer langen Gefängnisstrafe rechnen. Im schlimmsten Fall jedoch mit dem Tod.

Auch die prorussischen Separatisten aus den besetzten Teilen des Donbass haben mehrfach öffentlich damit gedroht, gefangene Ausländer in den Reihen der ukrainischen Armee hinrichten zu lassen.

Prozess gegen drei ausländische Kämpfer beginnt

Am Mittwoch begann ein erster Prozess gegen drei ausländische Kämpfer, die die ukrainische Armee in Mariupol unterstützt hatten.

Bei den Angeklagten handelt es sich laut „BBC“ um den Marrokaner Saaudun Brahim und die beiden Briten Aiden Aslin, 28 Jahre alt, und Shaun Pinner, 48 Jahre alt, beide aus Bedfordshire.

Aislin hatte bereits in der kurdischen Miliz YPG in Rojava in Nordsyrien gekämpft, seit 2018 ist er nach eigenen Angaben Teil der ukrainischen Armee. Auch die Familien von Aslin und Pinner bestätigten, beide hätten seit 2018 in der Ukraine gelebt und seien seit Jahren Mitglieder des Militärs gewesen.

Seine Familie erklärte laut „BBC“ in einem Statement, sie würden derzeit mit der ukrainischen Regierung und dem Außenministerium zusammenarbeiten, „um zu versuchen, Aiden nach Hause zu bringen. Aiden ist ein sehr geliebter Mann und wird sehr vermisst, und wir hoffen, dass er sehr bald freigelassen wird.“ hieß es darin.

Die Bundesregierung hat die russische Führung aufgefordert, sich bei der Behandlung ukrainischer Kriegsgefangener an internationales Recht zu halten. "Dies ist ein dringender Appell, sagt die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann.

Die Bundesregierung habe Moskau mehrfach aufgefordert, das Völkerrecht zu achten. Das Thema sei beim Gespräch von Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj erörtert worden, bestätigt sie. Zu der Frage, ob Deutschland dabei vermitteln soll, machte sie keine Angaben.

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