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In der AfD wächst die Angst vor dem Verfassungsschutz.

© picture alliance/Oliver Berg/dpa

Drohende Verfassungsschutzbeobachtung: Ärger in der AfD wegen angeblicher „Sprechverbote“

Mit einer mehrteiligen Strategie will die AfD-Spitze eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz verhindern. Das stößt rechts außen auf viel Unmut.

Die Hessenwahl war kaum vorbei, da ging die Seite online: Unter der Überschrift „Stuttgarter Aufruf“ machten 60 Erstunterzeichner ihrem Unmut über die AfD-Führung Luft. Die Mitglieder seien angesichts der jüngsten Zunahme an Parteiausschlussverfahren verunsichert, hieß es da. Diese Verfahren würden zum eigenen Machterhalt missbraucht. Die AfD müsse sich aber auf ihre Gründungsideale zurückbesinnen. „Wir widersetzen uns allen Denk- und Sprechverboten innerhalb der Partei.“ Es ist ein harter Angriff auf das Führungspersonal - zumal in einer Partei, die sich als Kämpferin gegen die politische Korrektheit sieht.

Was steckt dahinter? Seit den Ereignissen in Chemnitz, wo die AfD gemeinsam mit Pegida einen Schweigemarsch veranstaltete, steht die Partei verstärkt im Fokus des Verfassungsschutzes. Zwei Landesverbände der AfD-Jugend werden bereits beobachtet, der Thüringer Landesverband von Björn Höcke gilt als „Prüffall“. Der Bundesvorstand der Partei hat deshalb eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die eine Beobachtung der AfD verhindern soll. Diese hat mehrere Aufgaben: Sie soll eine rechtliche Auseinandersetzung vorbereiten, für den Fall, dass es zur Beobachtung kommt. Sie soll aber auch präventiv Handreichungen vorbereiten, welche Positionen „inakzeptabel“ sind und zudem einen Überblick behalten über laufende Ausschlussverfahren. Sie nimmt auch Hinweise aus der Mitgliedschaft an. In der Partei werden die Mitglieder der Gruppe teilweise jetzt schon als „Inquisitoren“ geschmäht.

Anwendung von „Gehirnschmalz“

Eine Vorstellung davon, wie diese Handreichungen aussehen können, bekam man nun in Niedersachsen. Der NDR berichtete zuerst über ein Strategiepapier, das der dortige Parlamentarische Geschäftsführer Klaus Wichmann geschrieben hat. Der Sender zitiert aus dem Papier: „Um die Menschenwürde abzulehnen, muss ich nicht irgendwo äußern ‚Farbige haben keinen Anspruch auf Menschenwürde‘, es reicht wenn ich schreibe ‚Farbige sind Tiere‘. Damit ist dieser Gruppe indirekt die Menschenwürde abgesprochen worden.“ In den allermeisten Fällen sei unter Anwendung von „Gehirnschmalz“ eine andere Formulierung zu finden, die annähernd dasselbe aussage. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) kritisierte, dass die AfD nur gegen diese Äußerungen vorgehe, weil sie sich vor dem Verfassungsschutz schützen wolle - und nicht aus Überzeugung. Das sei „entlarvend“.

Dennoch sind solche Handreichungen den Initiatoren des „Stuttgarter Aufrufs“ offenbar ein Dorn im Auge. Erstunterzeichner sind ausgerechnet Mitglieder und Funktionäre, von denen viele selbst zu den Radikalen und Rechtsauslegern in der Partei zählen. Da ist zum Beispiel der Anwalt Dubravko Mandic, der im Frühjahr vor Gericht stand, weil er eine Aufnahme der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse gepostet hatte, auf der die Köpfe angeklagter Nazigrößen durch die Gesichter aktueller Politiker ersetzt wurden. In Internetforen nannte er den früheren US-Präsident Barack Obama einen „Quotenneger“. Zu den Unterzeichnern zählt auch der baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Räpple, der kürzlich eine Lehrer-Meldeplattform für Baden-Württemberg online gestellt hatte und sich dafür aussprach, dass der Holocaust-Leugner Wolfgang Gedeon wieder in die AfD-Fraktion aufgenommen wird. Dabei ist außerdem das Berliner Abgeordnetenhausmitglied Andreas Wild, der dort aus der AfD-Fraktion geworfen wurde, weil er immer wieder durch rechte Parolen auffiel. Im Impressum des „Stuttgarter Aufrufs“ steht unterdessen die baden-württembergische Landtagsabgeordnete Christina Baum, die zu den Anhängern des rechtsnationalen „Flügels“ von Björn Höcke zählt. Weitere Abgeordnete der Stuttgarter AfD-Fraktion zählen ebenfalls zu den Erstunterzeichnern - daher auch der Name.

Ähnlichkeiten mit „Erfurter Resolution“

Der einzige Bundestagsabgeordnete der die Resolution unterzeichnet hat, ist der Bayer Hansjörg Müller, einer der Parlamentarischen Geschäftsführer der AfD-Fraktion. Auf Facebook schreibt er, ein Teil der Führungsgremien reagiere „falsch auf die drohende Verfassungsschutzbeobachtung, durch interne Meinungszensur und Überreaktionen gegenüber eigenen Mitstreitern.“ Er spricht von „Selbstmord aus Angst vor dem Tod“.

In Machart und Duktus erinnert der „Stuttgarter Aufruf“ an die „Erfurter Resolution“. Diese sorgte im Jahr 2015 für große Aufregung. Damals wuchs die Frustration der AfD-Nationalisten um Höcke, weil Parteigründer Bernd Lucke ihnen keinen Raum in der AfD einräumte. Hunderte unterzeichneten damals die von Höcke eingebrachte „Erfurter Resolution“. Es war die Geburtsstunde von Höckes „Flügel“. Dieser trug damals maßgeblich dazu bei, Lucke zu stürzen. Bis heute will der „Flügel“ verhindern, dass die Partei zu schnell im Establishment ankommt.

Derzeit ist aber nicht anzunehmen, dass der „Stuttgarter Aufruf“ eine ähnliche Wucht entfaltet wie die Resolution von Erfurt. Dennoch zeigt er, dass es in der AfD demnächst zu großen Grabenkämpfen kommen wird, wenn die Parteispitze ihre Strategie in Sachen Verfassungsschutz weiter vorantreibt. Und davon ist auszugehen - denn eine Beobachtung will sie um jeden Preis verhindern.

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