zum Hauptinhalt
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

© Michael Kappeler/dpa

Dritte große Koalition?: Aus der Defensive: Wie die Union die SPD umwirbt

Die Union versucht, freundliche Signale an die SPD zu senden, um der den Weg in eine nächste große Koalition möglichst leicht zu machen.

Von Robert Birnbaum

Angela Merkel malt das ganz große Bild. Die Konflikte im Nahen Osten, „die Situation mit Russland“ und „die Situation in den Vereinigten Staaten“, die Digitalisierung, gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land. In Europa warten Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf Antworten auf ihre Reformpläne, und das rechtzeitig weit vor der Europawahl 2019. – Also, kurz: „Für uns ist es wichtig, dass wir Stabilität im Land schaffen.“

Das CDU-Präsidium hat am Sonntag vier Stunden die Lage nach dem Jamaika-Aus beraten, im Vorstand am Montag hat sich fast jeder zu Wort gemeldet. Die Haltung ist eindeutig. Keiner habe offensiv für eine Minderheitsregierung plädiert, berichten Teilnehmer. Selbst junge Wilde wie Jens Spahn oder JU-Chef Paul Ziemiak ließen zwar größere Bereitschaft erkennen, mit einem solchen Experiment zumindest zu drohen. Aber im Ergebnis unterstützen alle den Versuch, mit der SPD über eine erneute große Koalition zu reden. „Ernsthafte, engagierte, redliche Gespräche“ bietet Merkel an.

Allerdings sollen Sondierungen nicht mehr vor dem SPD-Parteitag vom 7. bis zum 9. Dezember beginnen. „Die müssen sich ja erst mal sortieren“, sagt ein Vorständler, „und ihre Personalien klären.“ Das gilt freilich ebenso für die CSU. Dort hat der Vorsitzende Horst Seehofer bis zum Wochenende Klärung angekündigt. Auch der CDU ist etwas Zeit recht. Eine kleine Kommission mit Spahn und anderen soll ein Rentenkonzept als Grundlage für Verhandlungen skizzieren.

Merkel verspricht ernsthafte, engagierte, redliche Gespräche

Auch sonst ist das Bemühen erkennbar, den Sozialdemokraten den Weg in ein Bündnis nicht zu erschweren, das die noch vor einer Woche vehement ausgeschlossen hatten. Merkel lehnt es ausdrücklich ab, rote Linien zu ziehen oder Mindestforderungen aufzustellen. „Ich möchte mich daran nicht beteiligen“, sagt die CDU-Chefin. Jeder kenne das Wahlprogramm des anderen als Basis für Gespräche. Jeder wisse, dass er Kompromisse machen müsse, jeder wisse zugleich vom anderen, „dass man als Partei auch erkennbar bleiben will“.

Auch dieser Kurs scheint jetzt Konsens, nachdem der eine oder andere aus der CDU in Versuchung geraten war, den anschwellenden Forderungskatalogen aus allen Ecken der SPD eigene programmatische No-Go-Areas entgegen zu setzen. „Es wäre nicht gut, wenn wir uns jetzt öffentlich rote Linien vor die Füße kippen“, warnt Parteivize Julia Klöckner. Mit-Vize Thomas Strobl nennt Beispiele. „Wenn die SPD den Systemumbau der Krankenversicherung zum Eintrittsgeld für Gespräche macht, dann geht das natürlich gar nicht“, sagt er dem „Handelsblatt“. „Dann soll sie halt in der Schulz- Schmollecke bleiben.“

Hinter den Appellen steht die Sorge, dass der Versuch gescheitert wäre, bevor er begonnen hat, wenn sich SPD und Union noch vor dem ersten Gespräch hochschaukeln. Einfach ist die Lage ohnehin nicht. Die Union hat in den Jamaika- Verhandlungen bei vielen Themen ihre Karten aufgedeckt. SPD-Unterhändler könnten darauf pochen, dass sie ihnen gegenüber nun nicht dahinter zurückfällt.

Der Hinweis eines CDU-Vorstandsmitglieds, jedes Jamaika-Zugeständnis müsse als Teil eines Gesamtpaketes gesehen werden, das mit der SPD anders ausfallen werde als mit FDP und Grünen, ist theoretisch richtiger als er es praktisch- taktisch realistisch ist. Auch sonst sind CDU und CSU auf den ersten Blick in der Defensive. Die Jamaika-Option ist tot – Merkel zitiert FDP-Chef Christian Lindner, der neue Gespräche mit den Grünen „auf absehbare Zeit“ ausschließt, und schlussfolgert: „Ich nehme das, was gesagt wird, einfach ernst.“ Lust auf eine Minderheitsregierung hat die Kanzlerin null.

Klöckner will roten Linien von beiden Seiten vermeiden

Trotzdem finden es etliche in der CDU keineswegs ausgemacht, dass die SPD für ein Regierungsbündnis fordern könnte, was immer sie will. SPD-Chef Martin Schulz hat sich zwar mit der angekündigten Mitgliederbefragung über einen Koalitionsvertrag ein starkes Druckmittel geschaffen. Aber da ist erstens der Bundespräsident. Frank-Walter Steinmeier dürfte Schulz, Merkel und Seehofer am Donnerstag deutlich machen, dass er einen ernsthaften Anlauf erwartet.

Und zweitens macht es einen Unterschied, ob eine ohnehin etwas krawallig auftretende Kleinpartei wie die FDP aussteigt oder ob eine Volkspartei sich dem Verdacht aussetzen würde, mit überzogenen Forderungen nur zum Schein zu verhandeln. „Dass von Neuwahlen die SPD profitieren würde, ist mir am Wenigsten vorstellbar“, sagt ein CDU-Vorstandsmitglied. Die FDP vielleicht, die Grünen, möglicherweise sogar die Union – aber eine SPD, die nicht regieren will oder wenn, dann höchstens Rot-Rot-Grün?

Über einen dritten Weg ist in den CDU-Gremien nicht geredet worden: Eine Minderheitsregierung, die mit der SPD eine begrenzte Duldung fest aushandelt. Merkel hält auch davon nichts. „Die Bildung einer starken Regierung ist aus meiner Sicht ein Wert an sich“, appelliert sie. Und setzt später nach: „dass so viele Parteien gar nicht regieren wollen“, das hätten sich die Väter und Mütter des Grundgesetzes wahrscheinlich nicht vorstellen können.

Zur Startseite