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Der britische Premier Boris Johnson am 4. September.

© REUTERS/Hannah McKay

Drei Niederlagen in 24 Stunden: Boris Johnson ist auf Normalmaß geschrumpft

Das Unterhaus verabschiedet ein Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit. Aber Boris Johnsons Tage sind noch nicht gezählt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Das Unterhaus hat am Mittwochabend die Verhältnisse in der britischen Politik wieder etwas geradegerückt. Mit der Verabschiedung eines Anti-Chaos-Gesetzes haben die Parlamentarier den Politiker Boris Johnson, der im Kindesalter „König der Welt“ werden wollte, auf Normalmaß geschrumpft. Der britische Premierminister, der notfalls ohne Deal aus der EU aussteigen will, kann eben doch nicht völlig frei schalten und walten. Dass das Unterhaus beim Brexit ein entscheidender Faktor ist, hat schon Johnsons Vorgängerin Theresa May leidvoll erfahren müssen.

Ein ungeregelter Brexit ist ein Stück unwahrscheinlicher geworden

Nach dem Votum vom Mittwochabend ist ein ungeregelter Brexit am 31. Oktober ein Stück unwahrscheinlicher geworden. Das Gesetz sieht vor, dass der Brexit um drei Monate bis Ende Januar verschoben wird, sofern Johnson sich beim Gipfel in Brüssel Mitte Oktober mit den verbleibenden 27 EU-Staaten nicht über die Modalitäten des Austritts einigt.

Allerdings stellt die Abstimmung im Unterhaus nur einen Etappensieg für alle dar, die einen Chaos-Brexit in acht Wochen verhindern wollen. Denn die Sorge, dass das Anti-Chaos-Gesetz im Oberhaus noch zu Fall gebracht werden könnte, ist nicht ganz unbegründet. Die Peers verfügen über ihre Möglichkeiten, um die Verabschiedung des Gesetzes zu torpedieren - durch endlose Redebeiträge und zahllose Änderungsanträge.

Corbyn hat gute Gründe, sich vorerst nicht auf Neuwahlen einzulassen

Aus diesem Grund lässt sich der Oppositionsführer Jeremy Corbyn vorerst nicht darauf ein, den Weg für Neuwahlen im Unterhaus frei zu machen. Der Labour-Chef will erst sicherstellen, dass das Gesetz zur Verhinderung eines ungeregelten Brexit in trockenen Tüchern ist. Erst dann möchte er Johnsons Antrag auf eine baldige Neuwahl zustimmen. Die Opposition verweigerte daher dem Regierungschef die Zustimmung für eine Neuwahl am 15. Oktober – und bescherte ihm die dritte Niederlage innerhalb von 24 Stunden. Dass das Unterhaus auf geradezu revolutionäre Weise einem Premierminister den Boden entzieht, hatte sich bereits am späten Dienstagabend angedeutet, als die Abgeordneten gegen den Willen Johnsons per Abstimmung den Weg für das Gesetz gegen den No-Deal-Brexit freimachten.

Man sollte aus den drei Niederlagen Johnsons indes nicht schließen, dass die Tage des Premierministers bereits gezählt sind. Wenn die Labour-Partei demnächst Neuwahlen – wann auch immer sie stattfinden – doch zustimmt, dürfte der Premierminister ab der ersten Sekunde des Wahlkampfs sein ganzes Arsenal an Verunglimpfungen und Bösartigkeiten gegen den altlinken Labour-Chef ausgießen. Es ist nicht auszuschließen, dass Johnsons Polemik bei den Wählern genauso verfängt wie schon beim Referendum vor über drei Jahren. Und sollte Johnson aus der Entscheidung als Wahlsieger hervorgehen, ginge die Brexit-Hängepartie wieder einmal in die neue Runde.

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