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Bundesfinanzminister Christian Lindner.

© imago images/photothek

Drei Haushalte und ein Sündenfall: Das sind Christian Lindners große Herausforderungen

Gewagte Rücklagen, anspruchsvolle Pläne: Der Bundesfinanzminister und die Ampel-Koalition haben in der Etatpolitik riskante Manöver vor sich. Eine Analyse.

Ein Finanzjongleur zu sein – die Beschreibung dürfte Christian Lindner nicht gefallen. Aber als Etatjongleur darf man den Finanzminister schon bezeichnen. Keiner seiner Vorgänger hatte zu Beginn der Amtszeit zu leisten, was der FDP- Chef derzeit tut: Lindner ist mit drei Bundeshaushalten gleichzeitig beschäftigt.

Da ist zum einen der umstrittene Nachtragsetat für2021, mit dem die Ampel-Koalition neben einer überschaubaren Zahl von neuen Führungsstellen in den Ministerien eine Investitionsrücklage von 60 Milliarden Euro aufbaut, und zwar über ungenutzte Kreditermächtigungen aus dem vorigen Jahr.

Zum zweiten muss Lindner recht zügig den Etat für das laufende Jahr, also 2022, auf den Weg bringen – bisher liegt nur der Regierungsentwurf der großen Koalition aus dem vorigen Sommer auf dem Tisch, in dem noch viel Handschrift der Union steckt. Und parallel muss der Minister die Eckpunkte für den Etat 2023 vorbereiten, die traditionell im März des Vorjahres stehen müssen.

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Der bisherige Zeitplan: Der Nachtragsetat soll am 28. Januar vom Bundestag verabschiedet werden, der Etat 2022 und die Eckwerte für 2023 sollen am 9. März ins Kabinett. Derzeit verhandeln Lindner und die Haushaltscrew um den einflussreichen Staatssekretär Werner Gatzer, der seit 2005 im Amt ist, mit den Ressorts.

Es ist wie immer ein Abwehrkampf. Die Steuereinnahmen dürften dieses Jahr etwas besser ausfallen, als noch vor einem halben Jahr geschätzt wurde. Das weckt Erwartungen für Mehrausgaben – in diesem Jahr wie auch 2023. Und die Ampel möchte viel Geld ausgeben.

Wahrer der Stabilität

Lindner will aber gleichzeitig als Wahrer einer auf Stabilität bedachten Haushaltspolitik punkten. In den Koalitionsverhandlungen hat er sich auf einen Kompromiss eingelassen. Die aus Notkrediten finanzierte Rücklage, die früheren FDP-Positionen widerspricht (ein Sündenfall sozusagen), hat er akzeptiert. Dafür wurde vereinbart, dass ab 2023 wieder die Schuldenbremse gilt.

Für Lindners Jongliernummer bedeutet das: Die Nettokreditaufnahme muss von 240 Milliarden Euro (oder etwas weniger) im Jahr 2021 auf etwa 100 Milliarden Euro im laufenden Jahr (das ist der bisherige Ansatz) auf etwas über Null sinken.

Im Rahmen der Schuldenbremse sind nach den bisherigen Planungsdaten 2023 gut fünf Milliarden an neuen Krediten möglich. Es könnten tatsächlich aber auch noch einige Milliarden mehr sein, je nach Konjunkturlage und den geplanten Änderungen an der Schuldenbremse. Lindner muss aber in jedem Fall ordentlich auf die Bremse treten.

Daher will er im Etat 2022 unbedingt die Marke von 100 Milliarden Euro Neuverschuldung halten. Er will nicht als Minister dastehen, der über die von der Groko schon festgelegten Zahlen hinausgeht. Zu dem Zweck hat er den Kabinettskollegen aufgegeben, eventuelle Mehrausgaben müssten in ihren eigenen Teiletats gegenfinanziert werden. Da sich die Ampel (im Gegensatz zu Schwarz-Rot) im Koalitionsvertrag keine Ausgabenprioritäten vorgenommen hat, fehlt Lindner aber dieses Disziplinierungsmittel.

Ist der Nachtragsetat verfassungskonform?

Zu seinen Aufgaben gehört auch, den Nachtragsetat für 2021 gerichtsfest zu machen. Denn in der Unionsfraktion wird eine Klage in Karlsruhe vorbereitet. CDU und CSU glauben nicht, dass eine Rücklage, die aus Kreditermächtigungen für die Notlagenbekämpfung aufgebaut wird, mit der Schuldenbremse im Grundgesetz vereinbar ist. Die Ampel ist anderer Meinung, doch Lindner hat vorsichtshalber reagiert.

Bisher war die 60-Milliarden-Rücklage, die in Gänze dem schon länger bestehenden Nebenhaushalt des Energie- und Klimafonds (EKF) zufließen soll, sehr allgemein begründet worden.

Im Haushaltsausschuss sind am Mittwoch nun aber zwei Anträge der Koalition beschlossen worden, mit denen die Verwendung der Rücklage verbindlich festgezurrt wird. Damit will Lindner ein Argument entkräften, das in Karlsruhe eine Rolle spielen könnte: Dass die Kreditermächtigungen irgendwann beliebig genutzt werden könnten.

[Lesen Sie dazu bei Tagesspiegel Plus: Die neue Ampel-Finanzpolitik]

Bisher hieß es sehr pauschal, das Geld solle für „zusätzliche Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels und Maßnahmen zur Transformation der deutschen Wirtschaft“ verwendet werden. Jetzt ist zusätzlich definiert, wofür sie genutzt werden sollen. Ausdrücklich wird nun die „Abfederung und Überwindung der durch die Covid-19-Pandemie verursachten Notsituation“ als Zweck angegeben.

Dazu werden nun auch „nachholende Investitionen“ gezählt. Die Ausgabenfelder sind: Energieeffizienz, erneuerbare Energien im Gebäudebereich, CO2-neutrale Mobilität, Förderung des Umbaus in Branchen mit „emissionsintensiven Prozessen“, Ausbau einer CO2-neutralen Energieversorgung, Gegenfinanzierung des Wegfalls der EEG-Umlage.

Mehr als 100 Milliarden im Nebenhaushalt

Mit der bald beschlossenen Geldspritze stehen im EKF demnächst gigantische 103 Milliarden Euro für Investitionen, Förderungen und Subventionen bereit. Denn knapp 43 Milliarden Euro liegen schon in dem Topf. Das ist knapp ein Viertel eines Bundesetats. Lindner hat mit Blick auf das Karlsruhe-Risiko auch verbindlich formuliert, dass die zusätzlichen Mittel im EKF „kurz- und mittelfristig“ zur Finanzierung eingesetzt werden müssen.

Damit setzt sich die Koalition einem immensen Ausgabedruck aus. Denn die unbestimmte Formulierung lässt sich so lesen, dass das Geld möglichst schnell, mindestens aber innerhalb des Zeitraums der mittelfristigen Finanzplanung, also bis spätestens 2025, abgeflossen sein muss.

Damit müssten jedes Jahr mehr als 25 Milliarden Euro aus dem EKF ausgegeben werden. Dieser Nebenhaushalt, der auch bisher schon vor allem den Klimaschutz fördern sollte, hat allerdings seit Jahren ein Problem: Der Mittelabfluss ist nicht so geschwind wie gewünscht. Insbesondere Wirtschaftsminister Robert Habeck ist damit gefordert. Denn es ist vor allem die grüne Koalitionspartnerin, die auf massive Klimainvestitionen drängt. Damit deutet sich ein potenzieller Konfliktherd zwischen dem Vizekanzler und Lindner an. Der Finanzminister hat geliefert. Nun müssen Habeck und die Seinen liefern.

Und noch mehr Geldtöpfe

Noch etwas haben die Ampel-Partnerinnen zu fürchten, wenn ihre Haushaltspolitik Thema in Karlsruhe werden sollte. Der EKF ist nicht der einzige Topf mit großen Geldvorräten. Der Bund hat noch andere Sonderschubladen, die gut gefüllt sind. Da ist vor allem die Rücklage in Höhe von fast 50 Milliarden Euro, die von der Groko in den Überschussjahren seit 2014 aufgehäuft wurde.

Nicht nur der Bundesrechnungshof ist der Ansicht, dass diese Rücklage zuerst aufgelöst werden müsste, bevor man Notlagenkredite in Investitionsrücklagen verwandelt. Auch in Töpfen wie dem Fluthilfefonds, dem Kommunalinvestitionsfonds oder dem Digitalfonds zugunsten der Schulen steckt immer noch sehr viel Geld, das kurzfristig auch anderweitig nutzbar wäre. So hat der Bund mittlerweile einen Geldpuffer gebildet, der als Gesamtheit betrachtet allein schon verfassungsrechtliche Zweifel begründen könnte.

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