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Angela Merkel mit dem russischen Präsidenten Medwedew (li.) und dem britischen Premier David Cameron.

© dpa

Doppelgipfel in Kanada: Unterhaltung der Weltklasse

Das Fernsehen zeigt brennende Autos, die Kanzlerin freut sich über Schuldenbremsen, der britische Premier schwimmt im See. Beim G 8/G 20-Doppelgipfel in Kanada wird eine Zwischenetappe erreicht – aber wo ist eigentlich das Ziel?

Die zweite Halbzeit schauen sich die Kanzlerin und der Premierminister gemeinsam an. In einen Raum neben dem Sitzungssaal haben sich Angela Merkel und David Cameron mit engsten Mitarbeitern zurückgezogen. Ein britischer Fernsehsender überträgt das Spiel und spart nicht mit Lob fürs deutsche Team. Auch die Briten im Saal zeigen sich sportlich fair und gratulieren. „Das war toll“, freut sich Merkel nach Abpfiff und strahlt. „Ein tolles Spiel und ein toller Sieg. Ich bin noch ganz bewegt.“

Für eine kurze Zeit sind globale Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht die Hauptsache, sondern nur das deutsche 4:1 in Bloemfontein. Auf dem G20-Gipfel dagegen haben die Deutschen keinen klaren Sieg heimgeholt. Toronto ist unentschieden ausgegangen.

Die deutsche Seite hatte das Ziel klein gehalten. Finanzmarktsteuer und Bankenabgabe würden nichts werden, das war lange vorher klar. Denn vor allem die Schwellenländer wollen Finanzmärkte nicht zügeln, sondern entwickeln. Es müsse ein Wunder geschehen, damit die anderen Staaten sich der deutschen Forderung nach einer Finanzmarktsteuer anschließen, hatte die Kanzlerin vor dem Abflug nach Kanada gesagt. Klarheit wolle sie, nicht Arbeitsgruppen oder unverbindliche Freundlichkeiten.

Das Wunder blieb aus, Klarheit bekam sie: Die Gegenseite machte ein unhaltbares Tor. Wenn Merkel die Finanzmarktsteuer, die sie selbst noch vor wenigen Monaten kategorisch ablehnte, nun noch durchziehen will, muss sie den europäischen Alleingang organisieren. Doch dass die gesamte Europäische Union mitmacht, ist wegen der Briten mit ihrem Finanzplatz London unwahrscheinlich. So könnte die Steuer nur auf die Eurozone beschränkt werden, und damit muss sie klein bleiben, um nicht Schaden anzurichten. Dass auch Großkonzerne der Realwirtschaft für Transaktionen zahlen müssten, kommt erschwerend hinzu.

In einem riesigen Betonklotz in Torontos Innenstadt, dem Kongresszentrum zu Füßen des 553 Meter hohen CN Tower, des Fernsehturms, tagten bis zum gestrigen Sonntag die Staats- und Regierungschefs, hermetisch abgeriegelt mit einem kilometerlangen Stahlzaun. Überall standen weitere Zäune mit roten Füßen bereit, um jederzeit ganze Straßen absperren zu können. Die Polizisten trugen Schutzwesten, Gasmasken, Helme, Schilde, andere waren auf Mountainbikes in der Menge unterwegs. Hubschrauber kreisten über der Stadt, auch von Dächern und Fenstern beobachteten Einsatzkräfte das Geschehen. Es regnete. Einmal zog ein Mao-Transparent vorbei. Bei Starbucks ging ein Schaufenster zu Bruch.

Im Fernsehen sind immer wieder zwei brennende Polizeiwagen zu sehen, und in stundenlangen Dauerschleifen laufen die Autonomen durch Toronto. Die Bilder sind eine große Rechtfertigung. Wie sonst ließe sich begründen, dass der Doppelgipfel von G8 und G20 in Kanada den Gastgeber knapp eine Milliarde Euro kostet. Ein kanadischer Minister argumentiert hilflos, anders als bei früheren Gipfeln werde jede Überstunde sämtlicher Sicherheitskräfte erfasst. Und man habe sich mit Experten in der ganzen Welt beraten. Und die angereisten Randalierer seien Verbrecher.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ätzt bei einer Pressekonferenz, er werde, wenn er im kommenden Jahr Gastgeber sei, nur ein Zehntel des kanadischen Budgets ausgeben.

Von einer Zwischenetappe ist in Toronto die Rede. Denn die neuen Regeln für die Finanzbranche sollen erst beim nächsten Treffen im November in Seoul beschlossen werden, im Paket – wenn es denn überhaupt klappt, die Gespräche für einen freieren Welthandel laufen schließlich auch schon seit Jahren.

Konkret wird der Doppelgipfel in Kanada eigentlich nur in einem Punkt. Auf Initiative der Gastgeber soll die Kinder- und Müttersterblichkeit in Entwicklungsländern mit mehr Geld bekämpft werden. Wie viel mehr genau, bleibt jedoch ein Geheimnis; so konkret wird man dann auch wieder nicht. Von Deutschland kommen fünf Jahre lang jeweils 80 Millionen Euro, zum Teil aus bestehenden Posten. Es wird also vor allem umgeschichtet. Man will beim UN-Millenniumsgipfel im September in New York gut aussehen.

Aber ein Tor machen die Deutschen dann doch noch. „Wenn es dazu käme, dass man über Defizitabbau spricht, wäre es ein Erfolg“, hatte es vorher in Berlin geheißen. Und es kam dazu. Die Vorlage brachten die kanadischen Gastgeber ein. Es ist nun nur noch von „gegenseitigem Verständnis“ die Rede, an einen Konflikt zwischen Deutschland und den USA will sich niemand erinnern, und im Abschlusskommuniqué steht eine Formulierung zum Defizitabbau, mit der alle leben können. Die Kanzlerin und ihr ebenfalls angereister Finanzminister Wolfgang Schäuble, der schmal in seinem Rollstuhl sitzt, lächeln fein.

Was war darüber zuvor gestritten worden! Ständig stichelte US-Finanzminister Timothy Geithner gegen die Deutschen und ihre Angst vor der Inflation. Vor dem Gipfel ärgerten sich US-Präsident Barack Obama und die Kanzlerin mit offenen Briefen, und eine längere Aussprache am Telefon hatten sie auch. Eigentlich werden solche Konflikte vor Gipfelbeginn geklärt, von den Sherpas, wie die engsten Berater nach den Gepäckträgern am Himalaja heißen. Die deutsche Seite gab sich, als das nicht klappte, zusehends verärgert: Hatten die Amerikaner nicht kapiert, dass die Deutschen mehr als die Hälfte des Haushalts für Sozialleistungen und Renten ausgeben, also für nichts anderes als die Binnennachfrage? Und hatten nicht ursprünglich alle gemeinsam betont, dass es für 2011 in Sachen Staatshilfen eine Exit-Strategie brauche, wie es im Gipfeljargon heißt? Hatte nicht Obama selbst zu Beginn seiner Amtszeit einen rapiden Defizitabbau versprochen?

Das Abschlusspapier zeigt die hohe Kunst des kleinsten gemeinsamen Nenners. „Auf der einen Seite“, heißt es darin, „müssen wir die existierenden Konjunkturpakete umsetzen. Zugleich unterstreichen jüngste Ereignisse die Wichtigkeit nachhaltiger öffentlicher Finanzen.“ In diesem Sowohl-als-auch-Stil geht es weiter bis zu einem Satz, in dem konkrete Zahlen vorkommen: „Angesichts dieser Balance (zwischen Wachstum und Haushaltskonsolidierung) haben sich entwickelte Volkswirtschaften auf Haushaltspläne verständigt, die bis 2013 die Defizite mindestens halbieren und die staatliche Schuldenquote bis 2016 senken oder stabilisieren.“

Die Kanzlerin zeigt sich zufrieden mit der globalen Version ihrer Schuldenbremse. „Das entspricht eigentlich genau unserer Zeitachse“, sagt sie in einem mit grünlilafarbenen Teppichboden ausgelegten Kellerraum des Kongresszentrums in die Mikrofone. Man habe „eine ganz klare Exit-Strategie“ gefunden, das sei mehr, als sie erwartet habe. Doch ist es ein typischer Abschlusskommuniquésatz. Das Datum 2013 lässt genug Raum für das deutsche Sparen, aber auch für ein US-amerikanisches Konjunkturpaket, so es noch bezahlt werden kann.

Dabei lag der Konflikt ja gerade darin, dass die Deutschen im nächsten Jahr lossparen wollen, während die Amerikaner mit einer hohen Arbeitslosigkeit kämpfen und damit noch mitten in der Krise stecken.

Ein schönes Tor ist das Defizitabbau–Tor also nicht. Der weichgespülte Satz im Kommuniqué zeigt, wie gespalten die Welt bleibt. Denn es ist nur von entwickelten Volkswirtschaften die Rede, damit sind die Schwellenländer ausdrücklich nicht dabei. Von einer Weltregierung, wie man sie sich kurz nach der Lehman-Pleite erträumte, sind die G20 bei ihrem vierten Gipfeltreffen weit entfernt. Darum wird es den kleineren Klub, die G8, weiterhin geben. Von einer Wertegemeinschaft, die wisse, was sie aneinander habe, ist die Rede. Irgendwie bleibt alles beim Alten, nur die Gipfel tagen häufiger und werden größer.

Aber immerhin kommen alle zu Wort. Die Staats- und Regierungschefs richten sich nach einer Ampel. Fünf Minuten dürfe jeder reden, hat der kanadische Premier Stephen Harper verfügt. Solange leuchtet ein grünes Licht, dann ein gelbes – und bei Rot ist Schluss.

Angela Merkel liebt auf solchen Treffen den Austausch, das Ringen um Argumente, den Disput. Auf dem Hinflug war sie noch gezeichnet vom Stress zwischen Gurkentruppe und Bundesversammlung. Blass wirkte sie, und wenn sie sprach, strich sie manchmal unwillkürlich auf ihrem rechten Oberschenkel mit der Hand vor und zurück, als ob sie Schmerzen hätte. Doch in Kanada lebt sie auf. Dass nicht alles vorher schon feststeht, macht ihr Freude. Dass man auf sie hört, auch.

Drei Tage hat das Spektakel gedauert. Warum die Staats- und Regierungschefs der G8 sich erst mit Hubschraubern in das schon etwas abgewohnte Deerhurst-Resort nach Huntsville, rund 200 Kilometer nördlich von Toronto, fliegen lassen mussten, weiß niemand genau. Premierminister Harper soll so angeblich einen bestimmten Wahlkreis bedacht haben. Der Haushaltsausschuss wird das versteckte Konjunkturpaket prüfen. Erholsam war es schon. Das kulturelle Abendprogramm war schon um 22 Uhr zu Ende. Der britische Premier, Neuling David Cameron, ging sogar im Peninsula-See schwimmen.

Aber am Sonntag ist Deerhurst fast schon wieder vergessen. Mit etwas Wehmut spricht Merkel über die offeneren, intensiveren Gespräche im kleineren Kreis. Aber G20 sei das Format der Zukunft, sagt sie. Auf dem Gruppenfoto sticht sie mit ihrem bunten Sakko zwischen den grauen Anzügen hervor.

Wenig später werden die Weltenlenker in ihren Limousinen wieder zum Flughafen gefahren, eskortiert von schweren Harleys mit blinkenden roten Lichtern. Ein Flugzeug nach dem anderen hebt ab, die beiden Jumbos aus Japan genauso wie der vergleichsweise ärmliche deutsche Airbus, der 2011 ersetzt werden soll. Eine Zwischenetappe ist erreicht, das ist wahr, aber wo ist eigentlich das Ziel?

Im Fußball ist die Sache einfacher – Merkel will zum Viertelfinale nach Südafrika fliegen.

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