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Wie Sie sehen, sehen Sie nichts mehr. "People's Justice" (2002), das verhüllte Gemälde des indonesischen Kollektivs Taring Padi in Kassel.

© dpa

Documenta 15 in Kassel: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen

Nicht nur die Macher der Kunstschau hätten wissen sollen, was auf sie zukommt. Jetzt ist auch politische Verantwortung gefragt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Ein Jude mit SS-Abzeichen auf der Mütze, die Gleichsetzung der israelischen Armee mit der Nazi-Wehrmacht, ein als Schwein dargestellter Jude – Aufruhr auf der Documenta Fifteen. Wie konnte das passieren? Die Antwort auf die Frage entscheidet über drei Karrieren: die von Geschäftsführerin Sabine Schormann, von Staatsministerin Claudia Roth aus dem Bund und Hessens Kulturministerin Angela Dorn.

Der Versuch, den globalen Süden über ein Kuratorenkollektiv aus dem muslimisch geprägten Indonesien einzubinden, ist von Problemen überschattet. Und das soll in keinem Fall absehbar gewesen sein? Eine Documenta kommt nicht über Nacht zustande, sondern über Jahre. Dass nichts von dem, was dort geschieht, von der Leitung, der Geschäftsführung, begleitet wird, ist unvorstellbar. Denn das kann man nicht laufen lassen; andernfalls ist es keine Liberalität, sondern Naivität.

Die Geschäftsführerin weiß das gewiss. Schormann kennt sich aus, hat für das Goethe-Museum in Frankfurt kuratiert, hatte Anteil an einer großen Kulturveranstaltung bei der Expo 2000. Der Gruppe Ruangrupa die Documenta gleichsam zu überantworten, war ein Fehler, ob gut gemeint oder, schlimmer, absichtsvoll. Dann nämlich, wenn es eine Ahnung gegeben hätte, dass es zur Provokation kommen würde.

Es ist nahe am Skandal, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unter Verweis auf die Kulturfreiheit anlasten zu wollen, dass der ausspricht, was Sache ist: „Verantwortung lässt sich nicht outsourcen.“ Nur sieht es ganz danach aus.

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Bei der Auswahl der Künstler war es offenbar nicht wichtig, ob sie antisemitisch sind. Dabei hätte man um die Vorstellungen wissen können, ja müssen. Das gebietet schon das Interesse an Auftrag und Chance der Documenta: zeitgenössische Kunst zu vermitteln. Da dürfte es keine Überraschung geben. Zumal das Bündnis gegen Antisemitismus in Kassel seit Jahresanfang die Nähe der Documenta zur BDS-Kampagne thematisiert, dafür aber über Monate als rechts und rassistisch kritisiert wurde.

Der Zentralrat der Juden hatte die Garantie, „dass es keinen Antisemitismus in der Ausstellung geben werde“. Weit gefehlt. Solidarität mit den Documenta-Verantwortlichen wird vor dem Hintergrund unmöglich. Und wenn jetzt vor allem Schormann die Schuld tragen soll? Dann bleibt doch: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen – alles das trifft auch auf Roth und Dorn zu. Das hätte ihnen allen nicht passieren dürfen.

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