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Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

© Kai-Uwe Heinrich

DIW-Chef Marcel Fratzscher: "Digitalisierung kostet gut bezahlte Jobs"

DIW-Chef Marcel Fratzscher warnt anlässlich des bevorstehenden "Tag der Arbeit" vor der Digitalisierung - und sieht darin aber vor allem wie auch Kanzlerin Angela Merkel Chancen.

Von Antje Sirleschtov

Zum „Tag der Arbeit“, dem 1.Mai, thematisieren Politiker, Ökonomen und Gewerkschaften in diesem Jahr besonders die bevorstehenden Veränderungen des Arbeitsmarktes durch die Digitalisierung. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, mahnt in einem Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“ mehr Anstrengungen der Bildungspolitik an, um die Folgen der Digitalisierung für den Arbeitsmarkt abzufedern. „Gerade gut bezahlte Industrie- und Bürojobs der Mittelschicht sind gefährdet“, schreibt der Berliner Ökonom.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte in einer Videobotschaft, die Chancen der Digitalisierung würden die Risiken überwiegen. „Es wird ausreichend Arbeit geben“, sagte Merkel, wies zugleich aber darauf hin, dass man mit Weiterbildung, der Neuausrichtung von Berufsbildern und der Anpassung von Studiengängen gegen den Wegfall von Jobs angehen müsse. Merkel bekräftigte das Ziel, bis 2025 Vollbeschäftigung zu erreichen.

Am 1. Mai wollen Hunderttausende Menschen in ganz Deutschland für bessere Arbeitsbedingungen demonstrieren. Die zentrale Veranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) wird in Nürnberg stattfinden. In Berlin lädt der Gewerkschaftsbund für 12Uhr zur Kundgebung auf dem „Platz des 18. März“. Sie steht unter dem Motto „Solidarität, Vielfalt, Gerechtigkeit“. Auch die Gewerkschaften wiesen anlässlich des 1. Mai eindringlich auf die Gefahren der Digitalisierung der Arbeitswelt hin. DGB-Chef Reiner Hoffmann warnte am Wochenende vor „moderner Sklaverei“ und einem „digitalen Proletariat“. Er forderte von der Politik, insbesondere auf arbeitsrechtliche Regelungen für Hunderttausende Menschen hinzuarbeiten, die für Internetplattformen arbeiten und keine geregelten Arbeitszeiten oder Tariflöhne hätten.

Studien zeigen, dass an anderer Stelle Jobs entstehen

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) mahnte, Politik und Tarifpartner müssten sich intensiver mit den Folgen der Digitalisierung beschäftigen. „Dafür brauchen wir auch neue arbeitsmarktpolitische Instrumente, um die Modernisierungsprozesse der vierten industriellen Revolution zu bewältigen.“ Das von ihm ins Gespräch gebrachte solidarische Grundeinkommen sei „ein Weg, arbeitsuchenden Menschen schnell wieder ordentliche und sozial sinnvolle Arbeit zu geben, anstatt Langzeitarbeitslosigkeit im alten System zu verwalten“.

Mehrere Studien hatten in jüngster Zeit zwar auf den Wegfall von Arbeitsplätzen in Deutschland durch die Digitalisierung hingewiesen, zugleich jedoch gezeigt, dass an anderer Stelle Jobs entstehen.

Der Berliner Ökonom Fratzscher betont in seinem Tagesspiegel-Beitrag, nur mit mehr Flexibilität und lebenslanger Weiterbildung könnten die Betroffenen dem Verlust ihrer Jobs begegnen. Die Politik müsse „schon jetzt“ geeignete Instrumente finden, die den Betroffenen helfen. Dazu gehörten größere Offenheit des dualen Ausbildungssystems, aber auch die finanzielle Unterstützung der Menschen. „Es muss mehr Geld in die Weiterbildung fließen“, fordert Fratzscher. Konkret greift er einen Vorschlag der heutigen SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles von vor einem Jahr auf und schlägt ein sogenanntes „Lebenschancenerbe“ von 20000 Euro vor, das jeder 18-Jährige erhalten soll, um im Laufe seines Berufslebens Weiterbildung, Umschulung, aber auch familiäre Pflegezeiten bezahlen zu können. Ausdrücklich warnt der DIW-Präsident davor, allein die Gefahren der Digitalisierung für den Arbeitsmarkt zu sehen. „Keine noch so modernen Geräte werden die persönliche Ansprache und die menschliche Wärme einer Altenpflegerin ersetzen“, schreibt Fratzscher. Deshalb werde „der Wert der Arbeit in diesen Bereichen steigen“ und es Dienstleistern im Sozialbereich, die heute noch von kleinen Löhnen leben müssen, in Zukunft mehr gelingen, in die Mittelschicht der Gesellschaft aufzusteigen.

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