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Erklärungsbedarf. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU), hier im Bundesrat, steht in der Flüchtlingskrise wieder einmal im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit.

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Update

Diskussion um Thomas de Maizière: Offene Zweifel an Amtsführung des Innenministers

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) scheitert mit seinem Vorstoß zum Familiennachzug von Flüchtlingen aus Syrien. Koalitionspartner SPD und Opposition üben Widerspruch.

Der Bundesinnenminister gibt Rätsel auf. Wieder einmal. Und wieder einmal stellt sich die Frage, ob Thomas de Maizière (CDU) als Manager der Flüchtlingskrise geeignet ist. Diesmal, weil er quasi im Alleingang den Familiennachzug von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen erschweren wollte – und damit scheiterte. Der Koalitionspartner fühlte sich überrumpelt, das Kanzleramt sah sich zu einer Klarstellung genötigt. „Es bleibt bei der bisherigen Praxis beim Schutz der syrischen Flüchtlinge“, schrieb Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitagabend auf Twitter unter Verweis auf eine Mitteilung des Innenministeriums (BMI).

Vor einem Monat ernannte Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits ihren Kanzleramtschef Peter Altmaier (beide CDU) zum Chefkoordinator beim Thema Flüchtlinge, was allgemein als Misstrauensvotum gegen den zuständigen Minister gewertet wurde. Thomas de Maizière hatte da schon mehrfach für Irritationen gesorgt. Etwa mit seiner Forderung nach EU-Kontingenten für Flüchtlinge mit festen Obergrenzen. Dass dies im klaren Widerspruch zum geltenden deutschen Asylrecht steht, das keine Obergrenzen vorsieht, brachte ihn in Erklärungsnot. Am Ende blieb der Eindruck, der Minister habe einen unüberlegten und unabgestimmten Vorstoß unternommen – ähnlich wie jetzt bei der Frage des sogenannten subsidiären Schutzes für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien.

Die Prüfung der einzelnen Fälle wäre erheblich aufwendiger geworden

Anfang der Woche hatte de Maizières Ministerium das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) „gebeten“, wie es in der von Kanzleramtssprecher Seibert veröffentlichten Mitteilung heißt, seine „Entscheidungspraxis betreffend syrische Staatsangehörige dahingehend umzustellen, dass diese subsidiären Schutz erhalten, soweit kein individuelles Verfolgungsschicksal vorliegt“. Damit hätten Syrer zunächst nur für ein Jahr in Deutschland bleiben dürfen, dabei haben sie bisher ein dreijähriges Aufenthaltsrecht. Die Prüfung der einzelnen Fälle wäre allerdings erheblich aufwendiger geworden, was angesichts des Antragsstaus beim Bamf die Frage aufwirft, welchen Vorteil das neue Verfahren bietet – zumal der Schutz für Syrienflüchtlinge mit großer Wahrscheinlichkeit nach einem Jahr verlängert werden müsste.

Das Ministerium äußert sich dazu offiziell nicht. Doch mit dem Beschluss der Koalition vom Donnerstag, wonach der Familiennachzug für Flüchtlinge, die nur subsidiären Schutz genießen, für zwei Jahre ausgesetzt werden soll, ergibt die Sache durchaus einen Sinn. Nur, dass den Koalitionären offenbar gar nicht bewusst war, welche Tragweite ihre Entscheidung zum Familiennachzug haben würde. Denn von der neuen Entscheidungspraxis wussten sie wohl nichts. Der Innenminister war bei dem Treffen nicht dabei, wohl aber beim anschließenden Gespräch der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten. Und dort soll er über die Veränderungen für syrische Flüchtlinge informiert haben.

Dass de Maizière am folgenden Tag nach Albanien flog, um sich ein Bild von der Rückführung albanischer Flüchtlinge zu machen, machte die Aufklärung der entstandenen Irritationen nicht eben leichter. Am Abend war dann von neuem „Gesprächsbedarf“ in der Koalition zum Asylverfahren die Rede – und die neue Verfahrenspraxis für Syrienflüchtlinge vom Tisch.

Die Gemüter beim Koalitionspartner hatten sich aber auch am Samstag noch nicht beruhigt. Juso-Chefin Johanna Uekermann forderte gar den Rücktritt des Ministers. „Wer Frauen und Kinder aus Kriegsgebieten derart im Stich lassen will, handelt unmenschlich“, sagte Uekermann dem Tagesspiegel am Sonntag. „Innenminister Thomas de Maizière ist sich der großen Verantwortung seines Amtes offensichtlich nicht bewusst. Er ist nicht länger tragbar.“

SPD-Vize Ralf Stegner ging nicht ganz so weit. Er warf de Maizière im WDR aber vor, mit dem Verbreiten „unausgegorener Ideen“ Stimmungsmache zu betreiben. „Davon profitieren nur die Rechtsextremen, die sich schon die Hände reiben.“ Der Minister solle endlich bei der vereinbarten Verfahrensbeschleunigung und besseren Registrierung von Flüchtlingen „seine Arbeit tun“, forderte der SPD-Politiker am Samstag. Damit spielte er auf die hohe Zahl der unbearbeiteten Asylanträge an. Deren Zahl gibt das Bamf, das dem BMI unterstellt ist, inzwischen mit mehr als 328.000 an. Trotz aller Ankündigungen, die Verfahren zu beschleunigen, müssen viele Flüchtlinge oft mehrere Monate warten, ehe sie überhaupt einen Antrag stellen können. Das Bamf kommt auch unter seinem Chef, Frank-Jürgen Weise, nicht einmal mit der Besetzung neuer Stellen voran.

Der Minister findet noch Zeit für einen Streit über Entwicklungshilfe in Afrika

Der Minister findet bei alldem aber noch Zeit, sich vor dem EU-Afrika-Gipfel (siehe Kasten) mit seinem Kabinettskollegen Gerd Müller (CSU), über Entwicklungshilfe zu streiten. Nach einem Bericht des „Spiegel“ will de Maizière Ländern in Afrika oder Asien nur dann Entwicklungshilfe gewähren, wenn sie sich zur Rücknahme von Flüchtlingen verpflichten. Entwicklungsminister Müller soll entgegnet haben: „Was soll es bringen, die Mittel etwa für eine Mädchenschule in Nigeria oder ein Ausbildungszentrum in Äthiopien zu kürzen?“ Das Ergebnis würden nur „noch mehr Flüchtlinge sein“.

Den Innenminister beschäftigt auch die Einrichtung von Anlaufstellen für Flüchtlinge in Afrika. Flüchtlinge sollen dort über Asylverfahren und legale Zuwanderungsmöglichkeiten nach Europa informiert und bestenfalls direkt in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden. Die Eröffnung eines solchen Zentrums lässt aber auf sich warten. Experten der Vereinten Nationen und der Internationalen Migrationsorganisation (IOM), die eigene Beratungsstellen in Afrika betreiben, halten das Vorhaben ohnehin für naiv. Nichts werde Flüchtlinge davon abbringen, ihren Weg notfalls illegal fortzusetzen, sagen sie. Die Kritik aus der Opposition am Minister ist harsch. Die Grünen-Politikerin Renate Künast warf de Maizière im Tagesspiegel am Sonntag vor, in der Flüchtlingsfrage unberechenbar zu handeln: „Seit Monaten verstärkt sich der Eindruck, dass er keine Hilfe ist, sondern eine Art ,lose Kanone’, deren desaströse Wirkung wir langsam fürchten.“

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