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Alarmiert. Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz

© dpa/Kay Nietfeld

Diskussion über große Koalition: Wie die SPD aus der Defensive kommen will

Die SPD-Führung macht den Weg frei für Gespräche mit der Union. Aber sie müssen „ergebnisoffen“ sein. Eine Festlegung hätte einen Aufstand der Basis zur Folge.

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Das hat Martin Schulz gerade noch gefehlt. Im Willy-Brandt-Haus sitzt gerade die engere SPD-Führung zusammen, um das Gespräch ihres Vorsitzenden am Abend zuvor mit dem Bundespräsidenten und den Parteichefs von CDU und CSU auszuwerten, da macht im politischen Berlin ein „Bild“-Bericht die Runde. SPD und Union hätten sich im Schloss Bellevue darauf verständigt, in Gespräche über eine große Koalition einzutreten, meldet das Blatt.

Schulz ist alarmiert. Denn wenn sich diese Lesart durchsetzt, kann der angeschlagene Parteichef einpacken. Ohnehin wird vielen Sozialdemokraten beim Gedanken an eine Neuauflage der großen Koalition Angst und Bange. Selbst in der engeren Parteiführung überwiegt bislang die Skepsis. Sollte nun der Eindruck entstehen, das Bündnis mit der Union sei für Schulz schon ausgemachte Sache, dann droht auf dem Parteitag Mitte kommender Woche ein kaum mehr beherrschbarer Aufstand.

Deshalb hat Schulz eine klare Botschaft vorbereitet, als er am Mittag in der Parteizentrale vor die Presse tritt: Die Meldung über die Einigung mit der Union auf Gespräche nur über eine große Koalition sei „schlicht und ergreifend falsch“, sagt er mit ernster Miene in die Kameras. Im SPD-Präsidium habe es breite Unterstützung dafür gegeben, „in Bezug auf eine Regierungsbildung keine Option auszuschließen“.

Das heißt: Über alle möglichen Modelle der Zusammenarbeit soll nun mit der Union geredet werden, etwa auch über die Tolerierung einer Minderheitsregierung. Die SPD-Führung weiß: Nur wenn sie jetzt alles offenhält, kann sie auf dem Parteitag ein Mandat für eine Fortsetzung der Gespräche mit CDU und CSU bekommen. Sie weiß auch: Manche an der Basis haben den Verdacht, die Spitze zeige sich nur nach außen für mehrere Modelle offen, steuere aber insgeheim schon eine weitere Juniorpartnerschaft mit Angela Merkel an.

Auch deshalb geht Schulz bei seinem Kurzauftritt im Willy-Brandt-Haus die CDU-Chefin direkt an. Die Meldung über die vermeintliche Festlegung der SPD scheine aus Unionskreisen zu stammen, sagt er. Er habe deshalb gerade mit Angela Merkel telefoniert und ihr gesagt, „dass das inakzeptabel ist“. Das soll nicht nur belegen, dass der SPD-Chef beim Bundespräsidenten-Treffen am Donnerstagabend tatsächlich nicht mehr als ergebnisoffene Gespräche versprochen hat. Die Bemerkung ist auch eine Spitze gegen Merkel. Sie lenkt den Blick darauf, dass die CDU-Chefin die eigenen Leute womöglich nicht mehr im Griff hat, also an Autorität verliert.

Olaf Scholz wirft Angela Merkel Führungsversagen vor

Überhaupt versucht die SPD in diesen Tagen, mit Angriffen auf Merkel aus der Defensive zu kommen. Parteivize Olaf Scholz wirft ihr ein ums andere Mal Führungsversagen vor, weil sie die wochenlangen Jamaika-Sondierungen nicht zum Erfolg führen konnte. Sollte es zu Neuwahlen kommen, würde Scholz mit großer Wahrscheinlichkeit der nächste Kanzlerkandidat der SPD. Dass Martin Schulz noch einmal antreten könnte, gilt in der Parteiführung als ausgeschlossen.

Tatsächlich werden in der CDU die Fliehkräfte größer, je mehr SPD-Forderungen an eine Regierungszusammenarbeit auf den Tisch gepackt werden. Darunter sind sozialdemokratische Herzensangelegenheiten wie die Bürgerversicherung, die Festschreibung des Rentenniveaus bei mindestens 48 Prozent, das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit. Dazu kommt vom linken SPD-Flügel die harte Ansage, eine weitere Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus auf keinen Fall mitzutragen.

Für die Wirtschaftsliberalen und Konservativen in der CDU, für Jens Spahn zum Beispiel oder den Mittelstandsbeauftragten Carsten Linnenmann, kommen solche Forderungen gerade recht, um die Skepsis in der Partei gegenüber einer neuerlichen Verbindung mit der SPD zu befeuern. Spahn und Co. leiden noch heute an den Zugeständnissen, die die Kanzlerin der SPD 2013 machen musste, etwa der Rente mit 63 und dem Mindestlohn. Und sie fürchten bei einer Neuauflage der großen Koalition, das marktwirtschaftliche Profil der Union könnte weiteren Schaden nehmen.

Ihr Ausweg: Minderheitsregierung oder Neuwahlen. Auch in der Telefonkonferenz des CDU-Vorstands am Freitag warnten die Gegner der großen Koalition vor einer Neuauflage „um jeden Preis“. Deshalb wird der Absender der für SPD-Chef Schulz so unangenehmen „Bild“-Meldung auch in ihrem Kreis vermutet.

Schulz selbst machte am Freitag ein Thema stark, bei dem er über die eigenen Reihen hinaus hohe Glaubwürdigkeit genießt: Europa. Der Ex-Chef des EU-Parlaments forderte, Deutschland müsse bei der Erneuerung Europas eine führende Rolle übernehmen und dürfe die Reformvorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nicht länger „mit Nein oder mit Nichts-Sagen“ beantworten. Wer wollte, konnte das auch als Plädoyer verstehen, auf eine Regierung zumindest Einfluss zu nehmen. Denn aus der Opposition wird die SPD Europa kaum erneuern können.

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