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Gegen Lebensmittelverschwendung. Klimaaktivisten der Gruppe "Aufstand der letzten Generation" auf der Fahrbahn der Autobahn A100 vor der Ausfahrt Beusselstraße.

© dpa

Diskurs über zivilen Ungehorsam: Unser Zorn ist euer Ärger

Wer spontan den öffentlichen Raum besetzt, sollte Zweck und Mittel bedenken. Das gilt gerade für die Autobahn-Blockierer. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Auf die Straße gehen! Das steht für Appell und Parole, für Plan und Tun. Auf die Straße gehen, in Massen den öffentlichen Raum zu beanspruchen, gehört zu den ältesten Methoden des Protests. Arbeiter sind für mehr Lohn marschiert, Suffragetten für das Frauenwahlrecht, Pazifisten gegen Rüstungsproduktion. Daher wird „die Straße“ auch als Synonym für Aufstand und Widerstand gebraucht.

Derzeit ist allerhand los auf der Straße. Symptome des Zeitalters pausenloser Partizipation vieler an vielem lassen sich nicht auf das Internet beschränken. Wutbürger, die Regeln zum Schutz vor Corona ächten, organisieren „Spaziergänge“ und Autokonvois: Auf der Straße hupen! Im kanadischen Ottawa sorgen „Freedom Convoys“ erzürnter Impfgegner für logistischen Notstand.

Auf der Straße hocken! So sieht das Mittel der Aktivisten einer kleinen Gruppe aus, die sich mit apokalyptischem Aplomb „Aufstand der letzten Generation“ nennt. Seit rund zwei Wochen blockieren die jungen Leute im Schneidersitz Straßen und Autobahnen, vor allem in Berlin.

Einsatz gegen künftige Katastrophen

Sie wollen das Klima retten durch ein Gesetz zum „Essen retten“, fordern das Ende der Vergeudung von Lebensmitteln und eine ökologische Agrarwende, im Grunde also all das, woran der grüne Landwirtschaftsminister arbeitet, Aber unverzüglich, jetzt, sofort. Ihr Einsatz gegen künftige Katastrophen rechtfertigt es in ihren Augen, den dumpf dahinfließenden Verkehr des Alltags aufzuhalten.

Die Umweltministerin zeigt „Verständnis“, der Justizminister nicht. Ziviler Ungehorsam, klärte er auf, sei kein Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund. Unangemeldete Demonstrationen auf Autobahnen sind schlicht rechtswidrig. Ab und an haben entnervte Autofahrer nun schon mal Sitzblockierer vom Asphalt geschoben. Auch dafür gibt es Verständnis.

Ziviler Ungehorsam, den unter anderem die Grünen hier begrüßen, beruft sich auf Prinzipien wie jenes berühmte „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“, das auf Papst Leo XIII im Jahr 1890 zurückgeht, freilich bezogen auf den Widerstand gegen unchristliches Handeln.

Widerstand als Pflicht

Die Sentenz begleitete die Atomkraft-Proteste Mitte der 1970er Jahre, ihre innere Logik ist einleuchtend. Wer in dem Sinn Widerstand als Pflicht auffasst, was kümmert den die Ordnungswidrigkeit, der Regelverstoß, der Rechtsbruch?

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Wer spontan den öffentlichen Raum besetzt, sollte allerdings Ziel, Zweck und Mittel im Verhältnis zueinander reflektieren. Rapide können Wohlwollen oder Toleranz für die Motive Protestierender verspielt sein und ins Gegenteil umschlagen. Etwa wenn die Botschaft gigantomanisch oder verstiegen ist, nicht realutopisch, sondern unverständlich, oder wenn das Ärgernis, das eine Aktion auslöst, deren Botschaft kassiert.

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Stecken Rettungswagen wegen Protest-Blockaden oder Protest-Konvois im Stau, kann das für den transportierten Patienten oder die Patientin lebensgefährlich werden. Auch die Zornigsten der Zornigen hätten und fänden für solche „Kollateralschäden“ keinen Funken Legitimation.

Verspielte Sympathien

Greenpeace bedauerte im Nachhinein die Aktion eines Klimaaktivisten, der bei der Fußball-Europameisterschaft im Sommer 2021 mit einem Gleitschirm in die Münchner Arena geschwebt war, beinahe abstürzte und dabei zwei Menschen verletzte.

Sympathien hatte es gekostet, und war gerade eben nochmal gut gegangen. Angesichts möglicher Strafverfahren und Bußgelder beharren die jungen Autobahnblockierer nun: „Wer auf den Boten schießt, kann die Botschaft nicht zerstören“.

Vielleicht werden ja Köpfe der Gruppe nicht nur zur Rechenschaft gezogen, sondern auch von Verantwortlichen der neuen Regierung zum Dialog geladen. Das könnte den Realitätssinn der jungen Leute stärken, und davon werden sie noch viel brauchen. Zurzeit schießen sie als Boten selber auf ihre Botschaft.

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