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Angehörige von Minderheit fühlen sich häufig von der Polizei diskriminiert.

© Silas Stein/dpa

Update

Diskriminierung durch die deutsche Polizei: Nicht-Weiße werden doppelt so häufig kontrolliert wie Weiße

Eine Studie der Bochumer Ruhr-Universität zeigt: Etwa die Hälfte aller People of Color in Deutschland erlebt Misstrauen durch die Polizei.

Menschen, die sichtbaren Minderheiten angehören, so genannte PoC (People of Color) werden in Deutschland doppelt so oft von der Polizei kontrolliert wie Angehörige der Mehrheitsbevölkerung. Wenn es bei Polizeikontakten zu Gewalt kam, fühlten sich 62 Prozent dabei diskriminiert, Gleiches gilt für immer noch 42 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund.

Dies ist das Ergebnis einer Sonderauswertung der Daten einer Studie der Ruhr-Universität Bochum unter dem Titel “Körperverletzung im Amt durch Polizist*innen”, an der ein Team um den Kriminologen Tobias Singelnstein arbeitet.

Die gesamte Studie läuft bis 2021, die endgültigen Ergebnisse sollen ebenfalls nächstes Jahr  präsentiert werden. Die jetzige Expertise (Titel: Rassismus und Diskriminierungserfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltausübung) mit dem Blick auf Rassismus erstellte das Bochumer Team für den Mediendienst Integration. Befragt wurden 3.373 Personen, hinzu kamen 17 qualitative Interviews. 

Demnach gaben 48 Prozent der befragten PoC an, dass aus ihrer Sicht ihre ethnische oder kulturelle Herkunft den Umgang der Polizistinnen und Polizisten mit ihnen beeinflusst habe – von den Befragten ohne diesen Hintergrund waren dies nur drei Prozent.  

Mehr als ein Viertel erlebte Gewalt durch die Polizei

Etwa 80 Prozent von ihnen und der befragten Menschen mit Einwanderungsgeschichte gaben an, dass sie bereits mehr als einmal von der Polizei diskriminierend behandelt worden seien. Während Mehrheitsdeutsche angaben, ihre Kontakte mit der Polizei hätten konkrete Anlässe gehabt – Kontrollen auf Großveranstaltungen wie Fußballspielen, Verwicklung in eine Schlägerei oder wegen Ruhestörung – traf es PoC viel häufiger ohne erkennbaren Anlass.

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Mehr als ein Viertel von ihnen (28 Prozent) gab an, während einer Personenkontrolle Gewalt durch die Polizei erlebt zu haben. Von den Menschen mit Migrationshintergrund sagten dies 22 Prozent, von den übrigen nur 14 Prozent.

Singelnstein und sein Team befragten zu solchen Einsätzen auch Polizeibeamtinnen und -beamte. Die Interviewten schrieben dabei „das erhöhte Konfliktpotenzial und die daraus resultierende Gewaltanwendung gegenüber nicht-weißen Personen vorrangig deren Verhalten und vermeintlichen Einstellungen gegenüber der Polizei zu“.

Die Studie ist allerdings nicht repräsentativ. Singelnstein selbst sagte, als er sie am Mittwoch in Berlin vorstellte, sie bilde im Wesentlichen die Perspektive der Betroffenen ab". Genau das aber sei das Ziel gewesen; bisher sei deren Blickwinkel in der Forschung kaum wahrgenommen worden. "Die Selbstaufkunft der Betroffenen ist aber sehr belastbar"; sie hätten tägliche Erfahrung mit Rassismus.

Mehrheit der Beamten nimmt Einsätze nicht als rassistisch wahr

In den Interviews der Bochumer Gruppe mit der anderen Seite, der Polizei, zeigte sich zudem, dass sie auch an so genannte soziale Brennpunkte anders herangeht als bei Einsätzen anderswo. Das Forschungsteam warnt: „Auf diese Weise kann eine Polizeipraxis, die sich an (Sozial-)Räumen orientiert, zu einer Diskriminierung bestimmter Personengruppen führen“, schreiben die Autorinnen, neben Singlnstein die Forscherinnen Laila Abdul-Rahman, Hannah Espín Grau und Luise Klaus.

Dies werde nicht nur „von PoC und Personen mit Migrationshintergrund (…) als Einschränkung des alltäglichen Lebens wahrgenommen“; es könne auch erst dazu führen, dass „Polizei-Bürger*innen-Interaktionen“ eskalieren. Die qualitativen Interviews mit Frauen und Männern aus der Polizei zeigten allerdings „in Einklang mit dem Forschungsstand, dass die Beamt*innen ihr Handeln häufig nicht als rassistisch verstehen“, heißt es in der Expertise.

Die Befragung erbrachte auch eine erhöhte psychische Belastung von PoC, wenn sie am eigenen Leib Polizeieinsätze erlebten, die sie als diskriminierend erlebten und bei der es zu – aus ihrer Sicht – ungerechtfertigter Gewalt kommt.

[Mehr zum Thema: Wutbrief eines Ex-Polizisten - „Es gibt keinen strukturellen Rassismus bei der Berliner Polizei“]

Bei Vorstellung des Berichts am Mittwoch sagte Singelnstein, die "Wahrnehmungsdiskrepanz" zwischen den Beamten, die ihre eigenes Handeln für nicht rassistisch hielten, und den betroffenen PoC, die für Rassismus aufgrund täglicher Erfahrung eigene Antennen hätten, mache "Verständigung natürlich schwierig".

Singelnstein und die ebenfalls anwesende Soziologin Polizeiforscherin Astrid Jacobsen empfahlen auch deswegen mehr Forschung. Jenseits von einzelnen Studien "haben wir wenig anzubieten", sagte Jacobsen, die Professorin an der Polizeiakademie Niedersachsen ist und auch in der Ausbildung angehender Polizistinnen und Polizisten tätig. Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Blaise Francis El Mourabit, der ehrenamtlich PoC vertritt, die Hilfe wegen polizeilicher Übergriffe suchen, ergänzte: Viele Betroffene fühlten sich in dieser Sache "ein Stück weit von der Politik im Stich gelassen".

Vermutlich dürfe die Zivilgesellschaft einfach nicht warten, sondern müsse Forschung selbst anstoßen. Alle drei erwähnten den langen Widerstand von Bundesinnenminister Horst Seehofer gegen eine entsprechende Studie. Sie kommt jetzt, soll aber nach dem Willen des Ministers die ganze Gesellschaft in den Blick nehmen und umgekehrt Hass und Gewalt gegen Polizei thematisieren.

"Es braucht andere Gesetze"

El Mourabit, der hauptberuflich für einen internationalen Konzern arbeitet, schilderte eigene Erlebnisse: Wenn er am Düsseldorfer Hauptbahnhof mal keinen Businessanzug trage, sondern Joggingkluft, weil er vom Sport komme, werde er "sehr regelmäßig" angehalten.

Er werde mit seinen 36 Jahren sofort geduzt, einmal habe ihn eine Streife aufgefordert, er solle "die Drogen doch direkt rausrücken". Seine Mandantinnen und Mandaten machten nicht selten die Erfahrung, dass es bei Respektlosigkeiten und Unterstellungen nicht bleibe, sondern Gewalt folge. Als eine Mandantin einen Kontrolle filmte, um Beweismaterial zu haben, habe ein Beamter sie so brutal zu Boden gedrückt, dass sie das Bewusstsein verlor.

Der Mangel an Beweisbarkeit sei aber exakt ein Kernproblem solcher Situationen, mein der Anwalt, und plädiert für andere Gesetze: Die Polizei müsse Bodycams bei Einsätzen tragen, die Eingriffe in Grundrechte mit sich bringen könnten, außerdem brauche es bundesweit eine Kennzeichnungspflicht, bei der Beamtinnen und Beamte eine Identifikationsnummer sichtbar an der Uniform tragen.

Auch das Beamtenrecht kann aus Sicht des Juristen nicht bleiben, wie es ist: Komme wirklich einmal ein Übergriff während einer Personenkontrolle vor Gericht, "wird gerichtlich festgestellt, dass das rechtswidrig war. Und das war's", so El Mourabit. Es brauche stattdessen "klare Sanktionen. Eine mündliche oder schriftliche Ermahnung ist nicht ausreichend."

Welche Rolle spielt die AfD?

Polizeiforscherin Jacobsen plädierte auch dafür, diejenigen in der Polizei zu stärken, die sensibel für übergriffiges Verhalten und Rassismus seien, auch für "negativen Korpsgeist". Schon jetzt gebe es positive Ansätze in der Ausbildung, die Polizei sei zudem "keine homogene" Gruppe", die Polizistinnen und Polizisten seien sehr unterschiedlich, der Bildungsstand des Nachwuchses neuerdings höher und ihre Vertrautheit mit Rassismus stärker. Singelnstein sprach von einem "zarten Pflänzchen" der Veränderung.

Andererseits habe sich die AfD etabliert, was "nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in der Polizei" Folgen habe. So sei etwa die Grenze zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus aufweicht; es sei "noch nicht zu sagen", welche Folgen das für die Polizei habe, die tendenziell "konservativ strukturiert" sei.

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