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Bahnhöfe, Flughäfen: Hier häufen sich die Kontrollen, nicht selten solche, bei denen gezielt People of Color in den Fokus geraten.

© Sebastian Gabsch/PNN

Update

Diskriminierende Kontrollen: Politik geht kaum gegen Racial Profiling vor

Rassistische Polizeiarbeit? Gibt's nicht. So sieht es das Innenministerium. Maßnahmen gegen Racial Profiling kommen bisher nur schleppend voran.

Das Vorgehen gegen Racial Profiling, also gezielte Kontrollen von People of Color und vermuteter oder tatsächlicher Angehöriger von Minderheiten, kommt trotz seiner Rechtswidrigkeit nur schleppend voran. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt. Zwar heißt es darin, Menschenrechte und die Verhütung von rassistischer Diskriminierung seien "wesentlicher Bestandteil der Aus- und Fortbildung in der Bundespolizei." Auf die Frage nach konkreten Programmen und Teilnahmezahlen verweist das Bundesinnenministerium jedoch lediglich ein Schulungsprojekt namens "Radikalisierung und Extremismus für Führungskräfte".

Es sollte auch für Lehrkräfte der Bundespolizei gelten, sei jedoch wegen der "pandemiebedingten Einschränkungen in der Fortbildung" im letzten Jahr nicht umgesetzt worden. Jetzt solle online der "Abschluss des Programmes innerhalb des Jahres 2021 erfolgen". Wer alles an Antirassismus-Schulungen teilgenommen habe, wisse man nicht, "eine abschließende Statistik" liege nicht vor.

Rassismus durch die deutsche Polizei kritisieren EU und UN

Nach Angaben des Ministeriums findet zum Thema Antirassismus "ein reger Austausch mit externen Institutionen" statt. Nachfragen des Tagesspiegels dort - genannt werden die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, das Deutsche Institut für Menschenrechte, der Zentralrat der Sinti und Roma und eine antirassistische NGO, das Diaspora Policy Institute - ergaben jedoch, dass es sich dabei nicht um Schulungen handelt, sondern um allgemeinen Austausch über das Problem.

"Auf Arbeitsebene haben wir in der Tat gelegentlich Kontakt zur Bundespolizei", sagt etwa Sebastian Bickerich, der Sprecher der Antidiskriminierungsstelle. "Allerdings wurde die Antidiskriminierungsstelle nicht bei der nun vom BMI konzipierten Polizeistudie konsultiert, die sich dem Vernehmen nach leider nicht mit der verbotenen Praxis des "Racial Profiling" beschäftigen soll."

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Genau dies hatte die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarats (ECRI) im März 2020 als eine von zwei besonders vordringlichen Maßnahmen von Deutschland gefordert. Im März nächsten Jahres will ECRI prüfen, wie weit das gediehen ist. Gegen die Polizeistudie hatte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer lange hartnäckig gesträubt.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte hatte im vergangenen Sommer erneut gemahnt, dass selbstkritische Auseinandersetzung mit Polizeipraktiken im Rechtsstaat selbstverständlich sein sollte: "Denn die Polizei ist die wichtigste Institution für das - menschenrechtlich gebotene - Gewaltmonopol des Staates", schrieb dessen Fachmann Hendrik Cremer in seiner Stellungnahme. Dieses Gewaltmonopol sei aber "nur wegen der Bindung an Grund- und Menschenrechte legitim".

Nach Ansicht von Ministerium und Bundespolizei praktiziert man Racial Profiling aber auch gar nicht. Auch in der Antwort auf die Linken-Fragen ist wieder davon die Rede, beim Fahnden nach unerlaubten Grenzübertritten schauten die Beamtinnen und Beamten nach "Lageerkenntnis und grenzpolizeilicher Erfahrung" zum Beispiel auf deren Alter, "auffällige Verhaltensweisen", Kleidung oder Gepäck und "weitere Erscheinungsmerkmale", die eine Rolle spielen könnten. Dass es vor allem darum ginge, passt allerdings nicht zu etlichen Klagen gegen solche Kontrollen,. Dabei konnten Betroffene, zum Beispiel Schwarze Deutsche, den Beweis führen, dass sie ihrer Hautfarbe wegen in Zügen gezielt kontrolliert wurden.

Die Praxis des Racial Profiling ist seit Jahren Gegenstand von Mahnungen nicht nur der EU, sondern auch der Vereinten Nationen an die Adresse Deutschlands. Fachjuristinnen und Kritiker halten sie nicht nur für einen schweren Verstoß gegen die Menschenrechte der Betroffenen, die so an öffentlichen Plätzen vor aller Augen als potenziell straffällig markiert werden. Sie weisen auch darauf hin, dass diese Stigmatisierung Gesellschaften spaltet. In immer diverseren Gesellschaften werde das Sortieren nach Merkmalen wie Haut- und Haarfarbe außerdem immer unsinniger auch für die Polizeiarbeit.

Zahl der heiklen Kontrollen ging 2020 zurück

Dennoch liegt die Zahl der "verdachtsunabhängigen" oder "anlasslosen" Kontrollen - das Ministerium spricht lieber von "lageabhängigen" - auf einem hohen Niveau: Nach der Rekordzahl von fast drei Millionen im Jahr 2019 ging sie 2020 nach Auskunft des BMI allerdings auf etwa 2,5 Millionen zurück. Ebenfalls 2020 gingen 55 Beschwerden wegen diskriminierender Kontrollen ein. Acht seien noch in Bearbeitung, 45 galten der Bundespolizei als "unbegründet" - das sei regelmäßig der Fall, "wenn das Verhalten der Beamtinnen und Beamten rechtlich nicht zu beanstanden war".

Den Verweis der Linken-Fraktion auf den Forschungsstand übergeht die Antwort des BMI mit Schweigen. In der Rassismusforschung ist es inzwischen Konsens, dass Rassismus nicht nur in bewusstem Verhalten Einzelner steckt, sondern auch strukturell ist, das heißt, in Arbeitsabläufen von Behörden und in Gesetzen verankert ist.

Im Falle der Bundespolizei beanstanden kritische Stimmen denn auch deren gesetzliche Grundlage als unausgesprochene Aufforderung zur Diskriminierung. Das Gesetz erlaubt den Beamten Kontrollen „zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet“ in Zügen und auf Bahnhöfen, „soweit auf Grund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung anzunehmen ist, dass diese zur unerlaubten Einreise genutzt werden“. Die dehnbare Formulierung der "Lageerkenntnis" und grenzpolizeilicher "Erfahrung" schreibe ihnen geradezu vor, sich verbreiteten Vorurteilen gemäß zu verhalten und vor allem Schwarze Personen zu kontrollieren.

Die Innenpolitikerin der Linken im Bundestag, Ulla Jelpke, sagte dem Tagesspiegel, sie "begrüße es ausdrücklich, wenn Themen wie Antidiskriminierung und Menschenrechte in der Aus- und Weiterbildung der Bundespolizei mittlerweile mehr Raum bekommen. Das ist ein wichtiger Erfolg der jahrelangen Proteste gegen Racial Profiling." Das nütze aber alles nichts, wenn die rechtlichen Grundlagen dafür diesselben blieben; es sei Zeit, "die Befugnis zu anlass- und verdachtsunabhängigen Kontrollen endlich ersatzlos zu streichen. Polizeiliche Maßnahmen dürfen nur stattfinden, wenn es einen konkreten Verdacht gibt und nicht, weil Menschen aufgrund ihres Aussehens pauschal als ‚gefährlich‘ und ‚kriminell‘ verdächtigt werden. Das empfiehlt im Übrigen auch der UN-Ausschuss gegen Rassismus.“

Auch für UN-Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung wenig Aufmerksamkeit

Dass die Bundesregierung mit Maßnahmen gegen Rassismus keine große Eile hat, kritisiert auch die Grünen-Innenpolitikerin Filiz Polat. Sie bekam jetzt Antwort auf eine eigene Anfrage über die deutschen Konsequenzen aus der "Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung", die die Vereinten Nationen ausgerufen haben. Das UN-Jahrzehnt für sie begann 2015 und wird Ende des Jahres 2024 zu Ende gehen. Es zielt darauf, Schwarze Menschen, die weltweit besonders stark diskriminiert werden, zu stärken und so genannten strukturellen Rassismus abzubauen, der in Behörden, staatlichen Vorschriften und Routinen oft versteckt wirkt.

In der Antwort des Auswärtigen Amts heißt es unter anderem, als Konsequenz aus einer Konferenz von Staatsministerin Annette Widmann-Mauz zum Thema im letzten Jahr habe man "Vertiefung des Dialogs, eine stärkere Vernetzung relevanter Akteure und die Erarbeitung von Fähigkeiten und Kompetenzen im Bereich der Selbstvertretung" als "Handlungsfelder definiert". "Folge-Veranstaltungen und deren Inhalte bedürfen noch der Abstimmung und Konkretisierung." Zur Koordinierungsstelle, die sich um die seit sechs Jahren laufende UN-Dekade kümmern soll, fänden derzeit Gespräche zwischen Familien- und Innenministerium und Widmann-Mauz statt.

"Die Bundesregierung hat die letzten sechs Jahre die Umsetzung der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft verschlafen. Der Ausblick auf die zweite Halbzeit ist ähnlich ambitionslos", urteilt Filiz Polat. Dass "koloniale Kontinuitäten" bis heute fortwirkten und sich in strukturellem Rassismus zeigten, davor verschließe die Bundesregierung weiter die Augen "und unterbindet nach wie vor eine Untersuchung wie beispielsweise zum Racial Profiling." Positiv sieht Polat, dass die Regierung "die gravierenden Forschungs- und Datenlücken zum Ausmaß von Rassismus in Deutschland" anerkenne. In diesem Zusammenhang wäre es aus ihrer Sicht nötig und ein wichtiges Signal, "Black Studies“ an Universitäten und Hochschulen auszubauen.

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