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Im Nahen Osten wird Irans Raketenarsenal als Bedrohung empfunden.

© Wana/Reuters

Diplomatie war gestern: Es droht eine fatale Konfrontation mit dem Iran

Die Gespräche über ein neues Atomabkommen stehen vor dem Aus. Und es spricht einiges dafür, dass es eine militärische Konfrontation geben wird. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Böhme

Im Nahen Osten droht ein Sturm. Einer, der das Zeug hat, in der Region großen Schaden anzurichten. Und darüber hinaus. Denn mit Russlands Angriff auf die Ukraine haben sich die meisten geopolitischen und völkerrechtlichen Gewissheiten endgültig aufgelöst.

Stärke zeigen, auf militärische Macht setzen, attackieren statt verhandeln – so scheint heute die Handlungsmaxime zu lauten. Diplomatie war gestern. Bündnisse werden geschmiedet, um den Feind nicht erstarken zu lassen.

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Im Nahen Osten ist diese Doktrin gang und gäbe, sie kommt vor allem beim Dauerkonflikt zwischen Iran und Israel zum Tragen. Doch die Gemüter sind so erhitzt, dass der Zwist der Erzfeinde die Gefahr einer fatalen Eskalation birgt. Es spricht einiges dafür, dass sich die Kontrahenten auf eine militärische Konfrontation einstellen.

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Erst vor wenigen Tagen erklärte Israels Verteidigungsminister Benny Gantz, sein Land baue seit einem Jahr ein Luftabwehrsystem auf. Dieses sei sogar bereits im Einsatz. Federführend dabei sind Gantz zufolge die USA. Das dürfte die wenigsten überraschen.

Dafür die anderen Paktpartner. Offenbar sind nämlich arabische Staaten wie die Vereinigten Emirate oder Bahrain mit von der Partie. Gantz nennt sie bezeichnenderweise „regionale Verbündete“. Auch das Ziel des Bündnisses ist klar benannt: Es geht gegen den Iran, seine Raketen und Drohnen, also das Machtstreben der Mullahs.

Werden auch die Saudis der Allianz offiziell beitreten?

Die Verteidigungsallianz könnte sogar bald aufgewertet werden. In drei Wochen will US-Präsident Joe Biden in den Nahen Osten reisen. Er wird nicht nur in Israel erwartet, sondern auch beim schwierigen ölreichen Partner Saudi-Arabien. Und es ist keineswegs ausgeschlossen, dass bei dieser Gelegenheit das Königreich erklärt, es werde Teil einer gemeinsamen Luftabwehr.

Für Israel wäre das ein öffentlichkeitswirksamer Coup – und ein strategischer Gewinn. Es gibt zwar in Sicherheitsfragen schon länger informelle Absprachen mit dem saudischen Thronfolger Mohammed bin Salman. Doch dem Ganzen einen offiziellen Anstrich zu geben, wäre eine eindeutige Botschaft Richtung Teheran.

Israels Premier Naftali Bennett traut Teheran nicht über den Weg.
Israels Premier Naftali Bennett traut Teheran nicht über den Weg.

© Abis Sultan/Reuters

Der Kronprinz fühlt sich ebenso wie der jüdische Staat vom Iran bedrängt und bedroht. Immer wieder wird sein Land mit Drohnen angegriffen, die von den jemenitischen Huthis losgeschickt werden und vermutlich aus Irans Arsenal stammen. Ein Schutzschild wäre somit von großem Nutzen für die Saudis. Zumal wenn sie es bald mit einem nuklear aufgerüsteten Iran zu tun haben sollten.

Um eine Neuauflage des Atomabkommens mit Teheran ist es trotz aller Bemühungen schlecht bestellt. Kaum einer gibt sich der Hoffnung hin, dass ein Deal zustande kommt. Einer der Knackpunkte: Die Mullahs fordern, die iranischen Revolutionsgarden von der Terrorliste zu streichen – die Amerikaner lehnen das strikt ab. Keiner traut dem anderen mehr über den Weg.

Jerusalem hält die Verhandlungen mit den Mullahs für Zeitverschwendung

Dabei war man schon auf der Zielgeraden. Anfang des Jahres schien eine Übereinkunft unterschriftsreif, die Iran vom Bau einer Atombombe abhalten und das Land im Gegenzug von den Sanktionen befreien soll. Dann überfiel Russland die Ukraine. Moskau knüpfte seine Zustimmung zu einem neuen Abkommen mit Teheran an Forderungen, auf die der Westen nicht eingehen wollte. Seitdem tut sich bei den Verhandlungen in Wien herzlich wenig.

Die Verantwortlichen in Jerusalem fühlen sich bestätigt – sie halten die Gespräche für Zeitverschwendung. Iran trickse und täusche, verschleiere seine wahren Absichten. Mit anderen Worten: Der Westen lasse sich von Teherans Beteuerungen täuschen, das Nuklearprogramm diene allein friedlichen Zwecken.

US-Präsident Joe Biden reist Mitte Juli in den Nahen Osten.
US-Präsident Joe Biden reist Mitte Juli in den Nahen Osten.

© Mandel Ngan/AFP

In der Tat muss bezweifelt werden, dass Irans Handeln von freundschaftlichen Absichten getrieben wird. Syrien, Jemen, Libanon – überall in der Region betätigt sich Teheran als Unruhestifter. Für Israel steht deshalb außer Frage: Dem Iran müssen seine Grenzen aufgezeigt werden. Und das tut der jüdische Staat. Seit Jahren tobt ein Schattenkrieg zwischen beiden Ländern. Aber auch der reicht immer weiter und wird immer gefährlicher.

Bis vor Kurzem versuchte Israel zumeist, die Aktivitäten der Mullahs außerhalb des Iran einzudämmen. Vor allem in Syrien. Dort greift die Luftwaffe immer wieder iranische Ziele an, will Waffenlieferungen etwa an die libanesische Hisbollah unterbinden.

Doch in jüngster Zeit sind mehrere, zum Teil hochrangige Militärangehörige und Wissenschaftler im Iran selbst ums Leben gekommen. Viel spricht dafür, dass der Mossad hinter den Todesfällen steckt – und eine neue israelische Strategie.

Saudi-Arabien Thronfolger Mohammed bin Salman soll bereits Kontakte zu Israel pflegen.
Saudi-Arabien Thronfolger Mohammed bin Salman soll bereits Kontakte zu Israel pflegen.

© Burhan Ozbilici/AP/dpa

Ministerpräsident Naftali Bennett hat die Kurswende als „Oktopus-Doktrin“ beschrieben. Demnach war es lange Zeit das Ziel, Irans Atomprogramm zu treffen und den militärischen Ambitionen des Gottesstaats Einhalt zu gebieten. Nun gehe man dazu über, nicht mehr nur die Arme des Oktopus anzugreifen, sondern auch den Kopf ins Visier zu nehmen.

Nicht mehr nur die Arme des „Oktopus“ angreifen, sondern auch den Kopf

Das heißt: Im Iran sollte sich niemand in Sicherheit wähnen. Wie um das zu untermauern, hielt Israel jüngst ein groß angelegtes Manöver ab. Trainiert wurden dabei Attacken gegen Ziele im Iran. Jerusalem will sich für den Ernstfall wappnen. Schließlich drohen die Mullahs immer wieder mit der Vernichtung des „zionistischen Gebildes“.

Für Joe Biden steht ebenfalls eine Menge auf dem Spiel. Der US-Präsident muss sich zwar vorrangig um den Ukraine-Krieg kümmern. Aber den Nahen Osten darf er keinesfalls aus dem Blick verlieren. Auch dort trifft er auf Wladimir Putin. Der Kremlchef hat Russland zu einer Großmacht in der Region gemacht, versucht erfolgreich, Amerika den Rang abzulaufen.

Deshalb muss Biden Teheran deutlich zu verstehen geben, wie geschlossen die Front gegen den Iran ist. Dass es ein Zeichen von Vernunft wäre, einen neuen Atomdeal einzugehen. Ob der Iran solchen Argumenten zugänglich ist, weiß niemand. Längst haben sich die Mullahs Richtung Russland und China orientiert. Die drei Regime bilden eine Art Autokraten-Allianz, wollen die angebliche Vorherrschaft des Westens brechen. Auch im Nahen Osten.

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