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Christian Drosten berät auch die Politik in der Coronakrise. Hier steht er zwischen Anja Karliczek (CDU) und Heyo Kroemer (Vorstandsvorsitzender der Charite).

© Michael Kappeler/dpa-pool/dpa

Diktat der Wissenschaft?: Blind folgen müssen wir den Experten nicht – aber ihren Rat ernst nehmen

In der Lockdown-Debatte sehen Wissenschaftler sich gerade ignoriert. Aber Politik darf Fakten nicht außen vor lassen – das rächt sich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sascha Karberg

In seinem jüngsten Podcast auf NDR-Info erklärt der Charité-Virologe Christian Drosten: „Wir müssen jetzt unbedingt etwas tun.” Er meint, dass die Politik den Empfehlungen des Covid-19-Expertenrats der Nationalen Akademie Leopoldina, dem auch er selbst angehört, folgen und einen harten Lockdown beschließen sollte.

Das sei unumgänglich, um die Ausbreitung von Sars-CoV-2 soweit einzuschränken, dass die Gesundheitsämter die Kontrolle zurückgewinnen. „Die Botschaft der Wissenschaft“, warnt er, sei in den vergangenen Wochen „stark verwässert” worden. Wenn die Politik jetzt gegen sie agiere, habe sie sich „nicht mehr für die Wissenschaft entschieden“.

Geht Drosten zu weit? Fordert er mit solchen Worten womöglich dazu auf, einem Diktat der Wissenschaft zu folgen? Beschneiden Virologen, Klimaforscher oder Ökologen das demokratisch legitimierte Mandat der Politik, im besten Sinne des Volkes zu entscheiden, wenn sie wissenschaftlich fundiertes politisches Handeln in einer Pandemie, einer Klimakatastrophe, einer Umweltzerstörungskrise fordern?

Aufgabe von Politik ist es nicht, Fakten zu ignorieren oder nur jene zu berücksichtigen, die ihr gerade in den Kram passen. Aufgabe von Politik ist es, die Faktenlage mit all ihren prognostischen Unsicherheiten zur Kenntnis zu nehmen. Politik muss die Menschen mit den gegebenen Realitäten konfrontieren und sie auf künftige vorbereiten.

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Wissenschaftler sagen nicht, dass die Politik ihnen folgen muss

Wissenschaftler sagen nicht, dass die Politik ihnen folgen muss. Sie zeigen aber auf, was ist und sein wird. Welche gesellschaftlichen Schlüsse daraus zu ziehen sind, ist ein mühsamer Prozess der Auseinandersetzung, in dem bestimmte Interessen allzu oft die Oberhand behalten und Fakten unter die Räder kommen.

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Wenn dann Forscher wie Christian Drosten, Viola Priesemann, Melanie Brinkmann, Michael Meyer-Hermann und viele andere diese in Erinnerung rufen, dann ist das kein Diktat der Wissenschaft, sondern der Hinweis, dass es noch nie geholfen hat, die Augen vor wissenschaftlicher Expertise zu verschließen. 

Fakten auszublenden rächt sich - auch bei der Autobahn-Maut

Auch andere Informationen auszublenden, rächt sich früher oder später – etwa wenn man eine Autobahn-Maut auch gegen den ausdrücklichen Rat von Rechtsexperten durchdrücken will. Für solche Ignoranz muss dann eben jemand die Zeche zahlen – wenn auch leider nicht immer der Faktenleugner selbst ist.

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Aber es wäre zu billig, so zu tun, als sei derartiges Handeln nur in der Politik verbreitet. In den Urlaub zu fliegen, ist vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung eindeutig falsch. 

Dieses Weihnachten die lungenkranke Oma zu sehen, ist es nicht minder. Wer Wissenschaft bei solchen Entscheidungen ignoriert, bringt nicht nur Mitmenschen in akute Gefahr. Er bringt die eigenen Kinder und künftigen Enkelkinder auch um eine lebenswerte Zukunft.

Das heißt nicht, dass wir der Wissenschaft im trügerischen Singular blind folgen sollten, aber verantwortungsbewusst genug zu sein, die möglichen Folgen unseres Tuns zu kennen und dieses Wissen zu nutzen. Etwa das Auto abzuschaffen, wenn man nicht auf den Urlaubsflug verzichten kann. Oder vor Weihnachten zehn Tage in eine freiwillige strenge Quarantäne zu gehen, um Oma und Opa am 24. Dezember umarmen zu können. Mehr von dieser Vernunft stünde jedem von uns gut an. Der Politik sowieso.

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