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Bleibt Isar 2 länger am Netz?

© Ayhan Uyanik/REUTERS

„Dieser Winter ist ein Schlüsselwinter“: Ukrainische Regierung appelliert an die Grünen, Atomkraftwerke am Netz zu lassen

Präsidentenberater Podoljak warnt vor einem Bröckeln der Ukraine-Solidarität in der Energiekrise. Es müsse alles genutzt werden, eben auch die Atomkraft.

Die ukrainische Regierung appelliert an die Grünen in Deutschland, die letzten drei Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus weiterlaufen zu lassen. „Dieser Winter ist ein Schlüsselwinter“, sagte der engste Berater von Präsident Selenskyj, Mychailo Podoljak, in einem Interview mit dem Tagesspiegel in Kiew.

Auf die Frage, ob es angesichts der Drosselung russischer Gaslieferungen und einem drohenden Bröckeln der Solidarität mit der Ukraine sinnvoll sei, die drei Anlagen im Dezember abzuschalten, sagte Podoljak: „Nein“. Und betonte: „Wir müssen zwingend alles nutzen, was wir haben, um schnellstmöglich eine neue Energielandkarte in Europa zu schaffen und um nicht weiter den Krieg Russlands zu finanzieren.“

Derzeit läuft auf Anordnung von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ein Stresstest, ob die Anlagen Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland noch etwas länger gebraucht werden könnten. Da zuletzt wegen AKW-Problemen in Frankreich auch viel Gas verstromt wurde, war der Druck gewachsen, die Laufzeiten nochmal etwas zu verlängern, um möglichst viel Gas zum Heizen zu haben. In Kiew wird befürchtet, dass bei einer schweren Energiekrise und dem Verzicht auf das Ausschöpfen aller Möglichkeiten die Solidarität mit der Ukraine in Deutschland kippen könnte.

Es gehe in dieser Frage auch um Führungsstärke, sagte Podoljak. „Wir zahlen einen hohen Preis, viele Menschen sterben. Wir hoffen, dass unsere Partner diesen Preis sehen und verstehen, und ihrerseits alles tun, was möglich ist“, betonte Podoljak. „Das ist auch eine Frage der Freiheit, der Abkehr von der Abhängigkeit von Russland und einer trotzdem stabilen Energieversorgung im Winter.“

Mikhailo Podoljak lebt seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar im Präsidentenpalast.
Mikhailo Podoljak lebt seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar im Präsidentenpalast.

© Emin Sansar/Anadolu Agency via Getty Images

Lob für Scholz und Ruf nach mehr Waffen

Nach der zahlreichen Kritik in den vergangenen Monaten lobte Podoljak den Kurs des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz gegenüber Russland, fordert aber wegen der schwierigen Lage eine rasche Ausweitung der Waffenlieferungen. „Wir sind zu hundert Prozent überzeugt davon, dass er eine andere Richtung in den Beziehungen zu Russland einschlagen will“, sagte der Berater von Präsident Selenskyj.

Wenn man sein Handeln sieht und seine Aussagen hört, will er da eine andere Politik. Er scheint bereit, diesen Führungsanspruch zu übernehmen.“

Deutschland sei in der Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU) sicher gewesen, dass Russland unter Wladimir Putin ein Partner sein könne, mit dem man auskommen kann. „Deutschland muss jetzt in eine andere Richtung gehen, begreifen, wie Russland wirklich ist.“ Fakt sei, „wir brauchen mehr Waffen“, sagte Podoljak bei dem Interview im Präsidentenpalast in Kiew.

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Welche Waffen Kiew braucht

Dazu gehöre Langstrecken-Artillerie und Mehrfachraketenwerfer, um die russische Logistik und Nachschublager zu zerstören. Zweitens brauche man mehr Drohnen. „Und drittens Luftabwehrsysteme wie das von Deutschland angekündigte Iris-T-System, um unsere Städte besser vor Luftangriffen zu schützen. Wir brauchen mehr davon, gerade um folgende fünf Städte zu schützen: Kiew, Charkiw, Dnipro, Mykolajiw und Odessa.“

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Zudem brauche man mehr gepanzerte Fahrzeuge, um nach Rückschlägen Russlands schneller in die von ihnen kontrollierten Gebiete vorstoßen zu können, betonte er. Scholz weigert sich bisher vor allem, der Ukraine deutsche Panzer zu liefern, und verweist auf die anderen Nato-Partner, die auch keine Panzer westlicher Bauart liefern würden. Aber auch die Ringtausch-Geschäfte kommen kaum voran und sorgen gerade in Polen für Verstimmung - das Land hatte viele Panzer sowjetischer Bauart der Ukraine überlassen und sollte Ersatz von Deutschland bekommen, aber nicht vor April 2023 ist mit den ersten Leopard-Panzern zu rechnen.

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Podoljak (rechte Seite, 2. von links) war auch den ukrainisch-russischen Verhandlungen beteiligt.
Podoljak (rechte Seite, 2. von links) war auch den ukrainisch-russischen Verhandlungen beteiligt.

© AFP

„Russland setzt darauf, dass Westen müde wird“

Podoljak, der für die Ukraine, die Verhandlungen mit Russland geführt hatte, die wegen der Gräueltaten unter anderem in Butscha nicht weitergeführt wurden, betont, dass Russland am liebsten den Konflikt einfrieren wolle; auf dem Status quo für ein halbes Jahr, um neue Waffen zu beschaffen und um neue Soldaten an die Front zu bringen. „Und dass der Westen müde wird – dann würde Russland mit aller Kraft neu zuzuschlagen“, sagte Podoljak.

„Die Gegenstrategie der Ukraine ist sehr einfach: Wir müssen in der kürzest möglichen Zeit unsere Anstrengungen vervielfachen, um möglichst viel Territorium zurückzuerobern, vor allem im Süden. Je mehr und je schneller wir schwere Waffen wir bekommen, desto schneller können wir diesen Krieg stoppen.“ Auf die Frage, was ein Sieg der Ukraine für ihn sei, antwortete der Präsidentenberater, eine Ukraine in den Grenzen der Unabhängigkeit von 1991, das schließe auch eine Rückeroberung des Donbass und der Krim ein.

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